Ukraine: Betrug in Millionenhöhe mit europäischem Gas

Reuters, Laszlo Balogh

In der vergangenen Woche kehrte die Bundeskanzlerin Angela Merkel aus den USA zurück – mit einem in Washington ausgehandelten Abkommen mit den USA, das die Fertigstellung der Gas-Pipeline Nord Stream 2 an bestimmte Auflagen für Deutschland koppelt. Andernfalls drohten der deutschen Wirtschaft US-Sanktionen.

Am Mittwoch wurde die dazugehörige gemeinsame deutsch-amerikanische Erklärung veröffentlicht. Hauptbestandteil des Abkommens zwischen Washington und Berlin ist die Erhöhung der deutschen und EU-Investitionen in die ukrainische Wirtschaft, um deren Energiesektor zu unterstützen, einschließlich des Übergangs zu „grünen“ Energietechnologien.

Zudem wollen die USA und Deutschland einen Fonds mit einem Volumen von mindestens einer Milliarde US-Dollar für Investitionen in eine sogenannte Energiewende und in die Energiesicherheit der Ukraine einrichten. Deutschland wird zunächst rund 150 Millionen Euro in den Fonds einzahlen. Die Bundesregierung wird anschließend „auf eine Steigerung der Zusagen in den kommenden Haushaltsjahren“ zugunsten des Fonds hinarbeiten.

„Ferner wird Deutschland es unterstützen, dass über den EU-Haushalt im Zeitraum 2021 bis 2027 Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Energiesektor mit Beiträgen im Umfang von bis zu 1,77 Milliarden US-Dollar gefördert werden“, heißt es weiter in der Erklärung. Der deutsche, europäische und sogar US-amerikanische Steuerzahler ist fortan praktisch verpflichtet, der Ukraine ein üppiges Investitionsvolumen auf Dauerbasis zur Verfügung zu stellen.

Aber auch deutsche Unternehmen in privater Hand werden zur Kasse gebeten. Noch im März berichtete das „Handelsblatt“, dass Angela Merkel auf dem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum deutsche Unternehmen zu stärkeren Investitionen in der Ukraine aufrief – um sich von drohenden US-Sanktionen freizukaufen: „Um das Projekt fertigstellen zu können ohne weitere US-Sanktionen dagegen, bietet die Bundesregierung der neuen US-Regierung unter Joe Biden eine stärkere Unterstützung der Ukraine an.“

Auf dem Forum versicherte auch der aus Kiew zugeschaltete Präsident Wladimir Selenski, dass sein Land weiter den „Weg tiefgreifender Reformen“ gehen werde, um für Investoren interessant zu sein und Unternehmen Rechtssicherheit zu bieten. Das Ziel bleibe die Mitgliedschaft in der EU. Wie das Portal für Rechtsanwälte pravo.ua schrieb, ist jedoch „die Verbesserung des Investitionsklimas in der Ukraine […] fast zu einer nationalen Idee geworden, die mehr und mehr einem frommen Traum gleicht“.

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Der fromme Wunsch, ja. Ich habe an all diese Mantras – „Investiert in die Ukraine!“ – gedacht, als mir ein bekannter ungarischer Journalist jüngst über einen Betrugsfall in Millionenhöhe erzählte. Der Betrug habe direkt mit der Ukraine zu tun und es gehe um Millionen Euro. Ich hatte ihm zuerst nicht geglaubt. Dann hat er mir ein polizeiliches Dokument zugespielt.

Diesem zufolge hat der Anwalt der Firma Energy Strategy Kft gegenüber der Polizei angekündigt, dass sein Mandant eine Anzeige erstatten werde und versprochen, dazugehörige Beweisunterlagen auf einer DVD zu übergeben. Das war im Mai, das Verfahren läuft also mittlerweile. Wer die Beschuldigten sind, ist aus dem Dokument nicht ersichtlich. Deren Namen konnte mir aber mein Bekannter nennen – es geht um eine ganze Gruppe ukrainischer Unternehmen, zu denen Transgazpostach, Trader Gas, Gaz Leader und Tech Prom Gas gehören.

Wie die Namen der Unternehmer verraten, sind diese allesamt auf dem Gasmarkt tätig, geleitet werden sie in der Regel von den ukrainischen Staatsbürgern mit Wohnsitz in der Europäischen Union. Nach vorhandenen Informationen stehen diese Unternehmen mit einem großen Gas-Händler mit Sitz in Bulgarien in Verbindung. Sie kaufen Gas in Europa und verkaufen es in der Ukraine. Oder schmuggeln, wie eine weitere Recherche zeigt: Die Begünstigten des Gebarens dieser Unternehmen sollen die ungarische GmbH Energy Strategiy Kft um fast fünf Millionen Euro betrogen haben.Es ist offensichtlich, dass die EU vor solchen Tatsachen nicht die Augen verschließen darf.

Die Unternehmen, deren Aktivitäten von der Budapester Polizei nun überprüft werden, treten auch in mindestens sieben weiteren Strafverfahren in Erscheinung, die bereits in der Ukraine geführt werden. Die Hauptdelikte, die ihnen zur Last gelegt werden, sind Schmuggel mit Gas im Wert von 470 Mio. Griwna (ca. 14,7 Mio. Euro) und eine Schädigung des ukrainischen Staates in Höhe von 200 Mio. Griwna (ca. 6,25 Mio. Euro).

So hat ein Kiewer Gericht bereits im Vorjahr die Konten von Trader Gas und Gas Leader wegen illegaler Gasimporte beschlagnahmt. Die Tatvorwürfe lauteten: illegale Einfuhr von Erdgas und Steuerflucht. Der entsprechende Beschluss wurde am 13. März im Register der Gerichtsentscheidungen veröffentlicht.

Am 6. März 2020 hatte das Kiewer Bezirksgericht Pechersk zudem eine Zwangsverwaltungsanordnung über die Konten von Trader Gas GmbH und Gas Leader GmbH erlassen. Grund war der Verdacht der Einfuhr von Erdgas auf das Territorium der Ukraine auf Grundlage eines illegalen Schemas unter Verletzung von Zollbestimmungen und ohne Zahlung von Steuern.

Während der vorgerichtlichen Untersuchung wurde festgestellt, dass Mitarbeiter von Trader Gas, Gas Leader sowie anderer von ihnen kontrollierter Unternehmen mit Beamten des Energiezolls konspiriert haben, um ein illegales Schema zur Legalisierung von Geldern zu schaffen, die aus in die Ukraine importiertem Erdgas und dessen anschließendem illegalem Verkauf stammen. Es versteht sich von selbst, dass dabei Zoll- und Steuervorschriften verletzt wurden.

Volles Ausmaß noch nicht absehbar

Laut der Untersuchung hat Trader Gas seit April 2019 insgesamt 201 Mio. Kubikmeter Gas importiert, während es tatsächlich nur 82 Mio. Kubikmeter angegeben hatte. Trader Gas verkaufte das nicht registrierte Gas ohne Zahlung von Zollgebühren an mehr als ein Dutzend Unternehmer, darunter auch die Tech Prom Gas GmbH. Es geht also offenbar um ein Netzwerk der beteiligten Unternehmen – und bekannt geworden ist bislang nur das, was aufgeflogen ist. Wie viele krumme Geschäfte weiter im Verborgenen bleiben, kann zurzeit noch niemand sagen.

Was aber in diesem Fall bekannt ist: Infolge des illegalen Schemas der Einfuhr und des Weiterverkaufs von Erdgas sind dem Staat 87,6 Mio. UAH an Zollzahlungen entgangen. Das sind ca. 2,7 Millionen Euro. Das Gesamtvolumen des von Trader Gas illegal verkauften Gases entspricht ca. 0,4 Prozent des jährlichen Bedarfs der gesamten Ukraine. Ist das viel? Ja, weil es nicht der einzige Betrugsfall ist, der aufgedeckt wurde. Zudem kommt nicht alles, was an Veruntreuung geschieht, auch ans Tageslicht.

Solche Handlungen seitens einer skrupellosen Unternehmensgruppe sind ohne Zweifel ein schwerer Schlag für den ohnehin seit langem stark belasteten Ruf des ukrainischen Staates und sein Investitionsklima. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass, wenn bereits jetzt Millionen Euro über dunkle Kanäle gerade im Energiesektor veruntreut worden sind, auch Hunderte von Millionen Euro, die infolge von geopolitischen Spielen von Damen und Herren in Washington, Brüssel oder Berlin für die Ukraine lockergemacht werden, Gefahr laufen, nicht zweckgemäß verwendet zu werden.

„Dankbarkeit“ gegenüber den US-Amerikanern für den Verzicht auf Sanktionen gegen Nord Stream 2 wird die Verluste auf Dauer nicht ausgleichen können. Was die Privatunternehmer angeht, ist die Sache noch einfacher: In diesem Bereich besteht kein Zweifel, dass sich solche Geschichten sehr negativ auf die Bereitschaft europäischer Unternehmen auswirken, in der Ukraine zu investieren.

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