Im Jahr 2015 hatte das Verteidigungsministerium ein Budget von knapp 33 Mrd. Euro, das sind etwa 11% des Bundeshaushalts. Wieviel davon ist für die Verteidigung unseres Landes, unsere allgemeinen Bündnisverpflichtungen, Verpflegung und Unterbringung der Truppe, Sold und Verwaltung sowieso nötig und wieviel Geld stecken wir in die Bewaffnung und das Training einer Armee, die offensichtlich nur Aufgaben erfüllen kann, die in Mitteleuropa und mit befreundeten Nachbarn niemals anfallen, anstatt in Aufgaben, die eine Armee heute eigentlich erfüllen müsste? Wenn sich heute in Kriegen die Kontrahenten nicht mehr in verschiedenfarbigen Uniformen und in Schlachtordnung zwischen zwei Hügeln gegenüber stehen, warum trainiert man für solche Szenarien und gibt Geld für Panzer und ähnlichen teuren Schnickschnack aus? Wenn die Gegner, die unsere Lebensweise und unsere Bürger heute bedrohen, „anders“ kämpfen, quasi unsichtbar sind, sich hinter Zivilisten verstecken, Geiseln als Schutzschilde benutzen…warum passen wir die Taktik und Bewaffnung unserer Armeen diesen Gegebenheiten nicht an? Genügt es wirklich sich empört zu geben und zu sagen „wir würden ja dem IS den Krieg erklären, aber so wie DIE kämpfen? Näh! Da machen wir nicht mit, die haben ja nicht mal Clausewitz gelesen und Uniformen tragen sie auch nicht!“
33 Milliarden Euro – für die Summe würde der IS eine Armee aus dem Boden stampfen, das wollen wir uns lieber nicht vorstellen. Gut, die bieten ihren Soldaten keine Halbtagsjobs, Kindergartenplätze gibt es nicht und die Frauenquote liegt bei exakt Null, aber es gibt ordentlich Wumms pro Euro, wenn ich das mal so zynisch sagen darf. Die Bundeswehr befasst sich aber seit Jahrzehnten lieber mit Rüstungs-Großprojekten, kauft Panzer, Hubschrauber und Flugzeuge und tut im Großen und Ganzen so, als stünde immer noch der „Russe“ vor der Tür, wissend, dass hinter der Tür zum Glück die Amerikaner stehen, falls mal eine echte Armee gebraucht wird. Aber beide sind weg, die Russen befassen sich mit ihren ehemaligen Bruderstaaten und versuchen, ihr Einflussgebiet einigermaßen zusammen zu halten – was ihnen in Syrien nicht besonders gut gelingt und die Amerikaner haben ihr Interesse auch längst von Europa abgewandt – sieht man mal von einigen Stützpunkten ab. Amerika befasst sich ansonsten mit dem Pazifikraum, Europa wird sich größtenteils selbst helfen müssen.
Die Suche nach dem absolut Guten
Geht es um die Frage, ob es dem Westen erlaubt sei, im Nahen Osten zu intervenieren, wird gern eloquent verglichen. Am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass unsere Fehler, unsere Grausamkeiten und unsere Verbrechen mit denen verglichen werden, die der IS, Saudi Arabien oder der Iran begehen. Ergebnis ist dann stets, dass wir mal hübsch die Füße still halten sollen, angesichts von Kreuzzügen, Holocaust, Irak-Krieg und Guantanamo. Wir seien keinen Deut besser und hätten moralisch jedes Recht verwirkt, andere Länder zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit aufzufordern. Was dabei stets vergessen wird ist, dass dieser rückwärts gewandte Blick für keine Seite gut ausgeht, nirgends in der Vergangenheit sind Friedensengel in Sicht. Aber die vergleichenden Mitbürger, die meist aus dem vergleichsweise satten Westen kommen, argumentieren unbewusst aus dem Blickwinkel der Handlungskonsequenzen: Wir können aus moralischer Sicht nichts tun, also machen wir besser auch nichts, machen einfach so weiter wie immer. Meckern über die Grausamkeiten des Westens UND des IS sowie fehlenden Handlungsalternativen inclusive, ja, auch meckern über mangelnde Opfer- und Hilfsbereitschaft seitens des dekadenten Westens. Die Opfer, die uns unsere eigenen Kämpfe über Jahrhunderte hinweg abverlangt haben, um überhaupt so weit zu kommen, blendet man aus. Vielleicht schicken wir unseren Außenminister um die Welt, der „gemeinsame Schritte“ ankündigt und von „diplomatischen Vorstößen“ spricht. Mehr ist mit uns nicht zu machen. Wir würden ja gern helfen, aber wir wollen nicht. Heute ist Weihnachtsfeier, morgen kommt das neue Auto und übermorgen haben wir auch was Wichtigeres vor. Vielleicht demonstrieren wir ja überübermorgen für den Frieden, gegen den Klimawandel oder unterstützen eine Online-Petition.
Selbst wenn man mal großzügig Merkels General-Einladung an alle Flüchtlinge dieser Welt ausblendet, haben Europa, die USA und die Handvoll anderer westlicher Demokratien aber trotz all ihrer Unzulänglichkeiten offenbar eine hohe Anziehungskraft auf die Vertriebenen dieser Welt, hat unser Gesellschaftsentwurf trotz aller Fehler so viel Strahlkraft, dass es seit mindestens 50 Jahren eine Fluchtbewegung nur in diese eine Richtung gibt. So schlimm können wir in der Sicht Anderer also gar nicht sein. Ein auswandernder Pakistani, der den religiösen Fanatismus in seiner Umgebung nicht mehr ertragen kann, geht TROTZ Guantanamo in die USA und bleibt nicht WEGEN Guantanamo zu hause. Und er geht nicht nach Cuba oder Nordkorea. Ein flüchtender Syrer benutzt die Türkei nur als Durchgangsstation, OBWOHL die Türkei ein muslimisches Land ist.
Ich messe die „Moral“ einer Gesellschaft nicht daran, ob sie es geschafft hat, bis zum heutigen Tag ohne Sünde und Verbrechen geblieben zu sein, sondern daran, ob sie sich für perfekt hält, oder sich dieser Fehler bewusst ist, die eigenen Verbrechen anerkennt und versucht, aus ihren Fehlern zu lernen. Zu dieser Selbstkritik ist der Westen fähig, islamischen Ländern fällt das extrem schwer. Deren Art, mit den Fehlern der Vergangenheit umzugehen war und ist es, sich von solchen Taten zu distanzieren, sie für unislamisch zu erklären, sie fremden Mächten oder sündhafter Lebensführung zuzuschreiben, man selbst ist immer frei von allen Fehlern. Man vergisst, verdrängt, projiziert, um selbst als Opfer da zu stehen. Die Tatsache, dass die Meinungsfreiheit in arabischen Ländern nicht gerade hoch im Kurs steht, tut ihr Übriges. Nun höre ich schon die empörten Stimmen die sagen, hierzulande wäre es damit auch nicht weit her. Blogbeiträge und O-Töne sagen dann häufig Dinge wie „dies und das darf man hier nicht sagen“ – und beweisen damit noch vor dem ersten Satzzeichen das Gegenteil.
Irgendetwas gelernt aus der Syrien-Krise?
Die Briten haben Recht wenn sie verlangen, die EU auf ein rein wirtschaftlich ausgerichtetes Bündnis ansonsten souveräner Staaten zu begrenzen. Die EU hat in der Bankenkrise funktioniert, sie hat sogar – einigermaßen – in der Griechenlandkrise funktioniert. Beides klassische Wirtschaftsthemen. Die EU versagt bei einer gemeinsamen Außenpolitik, schafft es nicht, militärisch als Einheit wahrgenommen zu werden und in der Flüchtlingskrise ist Totalversagen eine geradezu optimistische Umschreibung der Probleme. Ich sehe keinerlei Anzeichen, dass das Versagen auch nur erkannt wird, von einem Lernprozess ganz zu schweigen.
Die Nato hat mit der Türkei einen höchst unsicheren Kantonisten in den eigenen Reihen, dessen Rolle im syrischen Bürgerkrieg keiner so ganz genau einschätzen kann. Es bedurfte ausgerechnet eines Vladimir Putin um endlich laut auszusprechen, dass die Türkei an vielen Stellen des Konflikts eher behindert, als zu helfen. Erinnert sei an das unmenschliche Verhalten der Grenzblockade seitens der Türkei bei der Belagerung Kobanes durch den IS und daran, dass die Türkei (wahrscheinlich) den Erdölschmuggel zumindest nicht verhindert und der IS über die Türkei mit Nachschub an willigen Kämpfern versorgt wird.
Anstatt der Türkei Milliarden Euro zu zahlen, damit sie keinen Flüchtlinge mehr über die Grenze lässt, hätte man mit der Streichung wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Reisewarnungen und der Beendigung der Beitrittsverhandlungen drohen sollen. Erdogan kann auch ohne Hilfsgelder von Mama Merkel auf seine Grenze aufpassen. Das tut er sehr effektiv, wenn es um Kurden geht, die ihren Brüdern auf irakischer und syrischer Seite helfen wollen – das tut er absichtlich nicht, wenn es um IS-Kämpfer in die eine und Flüchtlinge in die andere Richtung geht. Es käme darauf an, sein Kalkül aufzudecken und sich nicht erpressbar zu zeigen – beides haben Merkel und Junkers mal wieder nicht geschafft. Es hat sich in der Welt herumgesprochen dass es komme wie es wolle, am Ende zahlen Deutschland und Europa immer. Das nenne ich Scheitern mit Scheckbuch!
Als die Siegermächte des ersten Weltkrieges mit Lineal und Bleistift über den Karten des zerfallenen osmanischen Reiches gebeugt standen, haben sie nach meiner Sicht einen entscheidenden Fehler gemacht. Nein, ich meine nicht die Tatsache, dass Stammesgebiete, Sprachen und Konfessionen kaum eine Rolle gespielt haben – das ist anderswo in der Welt auch nicht entscheidend, Europa selbst hält derlei Petitessen inzwischen auch ganz gut aus. Nein, ich rede von dem Land, das man vergessen hat, in die Karten zu zeichnen. Kurdistan! Das kurdische Volk hat nicht nur Saladin hervor gebracht, es erwies sich in der Vergangenheit auch als einzige muslimische Volksgruppe, deren Loyalität von keinem der typischen Despoten in Nahen Osten erkauft werden konnte und das als einziges aus den Trümmern der Saddam-Diktatur ein funktionierendes quasi autonomes Gebiet errichtete. Religionsfreiheit und Schutz von Minderheiten inclusive. Die Kurden erwiesen sich auch erstaunlich resistent gegen die zahlreichen Ideen, die auf islamischer Seite stets in der Errichtung eines Gottesstaates unter der Scharia das finale Ziel sehen. Es kommt noch besser: In kurdischen Einheiten kämpfen auch Frauen! Frau Schwarzer, ich habe lange nichts mehr von Ihnen gehört. Hier wäre doch mal ein feministischer Applaus fällig.
Es ist kein Zufall dass es aktuell fast nur Kurden sind, die dem IS in Syrien und dem Irak die Stirn bieten und nicht wenige Araber, Jesiden und Christen sich ihnen angeschlossen haben. Auch kein Zufall ist es, dass Erdogan seine Angriffe auf die PKK genau dann wieder aufnahm, als eine kurdische Partei in der Türkei die 10%-Hürde übersprang.
Was tun?
Machen wir uns nichts vor, die sechs Tornados, die die Bundeswehr nach Syrien schicken wird, sind in etwa so entscheidend wie der Beitrag Palau’s zu „Koalition der Willigen“ in G. W. Bush’s Irak-Krieg. Andere Aktionen wären jetzt nötig. Etwa die wirksame Unterbindung des „Kleinen Grenzverkehrs“ zwischen Syrien und der Türkei bzw. dem Libanon. Ebenso das konsequente Kappen sämtlicher Internetverbindungen des IS – inclusive der Satellitenverbindungen und die Austrocknung der Geldströme aus Saudi Arabien. Dann den Stopp aller Entwicklungshilfe an Staaten, die nachweislich mit dem IS zusammen arbeiten. Klare Signale nach Saudi Arabien, was wir von deren Terror-Unterstützung halten – inclusive einiger anderer Klarstellungen in Bezug auf die Menschenrechte. Dazu würde auch gehören, sämtliche Rüstungsprojekte mit diesem Scharia-Staat zu kündigen. Das wichtigste wäre aber, endlich wirksam Partei für die Kurden zu ergreifen. Da unsere Armee nachweislich nicht dazu in der Lage ist, könnten wir die Mittel des Verteidigungsministeriums eben an eine andere Armee weiterleiten, die der Sache gewachsen ist. Vielleicht sollten wir auch den in Deutschland weilenden, alleinstehenden syrischen Männern auf freiwilliger Basis anbieten, sie fit zu machen für die Befreiung ihrer Heimat, falls sie sich den Kurden anschließen wollen. Das wird nicht für alle eine Option sein, aber diese Möglichkeit sollten wir schaffen. Denn wie es schon Kevin Costner alias Robin Hood so treffend sagte „Ein Mann, der Haus und Hof verteidigt ist stärker als zehn bezahlte Söldner“.
Der IS zeigt uns, wie im 21. Jahrhundert Krieg geführt wird. Er hat uns den Krieg erklärt und muss dazu noch nicht mal einem Botschafter ein Papier überreichen. Es wird Zeit, dass wir Mut und Mittel für eine adäquate Antwort finden. Denn der IS wird nicht von allein damit aufhören, das wäre sein ideologischer Tod. Es könnte den Tod unserer Gesellschaft bedeuten, weiter derart kopflos und zerstritten aufzutreten.