Am 04.03.2021 wurde erstmals öffentlich, dass die Werchowna Rada die Verstaatlichung des ukrainischen Turbinenhersteller-Riesen Motor Sitsch prüfen wird. Der Vorsitzende der Fraktion "Diener des Volkes", Dawid Arahamija, kündigte diesen Schritt in einem Kommentar für den Fernsehkanal "Prjamoj" an. Der Gesetzentwurf über die Verstaatlichung von Motor Sitsch soll bereits nächste Woche der Werchowna Rada vorgelegt werden. Wörtlich erklärte Arahamija: „Wir werden einen Gesetzentwurf über die Verstaatlichung von Motor Sitsch vorlegen. […] Es ist eine Frage der Verteidigung und es geht darum, den rechtlichen Status dieses Unternehmens zu klären.“ Er betonte, dass die Frage insbesondere die Beziehungen zu China betreffe.
Ihm zufolge hätten sich Menschen, die bei Motor Sitsch arbeiteten, an das Profilkomitee der Werchowna Rada gewandt und dieses darum gebeten, zu klären, welchen Status und welche Zukunft das Unternehmen haben werde.
"Es ist ein wichtiges, das Leben der Stadt prägende Unternehmen in Saporischschja. Es ist notwendig, an einer Klärung zu arbeiten", betonte Arahamija.
Eine Videoaufzeichnung, die uns vorliegt, deutet an, im wessen Interesse die Ukraine dabei tatsächlich handelt. Auf dem Video erstatten der Leiter der Abteilung für Rüstungskontrolle und militärische und technische Zusammenarbeit des ukrainischen Außenministeriums, Wolodymyr Leschtschenko, und der Direktor der Abteilung für internationale Sicherheit des ukrainischen Außenministeriums, Wolodymyr Lakomow, der auch als Moderator der Videokonferenz-Veranstaltung in der Ukraine fungiert, ihren amerikanischen Partnern buchstäblich Bericht.
USA wollen Weitergabe der Technologien an Peking verhindern
Auf US-Seite nahmen an der Konferenz teil: Ann Ganzer, Stellvertretende Assistenz-Außenministerin für Nichtproliferations-Politik, als Moderatorin – sowie Jeffrey Vick, seines Zeichens Stellvertretender Leiter des Büros für die Reduktion der Bedrohung durch konventionelle Waffen und des Büros für internationale Sicherheit und Nonproliferation im US-Außenministerium.
Bei der Veranstaltung selbst handelte es sich um ein Treffen der Arbeitsgruppe für Nichtverbreitung und Exportkontrolle, die Teil der Kommission für strategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und den USA ist.
Die ukrainische Seite betonte ihr Interesse auf höchster Regierungsebene am Schicksal des strategisch wichtigen Unternehmens Motor Sitsch. Die US-Vertreter sprachen ihrerseits über die engen Beziehungen zur Ukraine, die Unterstützung des Landes und das direkte Interesse der USA an der Nichtverbreitung fortgeschrittener Technologien und deren Weitergabe an China.
Diese Aussagen stehen in einem Spannungsverhältnis zu der Zusicherung der Führung des Landes, sich grundsätzlich nicht in private Geschäfte ukrainischer Unternehmen einzumischen. Immerhin hatte sich die ukrainische Regierung bereits einmal öffentlich von dem Konflikt distanziert. "Die Ukraine ist ein Staat mit Marktwirtschaft. Dementsprechend kann der Staat nicht in den Verkauf von Anteilen an die einen oder anderen Investoren oder den Kauf dieser Anteile durch irgendjemanden eingreifen", sagte Premierminister Denis Schmygal damals in einem Interview mit Radio Liberty.
Das gegenständliche Video lässt jedoch erkennen, dass dieser Grundsatz nicht unbeschränkt gilt. In der Aufzeichnung bezeichnet der Leiter der Exportkontrollabteilung der ukrainischen Regierung, Wolodymyr Leschtschenko, Motor Sitsch als ein strategisch wichtiges Unternehmen für das Land und verspricht, die für die Ukraine und die Vereinigten Staaten akzeptabelste Lösung des Konflikts zu finden.
Sanktionen gegen Chinesen
Bereits im Januar hatte die Ukraine Sanktionen gegen einige chinesische Unternehmen und Geschäftsleute verhängt, die beabsichtigt hatten, Motor Sitsch zu kaufen. Mit dieser Entscheidung entsprach der ukrainische Präsident Wladimir Selenski einem dringenden Ratschlag aus Washington. Die USA befürchteten, dass das mit der chinesischen Regierung verbundene Unternehmen Zugang zu Bauteilen für Militärflugzeuge erhalten könnten, weshalb sie den Deal mit allen Mitteln verhindern wollten.
Die chinesische Holding Beijing Skyrizon Aviation Industry Investment Co Ltd. erwarb 2017 einen Anteil von 56 Prozent an dem Unternehmen und hat seither Investitionen in Höhe von 250 Millionen Dollar getätigt. Alles lief darauf hinaus, dass das mit der KP-Führung in Peking kooperierende Unternehmen umfassenden Zugriff auf das ukrainische Werk, dessen Kapazitäten und Entwürfe für den Einsatz in der Rüstungsindustrie erhalten könnte. Das alles änderte sich am 14. Januar 2021, als das Büro für Industrie und Sicherheit des US-Handelsministeriums Sanktionen gegen die Skyrizon Aircraft Holdings Limited verhängte.
Skyrizon hatte bereits signalisiert, Strafzahlungen in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar von der Ukraine zurückzufordern. Angesichts der zögerlichen Haltung des Landes bezüglich dieser Forderung haben die Chinesen gute Chancen, dieses Geld vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof erstreiten zu können.
Laut ukrainischen Wirtschaftsexperten wird Motor Sitsch nach dem Verdrängen der Chinesen aus dem Unternehmen nicht mehr in vollem Umfang und der kompletten bisherigen Bandbreite produzieren. Im Gegenzug könnte es zudem passieren, dass China seine Investitionen in viele Wirtschaftszweige des Landes zurückfahren und in andere Länder umlenken wird. Die Ukraine könnte nicht nur den Markt der Volksrepublik China verlieren, sondern auch andere asiatische Märkte. "Die Rache der Chinesen wird kalt sein", sagte Wirtschaftswissenschaftler Alexei Kuschtsch in ukrainischen Medien.
Auf diese Weise würden die ukrainischen Bürger die geopolitische Konfrontation zwischen den USA und China aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Wolfgang Bernau