Times of Israel http://www.timesofisrael.com/
Der iranische Präsident Rohani sprach in seiner Ansprache an das Parlament am 17.1.2016 von einem „glorreichen Sieg“. Die Sanktionen des Westens, die in unterschiedlichem Umfang seit 1979 bestanden, sind Geschichte. Auch die Außenbeauftrage der EU, Federica Mogherini, sprach vom Sieg. Wenn aber zwei Konfliktparteien das gleiche sagen, meinen sie selten dasselbe. Der Iran stellt das Ende der Sanktionen so dar, als hätte der Westen endlich eingesehen, dass er im Unrecht war. Der Westen feiert das Versprechen der iranischen Regierung, endlich mit dem Entwickeln von Atomwaffen aufzuhören, als Einsicht des Iran, in die falsche Richtung zu gehen. Selbst wenn dieses Versprechen jedoch als gesicherter Fakt gälte, änderte das nichts an der Tatsache, dass alle anderen Gründe, die einst zu Sanktionen gegen das Mulla-Regime geführt hatten, unverändert weiter bestehen. Nach wie vor finanziert der Iran direkt den Terror im Nahen Osten. Hamas und Hisbollah hängen am Tropf Teherans und würde der Iran den Despoten Assad in Damaskus nicht unterstützen, hätten sich Millionen Syrer womöglich nie nach Europa und Deutschland auf den Weg machen müssen. Unbeachtet bleibt auch, dass sich an der ideologischen Grundhaltung des iranischen Regimes nichts geändert hat. Nach wie vor heißt es „Tod Israel, Tod den USA“. Wer das für Folklore hält, sollte bitte auch über die verbalen Ausraster von Donald Trump schweigen. Das gesprochene Wort gilt bis zum Gegenbeweis durch die Tat – dieses Prinzip sollte dem deutschen Wähler der CDU und seiner Kanzlerin bekannt sein.
So gut wie nichts, was Präsident Obama in den letzten sieben Jahren im Nahen Osten in die Hand nahm, hat am Ende funktioniert. Seit außenpolitischer Dilettantismus und die sich daraus ergebenen Fehleinschätzungen haben wesentlich zu dem Scherbenhaufen beigetragen, den wir dort überall bewundern können. Libyen, Ägypten, Syrien, Irak, Jemen, Palästina und nun auch der Iran, der sich zum Sieger aufplustern darf und damit seine Nachbarn Türkei und Saudi Arabien zur Schnappatmung bringt. Ich bin deshalb skeptisch, was den gewünschten Erfolg des Abkommens angeht. Zu viele Differenzen wurden bei den Verhandlungen klein geredet, zu viel Einwände ignoriert. Dem Abkommen fehlt leider die Substanz.
Schwert vs Strick
Man braucht vermutlich wie einst „Sindbad der Seefahrer“ Nerven aus Stahl, um heute als Skipper im Persischen Golf unterwegs zu sein. Die Gemütlichkeit dieses Gewässers lässt von je her zu wünschen übrig, da alle Anrainerstaaten wenig zimperlich im Umgang miteinander sind. Der Iran im Norden und Saudi Arabien im Süden gelegen, können sich nicht einmal auf einen einheitlichen Namen für das Gewässer einigen. „Persischer Golf“ – da wüsste ein Saudi vermutlich kaum, was das sein soll. Einigen können sich Iran und Saudi Arabien aber im Grunde über so gut wie gar nichts. Nein, stimmt nicht ganz. Ihre offizielle Haltung zu Israel ist identisch. Israel als völkerverbindender Faktor im zentralen Sunna/Schia-Konflikt – ein Treppenwitz der Geschichte, ein Klassiker! Inoffiziell sieht das allerdings etwas anders aus. Die Saudis sind „unter der Hand“ sehr an Wirtschaftsbeziehungen zu Israel interessiert. Man schätzt die Israelis als Handelspartner. Aber: Psssst! Das weiß natürlich niemand! Und wer erinnert sich nicht an das kleine Dreiecksgeschäft in der Iran-Contra-Affäre, als der Iran, dem das Wasser schon bis zum Hals stand, dankend israelische Waffen annahm, um damit gegen Saddams Irak zu kämpfen. Die CIA besserte mit dem Geld aus dem Geschäft die Konten der Nikaraguanischen Contras auf.
Wen aber hassen die Mullahs in Teheran und die Wahhabiten in Riad noch mehr als Israel? Ganz klar: einander! Kürzlich hat die saudische Justiz oder wie auch immer man die Halsabschneider dort nennen darf, es geschafft, an einem Tag 46 Delinquenten um einen Kopf kürzer zu machen. Ein Kopf mit Turban und langem Gelehrtenbart war auch dabei! Ich kann jeden Protest gegen die Todesstrafe nachvollziehen und unterstützen. Wenn dieser aber mit erhobenem Finger und erhobener Brandfackel und mit „Menschenrechten“ begründet und staatlich gesteuert wird, sollte man insbesondere in Teheran aufpassen, dass im Bildhintergrund der Kameras keine Baukränen stehen, von denen noch ein paar verurteilte Oppositionelle oder Schwule baumeln. Aber solche Hinrichtungen sind sicher a) humaner, weil es nicht zu einer so großen Sauerei auf dem guten Pflaster kommt, wie bei traditionellen saudischen Enthauptungen – dem Publikum könnte schlecht werden. Außerdem werden b) die Urteile im Iran von schiitischen Geistlichen mit tadelloser religiöser Ausbildung bestätigt! Das kann man doch nicht vergleichen, sagt man in Teheran! In Riad sieht man das übrigens genauso. Nur anders herum.
Mit der Todesstrafe an sich hat man in Teheran aber kein Problem! Schließlich ist man in dieser Disziplin Weltmeister, auch wenn die Zahlen aus China fehlen und man dort auf Schätzungen angewiesen ist. Im Jahr 2015 gab es nach Angaben des Iranischen Menschenrechts Dokumentationszentum 957 Hinrichtungen im Iran, die Saudis kamen im selben Zeitraum auf 200. Dabei hatten die Iraner mit 199 der saudischen Delinquenten keine Probleme, nur der eine schiitische Geistliche, ein Ayatollah noch dazu, der war ihnen zu viel, das war unmenschlich! Apostaten, Gotteslästerer, Homosexuelle werden von beiden Staaten hingegen in trauter Eintracht exekutiert. Der Islamische Staat hat Vorbilder und die geben sich wirklich Mühe!
Was haben die Saudis vor?
Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Land nur wegen einiger randalierender Protestierer gleich die diplomatischen Beziehungen zu einem anderen abbricht. Bedeutet dies doch, eine wichtige Tür laut zuzuschlagen, während der andere noch die Finger darin hat. Schaut man sich aber die Situation der Saudis an und vergleicht sie mit der des Irans, könne man vermuten, dass erstere im Moment angesichts des Ölpreises, des Haushaltsdefizits und des Zustandes ihrer Herrscherfamilie in eine unsichere Zukunft blicken, während die Iraner durch den für sie sehr vorteilhaften „Atom-Deal“ und dem beendeten Embargo glauben, endlich Morgenluft zu atmen. Die einen sehen ihre schwindende Kraft und denken, ‚jetzt oder nie‘. Die anderen sehen sich als Sieger über die Sanktionen, als Überwinder der USA, als Überlebende des arabischen Frühlings und denken ‚lasst sie nur kommen‘. Beide Kontrahenten leisten sich bereits heute Stellvertreterkriege in Syrien, dem Irak und dem Jemen. Es könnte mehr daraus werden, weil beide Seiten jeden Konflikt geradezu befeuern. Hier rächt sich, dass es auf beiden Seiten angesichts ideologischer Dogmen keinen Raum für flexible Diplomatie gibt. Zudem wird durch den verfallenden Ölpreis der Leim schwächer und knapper, der Saudi Arabien überhaupt noch zusammen hält – das Geld. Staatliche Zuwendungen an die Eliten, kostenlose Leistungen für die sonst chancenlose Jugend, Posten und Pöstchen für die unzähligen Prinzen...wenn die Gelder nicht mehr fließen, brodelt es sehr schnell im Königreich.
Und der Iran?
Zunächst ein Gedankenspiel. Ich denke, könnte man von heute auf morgen die Regime in Saudi Arabien und dem Iran per Fingerschnipp verschwinden lassen, würde man das im Iran erst am nächsten Freitag in der Moschee bemerken, während in Saudi Arabien sofort der Strom ausfallen und ein Bürgerkrieg ausbrechen würde. Deshalb setze ich, was die Durchsetzung der Vernunft angeht, eher auf die Iraner, als die Saudis. Liebe Saudische Oppositionelle, verzeiht mir diese Einschätzung. Ich weiß, ihr habt es schwerer als jeder andere aufrechte Mensch in der arabischen Welt – schon deshalb schafft ihr das nicht allein. Das Beispiel Raif Badawis zeigt dies. Aber es zeigt ebenfalls, dass auch ihr auf dem richtigen Weg seid. Und liebe Perser, als ihr euch im Jahr 2009 angesichts der manipulierten Präsidentschaftswahlen zu Protesten erhoben hattet, fühlte ich mich in meiner Einschätzung zunächst bestätigt. Leider zeigte sich aber auch, dass ausgerechnet eurer Diktatur so fest gefügt und straff organisiert ist, dass sie Freiheitsbestrebungen im Inneren immer noch mühelos niederschlägt. Noch! Wie geschickt eure Führungskaste agiert, konnte man bei der nächsten Wahl beobachten, als die Mullas den international irrlichternden Brandredner Ahmadinedschad durch ein freundlicheres Gesicht mit salbungsvoller Stimme ersetzt hatte, der Schmeicheleien und Takiya deutlich besser beherrscht, als sein Amtsvorgänger. Leider ist das aber auch ein eher schlechtes Zeichen für die nahe Zukunft.
Die Mullahs haben sich im Iran ein Habitat geschaffen, das sich viel leichter kontrollieren lässt, als es die Saudis in ihrem Gefängnis jemals hinbekommen werden. Eine oberflächliche Religionsfreiheit mit ausreichend Diskriminierung, minimale Kritikmöglichkeiten, eine nur scheinbar freie Regierung, die man ein wenig kritisieren darf, hinter der aber die eigentliche Regierung des Gottesstaates, der Wächterrat steht. Das ganze durchzogen von Geheimdiensten, Milizen und staatlich regulierter materieller Abhängigkeit von der herrschenden Kleriker-Kaste.
Deutsches Dilemma
An flexiblen Diplomaten herrscht in Deutschland im Gegensatz zu Saudi Arabien kein Mangel. Steinmeier, Merkel und Co gewinnen jeden Limbo-Wettbewerb, da kann die Verhandlung-Stange selbst unter Gras oder Wüstensand liegen, Deutschland kommt da immer noch drunter. Nach dem zweiten Weltkrieg war diese Flexibilität überlebenswichtig, später blieb es einfach nur praktisch, sich kein eigenes Rückgrat zuzulegen. Wir leben gern auf der Seite der Vegetarier und unterhalten gute Beziehungen zu den Kannibalen. Man kann ja nie wissen, wie sich der Wind mal dreht und Kochtöpfe können wir beiden gut verkaufen. In den Krisen der letzten Jahre wurde der Kanzlerin immer wieder vorgeworfen, „auf Sicht“ zu fahren. Der Begriff trifft es leider nicht. Richtiger verwendet man hier das Wort „kurzsichtig“, weil dieser nicht unterstellt, es gäbe Nebel und man könne nicht anders navigieren. Wer politisch kurzsichtig ist, erkennt Weite und Tragweite seiner Entscheidungen einfach nicht. Und nicht nur unsere Politiker sind so drauf. Ob Franz Beckenbauer in Katar wirklich keine „Sklaven mit Fußketten“ gesehen hat, oder ob im Golfclub des Emirs bei Häppchen und Schampus nur grad keiner am Buffet stand – wer weiß. Ob deutsche Panzer in Saudi-Arabien nur der „Landesverteidigung“ dienen oder deutsche Gewehre in Mexiko nicht nur Drogenbosse, sondern auch Studenten erschießen…alles eine Frage, wie weit man gucken kann, Nebel braucht es nicht. Wer glaubt an das Persische Märchen vom aufgegebenen iranischen Atomprogramm, wenn der Iran gleichzeitig seine Raketenentwicklung vorantreibt und der Atom-Vertrag so wasserdicht ist, wie ein Luffa-Schwamm? „Tod Amerika, Tod Israel“ tönt es weiterhin nach dem Freitagsgebet in den Moscheen. Bis nach Israel schauten die deutschen Unterhändler jedenfalls nicht, als sie den Vertrag unterschrieben. Gefeiert wurde danach auch nicht in Tel Aviv, sondern in Teheran und bei der deutschen Industrie. Meine Bemerkung auf SPON, dass Deutschland nun wieder Baukräne nach Teheran liefern darf, an dem die Mullas Oppositionelle aufhängen können, schaffte es leider nicht durch die Spiegel-Zensur. Aber vielleicht wird die Ausfuhr solch typischer „Dual Use“-Produkte im Fall des Iran weiterhin kritisch beobachtet – ähnlich wie die Lieferung von Medikamenten in die USA, mit denen dort auch Hinrichtungen vorgenommen werden können. Schließlich ist Gleichbehandlung der deutschen Öffentlichkeit generell ein starkes Anliegen.
Wie die aufgeschreckten Hühner laufen die deutschen Politiker zwischen Teheran und Riad hin und her, stolz darauf dass die internationalen Medien berichten, sie hätten „das Ohr“ beider Seiten – allein, keine Seite gibt auch nur einen Rial auf das, was die deutschen Politiker sagen. Steinmeier kann an Aladdins Lampe reiben, bis sie blank ist, der Dschinn kommt einfach heraus! Er baut einfach keinen ordentlichen Druck auf! Für solche Reibung wäre es zur Abwechslungen mal ganz toll, ein eigenes Rückgrat zu haben. Nur hätte Deutschland dann schon vor Jahren die diplomatischen Beziehungen zu Iran und Saudi Arabien abbrechen müssen, beide Länder würden unsere tollen Produkte nicht kaufen und Steinmeier hätte jetzt die diplomatische Wunderlampe nicht in der Hand, mit der er nun aber leider nichts anfangen kann – ein Teufelskreis!
Die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran ist erinnert mich an einen Dialog aus dem Film „Matrix“, in dem Morpheus Neo vor eine Wahl stellt:
This is your last chance. After this, there is no turning back. You take the blue pill—the story ends, you wake up in your bed and believe whatever you want to believe. You take the red pill—you stay in Wonderland, and I show you how deep the rabbit hole goes. Remember: all I'm offering is the truth. Nothing more.
Neo nahm die rote Pille. Der Westen hat sich für die blaue Pille entschieden.