Seit vielen Jahren wird die Reformunfähigkeit Österreichs beklagt. Diese wird aber weniger durch die handelnden Personen als durch strukturelle Faktoren verursacht. Im Kern liegt es an der Verschränkung von Sozialpartnerschaft, Listzenwahlrecht und Föderalismus.
Um mit der Sozialpartnerschaft zu beginnen: Die Interssensvertretungen haben es beginnend mit Mai 1945 verstanden, sich in vielen Bereichen gesetzliche Mitwirkungsrechte zu sichern. Durch die Zwangsmitgliedschaft haben sie sich ein de facto Besteuerungsrecht verschafft. Unter dem Titel der Selbstverwaltung kontrollieren sie den Zugang zu vielen beruflichen Tätigkeiten. Am schlimmsten ist hier wohl die Wirtschaftskammer mit ihrem Beharren auf der antiken Gewerbeordnung.
Die Länder beharren auf ihre Stellung als autonome Staaten und legen dabei zunehmend parasitäre Tendenzen an den Tag. Sie stellen über den Finanzausgleich die Finanzierung ihrer Bedürfnisse sicher, indem sie sich an den vom Bund eingehobenen Steuermitteln bedienen. Gleichzeitig lehnen sie aber jede Kontrolle der Gebarung mit diesen Mitteln durch den Bund ab. Obwohl der Bund rechtlich für die Bundesländer nicht haftet, ist es etwa Kärnten gelungen, seine schlagend gewordenen Haftungen auf den Bund überzuwälzen.
Eine Änderung dieser absurden Zustände ist aber ausgeschlossen, da vor allem in den beiden Regierungsparteien die Nationalratswahllisten zum größten Teil durch die Landesparteien (Oft von machtbewußten Landeshauptleuten geführt) und die jeweiligen sozialpartnerschaftlichen Vorfeldorganisationen (Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, Arbeiterkammer, ÖGB etc.) erstellt werden. Damit ist gesichert, dass im Nationalrat keine Chance auf tiefgreifende Reformen besteht, da diese Abgeordneten genau wissen, dass sie ihr weiterer Verbleib im Parlament nicht von den Wählern abhängt, sondern davon, dass sie wieder auf einen wählbaren Listenplatz gesetzt werden.
Hinzu kommt noch, dass sich ÖVP (z. B. Raiffeisensektor) und SPÖ (z.B. Sozialversicherungen, ÖBB und Unternehmen der Stadt Wien) ganze Wirtschaftssektoren geschaffen haben, in denen treue Parteigänger mit lukrativen Posten versorgt werden können.
So lange diese Strukturen weiter bestehen, gleicht Österreich einem Sumpf. Jeder Regierungswechsel ist wie das Entfernen von trockenem Schilf. Der Sumpf bleibt und alsbald wächst wieder grünes Schilf nach.
Solcher Strukturen haben sogar der anfangs von großem Reformelan getragene Regierung Schüssel/Haider widerstanden. Vor allem an Haider zeigte sich auch ihre korrumpierende Kraft. So wie er Landeshauptmann und seine Partei Teil der Regierung war, ging es in erster Linie darum, sich und seine Anhänger zu bereichern, anstatt die korrupten Strukturen zu verändern. Es ist geradezu tragisch, dass selbst ein derart systemkritischer Politiker wie er dieser korrumpierenden Versuchung nicht widerstehen konnte.
Auch Alfred Gusenbauer fiel den beharrenden Kräften zum Opfer. Als er nach dem BAWAG-Skandal die Interessensvertreter aus dem Nationalrat verbannen wollte, war sein Schicksal besiegelt. Faymann versicherte sich der Unterstützung von Gewerkschaften und der Arbeiterkammer und konnte ihn im Sommer 2008 stürzen.
Vor diesem Hintergrund tut mir Sebastian Kurz schon jetzt leid. Solange die oben beschriebenen Strukturen bestehen, kann auch der begabteste Politiker nichts bewirken. Kurz wird sich an den beharrenden Kräften von Föderalismus und Sozialpartnerschaft aufreiben und nach wenigen Jahren als verbrauchter und gescheiterter Mensch da stehen.
Wirklich reformfähig wäre Österreich erst dann, wenn folgende Maßnahmen getroffen werden:
1) Einführung eines Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster
2) Steuerhohheit für die Bundesländer bei gleichzeitiger Abschaffung des Finanzausgleichs und verfassungsgesetzlichem Verbot jeder Schuldübernahme des Bundes für ein Bundesland oder eines Bundeslandes für ein anderes.
3)Entfernung der Kammern aus der Rechtsordnung, wobei es ihnen unbenommen ist, sich als Vereine neu zu gründen und die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten.
Da diese Maßnahmen derzeit keine Aussicht auf Erfolg haben, ist - ganz abgesehen von der katastrophalen Struktur der ÖVP mit ihren Bünden und egomanischen Landeshauptleuten - schon jetzt absehbar, dass auch Kurz daran zerbrechen wird.
ÖVP Fotograf