Um ein Demokrat zu werden, braucht es oft Jahrzehnte voller Schule, Studium, gute Vorbilder und Gespräche, unterschiedlich ausgehende Wahlen und die Informationsbeschaffung auch außerhalb der eigenen, bequemen Filterblase. Besonders bedarf es anschließend stets des Zweifels und der Skepsis, um auch Demokrat zu bleiben. Terroristen und andere Radikale entstehen viel schneller, sie kennen den Zweifel nicht und stecken bis unter die Schädeldecke voll mit Gewissheiten. Sie leben auch moralisch bequemer, besonders dann, wenn ihre Absichten von Leuten verteidigt und idealisiert werden, die sich selbst für die tollsten Demokraten unter der Sonne halten. Was aber soll und kann man mit Terroristen und anderen Radikalen machen? Kann man sie „umdrehen“, sie durch Bildungsangebote erreichen oder umerziehen? Muss man ihnen Brücken bauen, Verständnis zeigen, Sozialarbeiter und Entwicklungshelfer zu ihnen schicken oder reicht es aus, sie zu bekämpfen? Der Kampf könnte lange dauern und unser makellos weißer Anzug aus Moral könnte Flecken bekommen – ausgerechnet jetzt, da die letzten braunen Flecken durch 70 Jahren Sonnenschein ausgebleicht sind und wir strahlend wie nie dastehen!
Doch es gibt ja noch moralische Schutzgeldzahler wie Jakob Augstein, die weiterhin stolz das PC-Abzeichen am Revers ihres weißen Appeaser-Anzugs tragen, während um sie herum längst ein erbitterter Kampf um die Grundlagen des Zusammenlebens in unserem Land tobt. So schreibt Augstein am 5.1.2017 in seiner SPON-Kolumne:
„Zwölf Menschen starben bei dem schrecklichen Anschlag in Berlin. Der Attentäter wurde in der Nähe eines Vororts von Mailand getötet. Dreizehn Menschenleben.“
Man muss diesen Satz und die darin enthaltene Rechnung (12+1=13) auf sich wirken lassen. Dreizehn Menschenleben. Alle ausgelöscht, alle gleichermaßen tot. Wer fragt da noch nach kausalen Zusammenhängen, wer nach Täter und Opfern? Dreizehn Menschenleben, zwölf davon starben halt etwas früher und etwas weiter nördlich – Augstein trauert nun aber medienwirksam um dreizehn Menschen. Ob er eigentlich weiss, dass im Dritten Reich Juden und Nazis in den KZ‘s starben? Doch, echt! Die einen eben in den Gaskammern, die anderen fielen manchmal besoffen vom Wachturm. Klingt das irgendwie richtig? Kann man das so einfach zusammenziehen, um durch eine größere Zahl proportional mehr Empathie – womöglich auf „beiden Seiten“ – zu evozieren? Nein! Die SS-Schergen in den KZ`s sind genauso wenig Opfer wie Anis Amri, den man auf keinen Fall einfach so zu seinen zwölf Mordopfern dazuzählen darf. Es ist vielmehr eine Unverschämtheit, wie Augstein Opfer und Täter zu einem „Jeder-Tote-ist-ein-Toter-zu-viel“-Blätterteig zusammenrührt, mit Betroffenheits-Sirup bestreicht und bei SPON in gutmenschlicher Wärme knusprig ausbackt. Amris Tod ist tragisch für die Ermittlungen, nicht jedoch für unseren Rechtsstaat und nicht für die Opfer und deren Familien. Ich hätte ihn gern vor Gericht und den Rest seines Lebens hinter Gittern gesehen, sein Tod lässt mich jedoch nicht Tränen ausbrechen. Tragisch für unseren Rechtsstaat ist, dass Amri in Mailand und nicht in Berlin erschossen wurde. Und gefährlich für jeden EU-Bürger ist es zudem. Angst hat nun auch Augstein, wenn auch nicht vor den Terroristen, sondern vor dem Staat, der, um seiner Schutzaufgabe nachzukommen, nun die „Handschuhe ausziehen werde“. Sicherheitswahn nennt Augstein es, wenn die Polizei ihre Arbeit macht, und dabei nicht auf Handlungsempfehlung eines zweitklassigen Publizisten hört, sondern ihr Vorgehen mit der Realität abgleicht.
Mir ist es ein Rätsel, warum der Hammer der Empörung nur Frau Peter von den Grünen traf, anstatt auch auf Augstein niederzusausen. Verdient haben es beide, als Antwort auf ihre verbale Inkontinenz die Verachtung der Bürger zu spüren, die am Silvestertag 2016 erstmals seit einem Jahr wieder das Gefühl spürte, die Polizei wäre Herr über die Sicherheitslage in unserem Land. Das passt dem Edelkommunisten von der Butterseite der Elbe aber nicht und deshalb arbeitet er sich lieber an den Plänen des Bundesinnenministers ab. Es fällt mir ehrlich gesagt stets besonders schwer, Positives über Thomas de Maizière zu sagen, aber Augsteins Unterstellung „Der Minister will einen Notstand bekämpfen, den es nicht gibt“, würde ich doch anders formulieren: Der Minister will einen Notstand bekämpfen, den er nicht erkennen wollte, als er sich andeutete – und das mit Mitteln, die es deshalb nicht gibt, weil keiner seiner Vorgänger es je soweit hat kommen lassen, dass diese Mittel gebraucht wurden und weil die USA in der Vergangenheit meist so freundlich waren, das Feuer des Terrorismus auf sich zu ziehen. Eine Tatsache, die Prä-Faktiker wie Augstein nie in ihr Antiamerikanismus-Kalkül mit einbeziehen. Ignorance is bless!
In der Kontextfalle
So wie Islamisten gern die Koran-Sure 5.32 zitieren (…wenn jemand einen Menschen tötet, …ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet), um die friedlichen Absichten des Islam zu belegen, zitiert Augstein in seiner Kolumne das Grundgesetz, um der Polizei das Gegenteil und Rassismus obendrauf zu unterstellen und seinen eigenen kruden Thesen Gewicht zu verleihen. Er macht dabei genau denselben Kontextfehler, wie all die selbsternannten Koran-Exegeten. Die Islamisten blenden aus, dass die Textstelle in Sure 5 eigentlich ein Zitat aus dem Talmud ist, dass Mohammed direkt an die Juden richtet – um den Muslimen gleich im nächsten Vers „Carte blanche“ für Mord und Totschlag an eben diesen Juden zu geben. Jeder liest eben das, was ihm am besten in den Kram passt und so macht Augstein es auch, wenn er Artikel 3 des Grundgesetzes zitiert:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Und für jeden Bürger dieses Landes gilt dieser Grundsatz, auch für jeden Polizisten. Im Artikel 2 GG steht allerdings auch: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Wer also wie Augstein in der Verwendung eines Begriffes aus der Polizeifunksprache (Nafri) und vorsorglichen Kontrollen „Diskriminierung“ wittert, die doch letztlich zur Verhinderung einer Straftat gegen Artikel 2 des Grundgesetzes geführt haben, was wiegt dann schwerer? Artikel 2 oder 3? Was war eigentlich zuerst da: der Terror und massenhafte sexuelle Belästigung oder die Sicherheitsdebatte? Wird die Sicherheit verschärft, weil es Terror gibt oder nimmt der Terror zu, weil dieser sich gegen unverhältnismäßige Sicherheitsmaßnahmen „zur Wehr setzen muss“? Und muss man nicht auch Artikel 8 GG berücksichtigen, in dem es heißt: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
„Ohne Waffen“ klappt aktuell leider nicht mehr so gut, denn wenn friedliche Versammlungen nicht durch jede Menge Waffen beschützt würden, könnten sie gar nicht mehr stattfinden. In Artikel 8 ist übrigens ausdrücklich nicht von allen „Menschen in Deutschland“, sondern von „allen Deutschen“ die Rede – „die schon länger hier leben“ waren 1949 noch nicht erfunden. Zufall oder Petitesse? Wohl kaum. Denn genau so, wie die Wirkung des Grundgesetztes an den Staatsgrenzen endet, gilt es in weiten Teilen ausdrücklich und ausschließlich für deutsche Staatsbürger. Eine spontane Versammlung von 1.000 Nordafrikanern auf dem Domplatz ist also genauso wenig vom Grundgesetz der Bundesrepublik geschützt, wie die Versammlung von 30.000 Erdogan-Fans in einem Fußballstadion oder ein Jahrestreffen der „Befürworter der indischen Witwenverbrennung“ in Kassel. Nur letzteres ist frei erfunden. Noch! Wenn das keine Diskriminierung traditioneller indischer Lebensweise ist, weiss ich nicht, was sonst. Ergänzt man die Argumentation dann noch um Artikel 11 GG, in dem es heißt:
„Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“, stellt man fest, dass das Misstrauen der Polizei gegenüber einer „zufälligen“, aggressiven und zahlenmäßig großen Gruppe von „gewissen Leuten“ durch das Grundgesetz geradezu gefordert ist!
Der Staat und die Samthandschuhe
Wenn man sich bei Augstein auf eines verlassen kann, dann darauf: will er zeigen, wo alles so richtig schiefläuft, schaut er nach Israel oder in die USA. Deshalb ist es für ihn auch folgerichtig, dass der Bemerkung von Ex-Verteidigungsminister Rumsfeld, man müsse im Umgang mit Terroristen „die Handschuhe ausziehen“, die Folterbilder aus irakischen Gefängnissen kausal folgen mussten. Seltsamerweise folgen den Apellen der Appeaser nie Frieden und Gewaltverzichte auf der Seite der Terroristen. Ja, man tut dort nicht einmal so, als hätten die Appeaser mit ihren Selbstbezichtigungen und Anschuldigungen gegen den Westen (der trotz allem ihre Zeitungen und ihre Bücher kauft) vielleicht recht und wenn wir alle nur auf die Appeaser hören würden, hörten Übergriffe, Anschläge und das Morden sofort auf. Die Anis Amris dieser Welt hören dummerweise nicht auf die Augsteins dieser Welt, freuen sich aber sehr über deren moralische Unterstützung.
Dieser Staat, der sich gegenüber seinen „Gästen“ mittlerweile als nicht mehr ganz so naiv und übervorsichtig erweist und der angeblich „die Handschuhe“ ausgezogen habe, kennt jedoch seltsamerweise keine Zurückhaltung, wenn es um die Durchsetzung des Rechts gegenüber seiner autochthonen Bevölkerung geht. Keine Handschuhe, nirgends! Wenn es um GEZ-Gebühren, einen abgelaufenen Personalausweis oder eine Geschwindigkeitsübertretung geht, kennen Behörden und Gerichte keine Scheu vor dem Subjekt der Bestrafung – was auch daran liegen könnte, dass selbst der renitenteste GEZ-Verweigerer dazu neigt, den Rechtsweg zu gehen, anstatt mit einem gestohlenen LKW oder einer Axt in „die Herzen seiner Mitbürger“ vorzudringen. Und seltsamerweise geht selbst von einer zornbewegten und „Lügenpresse“ brüllenden Pegida-Demo immer noch deutlich weniger konkrete Gefahr für Leib und Leben anderer Bürger aus, als von einer „zufälligen“ Zusammenrottung hunderter Zuwanderer in den Innenstädten von Frankfurt, Dortmund oder Köln am Silvesterabend. Gegenüber seinen eigenen Bürgern hat sich der Staat längst eine dicke Hornhaut zugelegt, während er gegenüber den aktuellen Gefahren des Islamismus und der Barbarei die Sensibilität einer Schleimhaut zeigt. Es wird Zeit, dass sich das ändert, denn Deutschland wird nicht am Hindukusch, der Hindukusch wird längst in Deutschland verteidigt!
Zuerst erschienen auf unbesorgt.de
Das blaue Sofa / Club Bertelsmann. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jakob_Augstein_001.jpg