Als sich am 14.10.2015 Abgeordnete der Bundestagsfraktionen der Grünen und den Linken – bestens gerüstet mit Schwimmwesten – auf einem Flüchtlingsboot über die knietiefe Spree im Regierungsviertel Berlins von sachkundigen Rettern umher schippern ließen, war am Ufer kein Mangel an Fernsehkameras und Mikrofonen. Zuschauer gab es auch viele. Was die wohl dachten?
http://www.spiegel.de/video/fluechtlingsboot-auf-der-spree-sea-watch-aktion-video-1616546.html
Ich jedenfalls hätte gern die Luft aus dem (noch nicht ganz) überladenen Schlauchboot gelassen, um entweder für ein noch realistischeres Betroffenheitsgefühl bei den Politikern zu sorgen oder um zumindest zu überprüfen ob meine Vermutung richtig ist. Nämlich das manche Mandatsträger den Grünen und der Linke so hohl sind, das sie eigentlich auch ohne Rettungsweste nicht untergehen können. Man hätte sich auch fragen können, was dieses Affentheater eigentlich sollte. Bringt der durchschnittliche Abgeordnete nicht mehr genug Empathie auf um sich vorstellen zu können, dass es kein Spaß sein kann, in einem überfüllten Schlauchboot das Meer zu überqueren? Ist die Spree für derart emotional unterbelichtete Abgeordnete ein tauglicher Vergleich zum Mittelmeer? Doch dann traf mich die Erkenntnis wie ein Hammerschlag: Hier werden Wähler verarscht, hier wird mit aller Finesse an den Fragen der Menschen in diesem Land vorbei „geantwortet“.
Niemand bezweifelt nämlich das schreckliche Leid welches die Flüchtlinge erlebt haben, wenn sie aus Libyen oder Syrien – zumal auf überfrachteten Schlauchbooten – in Europa ankommen. Absolut Niemand! Wozu also der peinliche „Motivwagen“ auf der Spree? Ganz einfach, es ist die dünnste Stelle im deutschen Brett, konzentrierte Emotion, Tränenessenz. Hier kommt man immer durch, da findet sich keine Gegenwehr. Und genau dort setzt die Politik den Bohrer an, das Narrativ lautet „ihr könnt die doch nicht ersaufen lassen!“ – und wenn ihr das nicht wollt, dann lasst uns Politiker das mal regeln. Dabei stellen die Menschen hier im Land ganz andere Fragen, auf die sie aber keine Antworten von der Politik bekommen – und zwar weder von der Regierung, noch von der Opposition. Wie viele Flüchtlinge kommen noch, warum verschwinden so viele Flüchtlinge aus den Aufnahmelagern und wohin? Wo sollen diese Menschen dann unterkommen und wie lange bleiben sie? Fliehen mittlerweile eigentlich auch die Menschen, vor denen die anderen vorher geflohen sind? Wie können wir es vermeiden, dass die Flüchtlinge ihre Konflikte mitbringen? Wie können wir den Krieg in Syrien und Libyen beenden und wenn ja, wird das genügen? Was bespricht die Kanzlerin mit den Intendanten von ARD und ZDF und warum gibt es solche Termine überhaupt? Hat die Kanzlerin nicht genug Möglichkeiten, Regierungserklärungen abzugeben? Sollen das jetzt auch noch ADR und ZDF in ihrem Namen erledigen?
German desease – der Meaculpismus
Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa…das Confiteo der katholischen Kirche hat es längst in den politischen Mainstream geschafft. In abgewandelter Form natürlich. Für die Grünen lastet die Erbsünde des Klimawandels und der Naturzerstörung auf dem Westen. Die Linken führen immer einen Eimer Imperialismus, Waffenhandel und Neokolonialismus mit sich, aus dem sie in Gesprächen gern das eine oder andere Schäufelchen unters Volk streuen. Aber wie man es auch dreht: Unter dem Strich sind wir eben an allem Schuld, was in der Welt nicht gut läuft. Am Klimawandel, den Kriegen der Welt, dem hemmungslosen Kapitalismus, der Pleite Griechenlands oder den überladenen Flüchtlingsbooten im Mittelmeer. Aber die angestrebte Buße versagt ihre beabsichtigte Wirkung! So leicht lässt sich Schuld eben doch nicht verteilen, ich zum Beispiel habe jenes Boot, das die Abgeordneten in Berlin für ihren Ausflug nutzten, in Libyen nicht zu Wasser gelassen und für die erwartbar unsichere Überfahrt kassiert. Viele andere Menschen werden ähnlich denken. Die meisten anderen Menschen artikulieren ihr Unbehagen mit der derzeitigen Situation noch nicht laut, wofür die Politik ebenfalls gesorgt hat. Sehr geschickt hat sie das inszeniert denn wer nicht „anständig“ Betroffenheit bekundet und in das „wir-schaffen-das-Mantra“ einstimmt, gehört doch eindeutig zu „denen da“, den Pegiden, Nazis, Islamophoben und Rassisten. Ganz so als müsse man sich stets entscheiden zwischen „streichele den Bären“ oder „töte den Bären“ – muss man aber gar nicht! Ich kann Bären faszinierend finden, sie am Leben lassen und ihnen aus dem Weg gehen. Gleichzeitig! Woher kommt in letzter Zeit nur der Drang, sich immer zwischen zwei Extremen entscheiden zu müssen? Ist es das Ergebnis der Alternativlosigkeit, mit der unser Land seit Jahren regiert wird? Immer wieder fährt unsere Regierung mit Vollgas an jeder Kreuzung vorbei, nur um dann auf offener Strecke in die Landschaft zu deuten und fatalistisch „es gibt nur einen Weg“ zu rufen. Hat man die Kreuzung weiter hinten nicht gesehen? Wollte nicht sehen?
Als Akif Pirincci beim Pegida-Kindergeburtstag verbal ausrastete, applaudierten die anwesenden Gratulanten brav. Wenn man es anhand des Führungspersonals der Pegida nicht schon ahnte, wurde in dem Moment schnell klar, dass sich die durchschnittliche Intelligenz der Anwesenden nur knapp über der Außentemperatur bewegte. Das sind momentan die Menschen, die jedem Deppen hinterherlaufen, der ihnen Linderung ihrer diffusen Ängste verspricht und ohne „Ähm“ Subjekt, Objekt und Prädikat aneinander reihen kann. Vor denen hat unsere Regierung keine Angst. Das ist betreutes Demonstrieren auf Schlammschlachtniveau. Je unerträglicher das Gerede der Pegida wird, umso sicherer kann sich Frau Merkel fühlen. Denn jeden vernünftigen Menschen hält schon allein die Scham davon ab, sich mit derlei Gelichter auf einen Platz zu stellen. Aber der Druck auf diese breite, noch schweigende Mehrheit wird immer größer. Wer kann sagen, ob und wohin er sich entladen wird?
Aktionen wie die Boat-People vom Berliner Reichstag sorgen jedenfalls nicht dafür, das Flüchtlingsproblem zu lösen. Es zeigt nur, dass (manche) unserer Volksvertreter ihre Hauptaufgabe darin sehen, als Betroffenheitsdarsteller emotional dünne Bretter zu bohren. Ein Phänomen unserer Zeit, ganz klar. Sonst hätten wir aus den siebziger Jahren von Abgeordneten gehört, die sich mit Napalm eingerieben und angezündet haben, um den Schmerz des Vietcongs besser zu verstehen.