Ich bin ja an und für sich dafür bekannt, dass ich außerhalb der Schubladen zu leben versuche. Egal in welche mich die Welt gerade stecken will, ich passe einfach nicht rein.
Und es gab schon viele Schubladen, die mir "angeboten" wurden.
Das begann sehr früh. Geboren wurde ich mit einer Querschnittslähmung. Und schon wurde die erste Schublade aufgemacht. Sie, haben sie gesagt, wird nie eine normale Schule besuchen können.
Matura? Unmöglich. Nun, die nächsten 18 Jahre meines Lebens habe ich bewiesen, dass diese Schublade bestimmt nicht meinen Namen trägt.
Die Wahl einer Ausbildung war auch nicht einfach- es wurden mir Dinge verwehrt. "Nicht zugänglich, tut uns leid. Sie finden bestimmt etwas anderes".
So war es immer wieder. Ich musste immer wieder meine Kreativität bemühen, um einen anderen Weg zu finden.
Ärzteempfehlungen konnte ich auch nicht immer wahrnehmen- nicht barrierefrei. Nun gut, dann muss ein anderer her.
Unzählige Kämpfe habe ich geführt, um meinen Weg gehen zu können. Um vielleicht doch einen Weg zu finden, das machen zu können, was ich mir erträumt habe.
Und viele dieser Kämpfe habe ich verloren. Und mich damit, nach einem kurzen Aufflammen von Wut auf die Welt, die Gesellschaft, auch abgefunden. Mehr oder weniger. Musste ich ja, was blieb mir anderes übrig?
Nur bin ich jetzt, nach 35 Jahren Leben mit Kompromissen und Kämpfen an einem Punkt angekommen, wo ich nicht mehr einsehe, warum es so sein muss.
Warum schiebt mir die Welt immer wieder einen Riegel vor meine Träume? Woher nimmt sich die Welt das Recht, mich immer wieder in Schubladen zu weisen? Nur weil ich mein Leben im Rollstuhl verbringe? Das kanns doch nicht sein, nicht mehr 2015, ich weigere mich da mitzumachen. Und doch muss ich es. Denn immer wieder mal kommt jemand und sagt: "Sorry, tut uns leid, wir wissen nicht, wie wir das (Stufen-) Problbem lösen sollen."Und alle sind dabei immer wahnsinnig verständnisvoll und zeigen mir zum Trost eine Schublade, von der sie glauben, dass sie für mich doch wunderbar sein müsste.
Ist sie aber nie, war sie nie, und wird sie nie sein. Danke, kein Interesse, antwortete ich immer. Und erntete hilfloses Schulterzucken: Na, dann nicht.
Nun zu meinem aktuellen Kampf. Betreff: Wohnungsfindung.
Offenbar in der heutigen Zeit, trotz Behindertenkonvention und Inklusion und all den schön klingenden Worten immer noch eine unmögliche Kombination, die einem das Leben wieder mal unglaublich schwer macht. Obwohl es das nicht sein müsste.
Denn es gibt ja Gesetze, die das alles leichter machen sollten. Theoretisch. Denn praktisch waren die letzten 8 Wochen für mich eine Höllenfahrt nach der anderen. Aber mal ganz von Anfang.
Wir spulen kurz die Zeit zurück bis Ende Mai 2015. In diesem Zeitraum habe ich eine Wohnung gefunden. Nicht einfach eine Wohnung. DIE Wohnung. Die Wohnung nämlich, die genau das ist, was ich mir vorgestellt habe, alle Punkte meiner Prioritätenliste würde sie erfüllen, alle Annehmlichkeiten die man sich vorstellen kann sind inklusive. Hach, wie schön. Denn, man mag es kaum glauben, es wäre alles perfekt: Der Preis, die Größe, die Lage. Ein Traum. Gut, also freuen und drauflos imaginieren, wie sie denn aussehen wird, so fertig eingerichtet und wohnlich gemacht. Richtig? Falsch.
Ich konnte mein Glück nicht fassen. Für genau 5 Tage hielt dieser Glückszustand dann an. Denn dann kam die Hiobsbotschaft: Der einzige, für mich nicht unwesentliche Haken dabei ist, dass die Terrasse nur über eine Stufe (eigentlich 2, aber egal) erreichbar ist. So weit so gut. Nun, das Problem müsste doch zu lösen sein. Dachte ich. Ach wie naiv ich doch war. Kann ja nicht sein, habe ich mir gedacht und nachgehakt. Denn es muss doch möglich sein, diese Schwelle zu eliminieren, vor allem bei einem Bauprojekt, das gerade erst im Entstehen ist(!!). Dachte ich mir.
Tja. Falsch gedacht. Auf Nachfragen kamen doch tatsächlich- vorsicht, festhalten!- Aussagen wie "Na, nehmens halt ne andere". Wohnung, nämlich.
-Effektpause-
Ähm, wie bitte? Was soll ich? Ich soll eine andere Wohnung im selben Projekt nehmen, denn da ist die Schwelle nicht vorhanden, empfahl man mir ernsthaft. Was erstens schon an sich eine Frechheit ist, und zweitens eine glatte Lüge. Sie ist nur kleiner. Statt 2 Stufen, ist es in den anderen Wohnungen nur eine. Aha. Ich soll also eine andere Wohnung dort nehmen und dort tagtäglich sitzen und sehen, wie ein anderer in MEINER Wohnung wohnt? Ernsthaft???
Meine Wut im Bauch stieg, mein Unglauben auch und von der Frechheit dieser Aussage war ich ganz und gar sprachlos.
So mancher mag jetzt vielleicht sagen: Naja, ist ja oft so- die Stufe bei der Terrasse, das kennt man ja. Richtig? Falsch. Stimmt nämlich ganz und gar nicht, dass es so sein muss. Es gibt genug Beispiele, dass es anders geht. Meine aktuelle Wohnung inklusive. Alle Nachbarn haben diese Schwelle, bei mir wurde sie entfernt. Anstandslos und ohne Probleme. Also- es geht. Deswegen. Und da es sich hier um ein Bauprojekt handelt und nicht um eine bestehende Wohnung geht es gleich noch viel leichter. Finde ich. Aber leider bin ich mit meiner Meinung allein. Ich persönlich finde ja, dass an diesem Punkt schon alle Betreffenden in der Firma rotieren hätten sollen, angesichts der Tatsache, dass es da jemanden gibt, der echtes Interesse am Kauf dieser Wohnung hat. Aber: nichts.
Wie es meine Art ist hab ich mein kreatives Hirn auf Overdrive geschalten und versucht eine Lösung zu finden. Einen Weg zu finden, um mein Ziel zu erreichen. So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen, diesmal nicht! Ich habe keine Lust mehr auf Kompromisse- ich habe das RECHT auf meine Träume, habe das RECHT, genau so handeln zu können, wie alle anderen. Vor allem da ich ja eigentlich nur zugreifen müsste, und das ja auch will. Also los, auf in den Kampf: So habe ich mich im Internet schlau gemacht und schlussendlich einen Brief an alle Organisationen geschrieben, die mir eingefallen sind. Barrierefreies Bauen Wien, Bizeps, etc pp. Ich habe sie ALLE kontaktiert. Ich muss zugeben, ich habe mir nicht viel Reaktion erwartet- und war von der Resonanz auf mein Schreiben dann doch überwältigt. Bis zu einem gewissen Punkt. Dem Punkt nämlich, dass- und das hat mich umgehauen- es das Gesetz der Barrierefreiheit und die Behindertenkonvention zwar tatsächlich gibt, und die Frist der Umsetzung in Österreich ist bis 2020 (oder ist es jetzt doch 2016, oder doch schon seit 2012?... sie wurde so oft verschoben, dass ich tatsächlich den Überblick verloren habe, OBWOHL ich alle Gesetzestexte und alles Material zum Thema, das das Internet ausspuckt, gelesen habe...(!!!))
Und so habe ich zwar viele Reaktionen auf mein Mail bekommen, aber die Konklusio der Geschichte ist, dass dieses Gesetz zwar existiert (juhu!) aber der Haken (schon wieder, immer diese verdammten Haken...) an der Sache ist, es gibt das Gesetz, aber was es nicht gibt, und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, ist eine Behörde, oder Stelle, oder was auch immer, von mir aus auch ein einzelner Mensch, der die Umsetzung der Behindertenkonvention im Bereich Barrierefreiheit in Wohngebäuden (oder öffentlichen Gebäuden, oder oder oder) auch PRÜFT. Das nämlich, so hat mir eine wirklich sehr zuvorkommende Jurisitin per mail erklärt, ist Sache der Betroffenen.
-Effektpause-
Heißt im Klartext, dass es an uns, die wir auf uns selbst angewiesen sind wenn es um die Umsetzung der Barrierefreiheit in der Stadt geht, um an dem öffentlichen, und wie man sieht auch an dem Leben in den EIGENEN VIER WÄNDEN teilnehmen zu können.
So weit so gut- ich sage ganz ehrlich, ich bin langsam echt soweit, dass ichs machen würde. Wenn man mich ließe. Damit´s irgendwer macht, denn es ist notwendig. Dringendst notwendig.
Einen Jobtitel hätte ich auch schon: Barrierebeseitungsbeauftragte der Baubehörde. Staatich geprüft oder mit Diplom oder zertifiziert wäre mir an dieser Stelle egal.
(Jobangebote werden im Übrigen ab sofort entgegen genommen)
Gut, nachdem ich mein Magengeschwür wachsen hören konnte dachte ich mir also: Gut, dann mach ich das. Kein Problem. Ich bin bereit. Zumal ich ohnehin immer wieder im Leben das Gefühl hatte, irgendwer da oben, sei es das Schicksal, Gott, Shiva oder wer auch immer, hat mich dazu auserkoren, auf diesem Gebiet etwas in unserem Land zu bewegen. Gut, und so befinde ich mich seit 5 Wochen in einem Kampf mit besagter Baugesellschaft, deren Name sich ironischer Weise auf eine Serie, die ich in meiner Kindheit geliebt habe, reimt- die EWOKS nämlich.
Wenn das der Weg ist, den ich gehen muss, dann los. Ich bin bereit. Denn ich habe einen Traum. Diese Wohnung nämlich.
Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, war dass ich 5 Wochen später noch immer im selben Kampf stecke, mir noch wildere Kommentare (und Ausreden..) als das oben erwähnte anhören muss und es nicht eine Person gibt, die auch nur zu einem Gespräch bereit ist. Nicht eine. Und das ärgert mich. So sehr, dass ich es gar nicht auszudrücken vermag. Ich habe alle meine Worte schon verschwendet, es sind keine mehr da. Ich bin argumenteleer, mein Akku ist auf Reserve. Das Einzige was mir bleibt, ist dieser Traum von meiner zukünftigen Wohnung.
Ich habe wirklich nicht mit den Querschlägern dort gerechnet, den Sich-quer-stellern, den Uneinsichtigen, die mir diesen Weg so unendlich schwerer machen, als er meinem Gefühl nach sein müsste.
Denn, man glaubt es kaum, so viele kreative Lösungen, wie ich anbiete, um das Problem Niveauunterschied zu beheben, (und ich habe viiiiele), so viele Gegenargumente ernte ich. Und noch schlimmer, man kommt nicht mal zu den Menschen durch, den Technikern nämlich, um mit denen das Problem von der baulichen Seite zu betrachten und gemeinsam eine Lösung anzudenken. Alles was kommt, ist ein Nein von allen Seiten. Nicht sofort, nicht vehement, aber doch immer wieder- wenn ich glaube, dass ich einen Schritt näher bin, kommt jemand und macht eine Schublade auf und zeigt mir, wo ich ihrer Meinung nach doch viel besser wohnen könnte- in einer Schublade nämlich, klein und fein, eine Schublade, die man zumachen kann, damit sie sich meine Proteste nicht mehr anhören müssen. So würden sie sich das wünschen. Ach ja, und die Schublade hat natürlich keine Terrasse. Denn die sind, was ich so gelesen habe in den letzten Wochen, sowieso für Rollstuhlfahrer als "nicht notwendig" bewertet.... wieso sonst werden was barrierefreies Bauen betrifft Unterschiede zwischen Wohnbereich und Außenbereich gemacht? Ein Rollstuhlfahrer hat kein Recht auf einen Außenbereich? Wie bitte?? Die Begründung dafür würde ich sehr gerne hören. Aber keiner konnte sie mir geben. Was allein ja schon alles sagt finde ich.
Und unweigerlich drängt sich mir eine Erinnerung aus meiner Kindheit auf. Die Erinnerung an eine Demonstration, an der ich als Schulkind teilgenommen habe, zum Thema Integration. Alle waren da, meine Lehrer, meine Schulkollegen, mit und ohne besondere Bedürfnisse. Es ging um die Tatsache, dass Integrationsklassen gut und notwendig sind. Und auf unserem Transparent stand: Integration, ein Lippenbekenntnis?!
Es macht mich traurig und wütend, dass unsere Gesellschaft 24 Jahre später immer noch keinen Schritt weiter ist- nur steht offenbar heute darauf: Inklusion, ein Lippenbekenntnis?!