Meine Frau und ich leben seit zwei Jahren in Rente. Entsprechend haben wir viel Zeit - und nutzen sie: ich bin seit einem Jahr aktives Mitglied in der AfD und engagiere mich dort unter anderem gegen unsere derzeitige Einwanderungspolitik (und u.a. für mehr Basisdemokratie; die AfD ist keineswegs "nur gegen" irgendwas). Meine Frau engagiert sich ehrenamtlich in der örtlichen Flüchtlingshilfe. Wie das zusammenpasst? Sehr gut: wir unterstützen uns dabei gegenseitig.

Im Rahmen ihrer Arbeit lernte meine Frau Ali kennen: einen jungen Afghanen (18? 20? Asiaten sind für uns schwer zu schätzen, und sein genaues Alter kennt er vermutlich selber nicht), der auf verschlungenen Wegen über den Iran und Griechenland nach Deutschland kam und jetzt seit einem knappen Jahr in einem ehemaligen Fernfahrerhotel zwei km von unserem Wohnort entfernt wohnt, zusammen mit 30-40 anderen Asylbewerbern. Ali brauchte dringend ein bisschen Geld, meine Frau suchte zufällig gerade wieder eine Hilfe im Haushalt - seitdem macht Ali alle 1-2 Wochen ein paar Stunden bei uns sauber. Das könne er gut, radebrechte er uns mit Händen und Füßen und den wenigen Worten Deutsch, die er inzwischen kann; damit habe er schon seit ungefähr dem 8. Lebensjahr hauptsächlich seinen Lebensunterhalt verdient. Er kann es auch wirklich gut und macht es mit so liebevoller Gründlichkeit, dass wir ihn dabei schon manchmal bremsen mussten, damit er sich nicht völlig verzettelt.

Ali ist ein netter, ruhiger, freundlicher, junger Mann; ich mochte ihn vom ersten Moment an. Und er ist sichtlich intelligent; man sieht es an der Art, wie er seine Arbeit anpackt. Hätte er das Glück gehabt, statt den nur zwei Jahren Grundschule, die ihm in seiner Heimat vergönnt waren, bei uns behütet und umsorgt in die Schule zu gehen, so würde er jetzt vermutlich Architektur oder Medizin studieren. Stattdessen tut er auch in Deutschland das Einzige, was er kann: Putzen. Und da Ali fleissig ist, hat er inzwischen - mit Sondergenehmigung (meine Frau half kräftig mit, dass er sie kriegte) - eine Vollzeitstelle bei einem Autovermieter gefunden: da putzt er jetzt schon seit ein paar Monaten 40 Stunden pro Woche Autos - und trotzdem auch bei uns gelegentlich noch am Wochenende ein paar Stunden, mehr so aus persönlicher Treue.

Ali bemühte sich von Anfang an, Deutsch zu lernen. In dem ersten, ihm noch kostenlos angebotenen Kurs scheiterte er an den Voraussetzungen: nach nur zwei Jahren Grundschule in seiner Heimat kann er ja nicht einmal in seiner Muttersprache Dari (ein Dialekt des persischen Farsi) richtig lesen und schreiben. Ali gehörte in Afghanistan einer unterdrückten Volksgruppe an und floh von dort mit seinem Bruder schon als 13-Jähriger in den Iran, wo er sich bis zu seiner Reise in den Westen mit Putzarbeiten über Wasser hielt; an Schule war längst nicht mehr zu denken.

Ein herkömmlicher Sprachkurs setzt voraus, dass man sich irgendwie über die Sprachschranke hinweg noch anderweitig verständigen kann: über die Muttersprache des Lernenden (können unsere Lehrer nicht), über eine gemeinsame Drittsprache (kann Ali nicht), über Schrift/Lautschrift (kann Ali auch nicht), über Bilder und Gesten (reicht allein nicht). Meine Frau ist pensionierte Grundschullehrerin und hat wiederholt versucht, ihm mit ihrer Fachkompetenz bei seinen Lernbemühungen zu helfen: so gut wie ohne Erfolg. Die Art kombinierter Sprach- und Schreib/Lese-Unterricht, die in dieser Situation nötig wäre, erfordert hoch spezialisierte Sonderlehrkräfte, die wir schlicht nicht haben. Persisch ist für uns eine sehr fremde Sprache: schon die Lautbildung ist völlig unterschiedlich, das muß man erst mal hören lernen, das läßt sich auch lautmalerisch nicht in unser Alphabet übersetzen. Die Grammatik ist vollkommen anders: ein und dasselbe Wort wird z. B. in Farsi unterschiedlich geschrieben, je nachdem, ob es am Anfang, in der Mitte oder am Ende eines Satzes steht. Schon für einen herkömmlichen Deutsch-Unterricht für schreib- und lesekundige, indogermanische Muttersprachler hätten wir für all die Asylbewerber viel zu wenig Lehrkräfte - weshalb man Ali denn auch keinen weiteren, kostenlosen Sprachkurs anbieten konnte und er Geld für einen von ihm bezahlten Kurs brauchte. Das nötige Geld verdient er inzwischen; mit dem Kurs klappte es trotzdem nicht. Die Lehrerin erklärte kürzlich meiner Frau, dass sie Ali nachdrücklich zum Aufhören geraten hatte, weil angesichts seiner schlechten Voraussetzungen kein Lernerfolg zu verzeichnen war. Er konnte dem Unterricht einfach nicht folgen und gab sein sauer verdientes bißchen Geld vergeblich aus.

Alis Asylverfahren zieht sich hin, Ausgang fraglich: er hat keinen Pass, keine Papiere (nie gehabt, und spätestens seit seiner bereits "illegalen" Zeit im Iran auch keine Chance, welche zu kriegen). Aus dem Iran kam er jedenfalls schon mal nicht als Kriegsflüchtling nach Europa. In Griechenland saß er wegen Benützung eines stümperhaft gefälschten Passes, den man ihm im Auffanglager angedreht hatte, erst mal ein paar Wochen im Gefängnis, bevor er schließlich nach Deutschland kam. Seine Geschichte ist durchaus glaubhaft - er behauptet ja gar nicht erst, ein ausgebombter, syrischer Architekturstudent zu sein... Abgesehen von der komplizierten Sachlage ist jeder neue Schritt in Richtung Anerkennung ein höchst schwieriger Akt, weil es allein schon sprachlich schwierig ist, ihm verständlich zu machen, um was es da gerade geht. Und egal, wie es ausgeht: Bildungs- und berufsmäßig steckt Ali hier - gerade auch angesichts seiner unverkennbaren Talente - in einer Sackgasse. Als Putzkraft. Auf absehbare Zeit so gut wie ohne Chance, die nötigen Grundlagen für etwas Besseres zu erwerben.

Und die AfD? Haben wir "Angst" vor Ali, weil er so fremd ist? "Hassen" wir ihn gar, wie man uns oft und gerne unterstellt? Schwachsinn. Wollen wir ihn abschieben? Hm - schwierige Frage: einerseits tut Ali "uns" (= mir und allen in der AfD, denen ich bisher von ihm erzählt habe) persönlich leid - obwohl er wie die Meisten seinesgleichen wohl nicht mal wirklich ein Flüchtling (und somit auch kein aussichtsreicher Asylbewerber) ist. Solange er nun mal hier ist, tun wir für ihn, was wir können. Es ist einfach eine Schande, dass ein so sympathischer, talentierter, braver, fleißiger, junger Bursche, der sein ganzes Leben noch vor sich hat, 40 Stunden die Woche stupide Autos putzt - ohne absehbare Perspektive, auch nur mal den PKW-Führerschein zu erwerben. Es wäre nicht nur für uns billiger, sondern auch für Ali aussichtsreicher, ihn wieder in seine Heimat zurück zu verfrachten und ihm dort eine vernünftige Ausbildung in seiner Muttersprache zu sponsorn. Es ist schon völlig falsch gelaufen, dass er überhaupt hier ist.

An dieser Stelle kommt Erwin ins Spiel. Ich kenne ihn nicht persönlich, kenne nicht mal seinen Namen - weiß aber, dass er existiert. Vielleicht habe ich ihm als Zahnarzt neulich mal einen Backenzahn repariert, ohne zu wissen, dass es dieser Erwin war...

Erwin ist 21 und lebt bei seinen Eltern. Er ist ein lieber, braver, gutmütiger Kerl - aber leider nicht der Hellste. Er ist umsorgt und behütet in einem schwäbischen Dorf aufgewachsen und hatte von den Umständen her alle Chancen auf eine gute Ausbildung. Aber trotz ehrlicher Bemühung hat es vom Talent her einfach nicht zu mehr gereicht, als mit Ach und Krach einen "Quali" mit denkbar schlechten Noten bescheinigt zu kriegen. Genauso, wie es überdurchschnittlich Begabte gibt, die "mit links" Arzt oder Physiker werden, gibt es nun mal auch deutlich schwächer Begabte; "Intelligenz" ist auch in Deutschland eine Verteilungskurve mit beidseitiger Normalverteilung. Nicht jeder ist zum Eierkopf geboren.

Erwin kann sehr notdürftig lesen und schreiben; bei den Grundrechenarten wird's schon schwierig. Zur selbständigen Orientierung im Alltag reicht's, und immerhin hat er nach Wiederholung der theoretischen Prüfung sogar den Führerschein geschafft. Aber bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz war er von vornherein chancenlos: die wollen ja heute möglichst Mittlere Reife bescheinigt sehen - und wenn schon "nur" Quali, dann doch wenigstens mit guten Noten. Es gibt einfach keine Ausbildungsberufe mehr, in denen man nicht mindestens halbwegs vernünftig schreiben und rechnen können muß.

Also hat sich Erwin nach der Schule hier und da für Aushilfsjobs anlernen lassen. Es war von Anfang an schwierig: seit so gut wie alle manuellen Tätigkeiten mit immer raffinierteren Maschinen erledigt werden, gibt es immer weniger Jobs für so einen wie Erwin. Entweder war er einfach zu begriffsstutzig für den Job und flog schon nach wenigen Wochen Probezeit wieder raus, oder es waren von vornherein zeitlich befristete Arbeiten, für die sich ein aufwendiger Gerätepark nicht lohnte.

Trotzdem schaffte es Erwin schließlich, eine der wenigen, dauerhaften Arbeitsstellen zu ergattern, an denen er ohne Überforderung sinnvolle Arbeit leisten konnte: als Reinigungskraft im Hallenbad der nahen Kreisstadt, in der Nachtschicht. Es war kein bequemer Job - und blöde, immer dann arbeiten zu müssen, wenn Andere in die Kneipe oder ins Bett gingen. Aber da Erwin die nervtötende Arbeit zuverlässig und sorgfältig tat, brachte sie ihm ein zwar bescheidenes, aber verlässliches Einkommen ein. Erwin konnte sich zum ersten Mal im Leben eine eigene Bude leisten, und nach einiger Zeit sogar - stolz wie ein Pfau - einen verrosteten, alten Kleinwagen. Er war nicht mehr bloß der "HonK", der "Loser" - endlich gehörte er auch "dazu": ein vollwertiger, selbständiger, Steuern und Sozialabgaben zahlender Bürger. Und seine Eltern, die es trotz eines arbeitsreichen Lebens sowieso schon nie dicke hatten, waren sehr erleichtert, ihn nicht mehr in ihrer bescheidenen Mietwohnung mit durchfüttern zu müssen. Auch ihnen ging es endlich besser: mehr Platz, mehr Geld für kleine Wünsche übrig.

Bis 2015 die große Flüchtlingsschwemme kam. Eigentlich hatte Erwin mit denen ja gar nichts zu tun, es konnte ihm egal sein. Aber die kommunale Finanzierung des Hallenbads war vorher schon wackelig gewesen, rentabel war es nie; die zusätzliche Haushaltsbelastung der Kommune führte dazu, dass es nicht mehr finanzierbar war und geschlossen werden mußte. Erwin war wieder arbeitslos; sehr bald konnte er auch seine kleine Altbauwohnung und das Auto auf der Straße davor nicht mehr bezahlen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder zu seinen tief seufzenden Eltern zu ziehen.

Seitdem ist für Erwin und seine Eltern alles nur noch schlimmer geworden: wo Erwin vorher wenigstens noch Gelegenheitsjobs fand, da sind jetzt fast immer Andere schneller. Die Firmen stellen haufenweise Asylanten ein, die zwar auch keine Ausbildung haben und nicht mal Deutsch können. Das brauchen sie aber auch gar nicht für so einen Job wie z.B. Autoputzer bei einer Mietwagenfirma. Dass aber die Asylanten - im Gegensatz zu Erwin - eher zu den Intelligenteren ihrer Ursprungsländer gehören, kommt den Firmen sehr entgegen: mit ihrer schnellen Auffassungsgabe sind sie trotz Sprachdefizit für anspruchslose Jobs leichter anzulernen, und mit ihrem gesunden Menschenverstand machen sie weniger dumme, im Zweifelsfall kostspielige Fehler - Leute wie Ali eben. Und selbst wenn Erwin jetzt doch nochmal eine feste Stelle finden könnte: seine kleine, billige Altbauwohnung könnte er auch dann nicht wieder mieten. Die ist nämlich seitdem um die Hälfte teurer geworden; die Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen ist immens. Solange Erwins Eltern noch leben, werden sie ihn durchfüttern; er ist schließlich ihr Sohn. Danach wird es der Staat tun müssen - sofern er es dann überhaupt noch kann. Der hat Erwin nämlich derzeit immer noch als Steuerzahler anstatt als Hartz-4-Empfänger auf der Rechnung.

So engagiere ich mich weiter in der AfD gegen die Politik der unqualifizierten Zuwanderung, und meine Frau arbeitet weiter in der "Flüchtlings"-Hilfe für die, die (wie Ali) nun schon mal da sind und dringend der Hilfe bedürfen; bei beidem unterstützen wir uns nach Kräften gegenseitig. Erwin kennen wir beide nach wie vor nicht persönlich, obwohl er uns als deutscher Mitbürger eigentlich doch näher stehen sollte als Ali. Aber seit Erwin wieder bei den Eltern wohnt, traut er sich eh kaum noch aus der Wohnung. Am häufigsten begegnet er uns noch - indirekt - im Fernsehen und in der Zeitung: wenn ihn uns besonders kluge, besonders moralisch hochstehende Leute sichtlich angewidert als die Ratte vorstellen, die angeblich dem "Rattenfänger" AfD nachläuft.

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