Revolution

Im Sudan, dem flächenmäßig größten afrikanischen Staat*, findet gerade eine Revolution statt, die in der deutschen Medienlandschaft relativ wenig Beachtung findet. In der ausländischen, vor allem englisch sprachigen Presse zeigt man weit mehr Interesse. Das letzte Mal, als der Sudan bei uns größer in den Schlagzeilen war, war die vom Westen forcierte Abtrennung des Südsudan. Heute sind die Leute im Südsudan die unglücklichsten Menschen in ganz Afrika. Aber das nur am Rande.

Darüber, wie die islamistische Regierung unter Diktator Al Bashir 25 Jahre dort gewütet hat, schrieb ich bereits einen Artikel. Das Land wurde von den Islamisten aus den Golfstaaten vollkommen zugrunde gerichtet. Daneben gab es schwerste Menschenrechtsverletzungen, z.b. in Darfour, von wo auch Kinder nach Saudi Arabien als Soldaten gegen den Jemen verschleppt wurden, getreu dem Kampf der Wahabiten gegen jegliche Minderheiten, was sie aber nicht daran hindert, diese als Sklaven und Kindersoldaten auszubeuten.

Das, so kann ich guten Gewissens behaupten, denn ich kenne etliche Sudanesen seit Jahrzehnten, mit ihnen hat mein Kontakt zur afrikanischen Community in Wien begonnen, ist nicht der Geist des sudanesischen Volkes. Und deswegen konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich dieses Volk gegen den wahabitischen Ungeist aus den Golfstaaten erhebt.

Die Proteste toben seit Monaten, ohne dass das bei uns überhaupt bemerkt wurde. Auf einem Platz vor dem Militärhauptquartier in Khartoum, der weit größer als der Tahir Platz in Kairo ist, wo der arabische Frühling begann, versammeln sich zeitweise bis zu 3 Millionen Menschen aus allen Teilen des Landes und aller dort vorhandenen Konfessionen. Die gegenseitige Unterstützung und Solidarität ist riesig, die Protestierenden werden mit Essen etc. versorgt.

Wer dahinter steckt

Natürlich ist auch diese Revolution nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen, sondern wurde von langer Hand geplant, und zwar von der ins Ausland geflohenen, eher linksgerichteten Elite des Landes, Ärzte, Anwälte, Professoren etc.. Die geheimen Vorbereitungen dafür liefen bereits seit Jahren. Als das Volk zu murren begann wegen stark gestiegener Lebenserhaltungskosten, sahen sie ihre Stunde gekommen, viele kehrten deswegen in die Heimat zurück.

Die Gruppe nennt sich "Sudanese Professionals Association" und strebt eine zivile, demokratische, unparteiische Regierung an.

Ausführliche Berichte auf BBC:

https://www.bbc.com/news/world-africa-48049936

Die Rolle der Frauen

Maßgeblich vorangetrieben werden die Proteste von Frauen, die nun fast 30 Jahre übelste Unterdrückung durch das Islamistenregime hinter sich haben.

"Zagrouda", ein spezieller Gesang von Frauen, ist zum Aufrufcode für die Proteste geworden, wenn die Menschen diesen Gesang hören, ist das der Aufruf, los zu marschieren.

https://www.opendemocracy.net/en/5050/womens-stories-from-the-frontline-of-sudans-revolution-must-be-told/

Eine Galionsfigur der Revolution ist die 22 Jahre alte Studentin Alaa Salah, die im traditionellen "Toub", einem weißen Gewand, das bereits bei früheren Revolutionen eine Rolle spielte, die Protestierenden von einem Autodach aus anfeuert.

https://derstandard.at/2000101165936/Sudans-Revolution-bekommt-ihre-Ikone

Der Hass auf die Islamisten ist groß

Nach fast 30 Jahren unvorstellbarer Unterdrückung, Sharia Recht, Rechtlosigkeit für Frauen und Minderheiten, durch den wahabitischen Präsidenten und Diktaror Bashir, ist der Hass auf die Islamisten aus den Golfstaaten groß. Symbolisch wird er ausgedrückt durch etwas, das man bei uns Blechhäferl nennen würde, im Sudan heißt es Koz, Kezan, ein Trinkgefäß armer Leute. Jemanden so zu nennen, ist eine ziemlich schlimme Beleidigung. Als solches werden jetzt die Islamisten und Muslimbrüder bezeichnet, auf die man symbolisch mit Füßen tritt. Die Proteste selbst verlaufen allerdings strikt friedlich.

Man überlegt sogar, aus der arabischen Liga auszutreten, was vermutlich tatsächlich eine gute Idee wäre, um sich vom Mittelalter Islam aus den Golfstaaten abzusetzen.

Stand der Dinge

Nachdem das Militär sich auf die Seite des Volkes gegen den Präsidenten wandte und diesen absetzte, wird zäh verhandelt (Details dazu im oben verlinkten BBC-Bericht).

Diktator Bashir wird zwar theoretisch mit internationalem Haftbefehl gesucht, um wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt zu werden, aber durchsetzen konnte das bislang niemand. Vielleicht gelingts ja jetzt, dass er ausgeliefert wird. Nebenbei hat er noch ca. 100 Millionen Dollar für sich privat gebunkert. Immer interessant, was man selbst aus ärmsten Ländern noch heraus quetschen kann. Die größten Ausbeuter der Afrikaner bleiben ihre eigenen Regierungen, auch wenn man das im Westen nicht wahrhaben will.

Das Militär hat nun laufend Mitglieder als Regierende nominiert, diese wurden aber vom Volk nicht akzeptiert, das ungebrochen und friedlich weiter demonstriert, und sofort wieder zum Rücktritt gezwungen, denn die Absetzung Al Bashirs alleine reicht noch lange nicht. Manche Generäle werden auch als Islamisten und Gefolgsleute von Bashir beschuldigt. Hier scheint nun der Punkt zu sein, an dem man sich vom "arabischen Frühling" unterscheidet, der in Ägypten offenbar keinen echten Plan für Danach hatte, sondern dann gleich den Muslimbrüdern in die Hände fiel, die das Machtvakuum für sich zu nutzen wussten. Im Sudan hatte man bereits im Vorfeld den Plan für Danach.

Derzeit scheinen die Verhandlungen erfolgreich zu verlaufen und das Militär stimmt einer Übergangsregierung zu, in der es zwar selbst auch noch vertreten ist, die aber im Wesentlichen von der Gruppe Sudanese Professionals Association gestellt wird.

Nach einer Übergangszeit sind demokratische Wahlen geplant.

Ich wünsche jedenfalls dem sudanesischen Volk alles Gute und hoffe, dass ihnen die Sensation gelingt, ein islamistisches Regime durch einen demokratischen Staat zu ersetzen.

Keine Diktatur ist stark genug, wenn sich das Volk entschlossen und geschlossen dagegen erhebt, das ist die Botschaft aus dem Sudan.

Ein Teil dieses Berichtes beruht auf Gesprächen mit meinem sudanesischen Freund I.H.A.

* Zur Größe des Sudan wurde angemerkt, dass er nur noch der drittgrößte Staat ist. Das stimmt, das ist aber erst seit 2011 durch die Abtrennung des Südsudan so.

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