Nun ist also Steinmeier deutscher Bundespräsident. Hätte man noch eine Woche vor dieser Wahl die wahlberechtigten Deutschen repräsentativ befragt, wer der momentan amtierende Bundespräsident ist, dann hätte das Ergebnis wohl etwa wie folgt ausgesehen:
Gauck: 35 %
Steinmeier: 30 %
Andere: 10 %
Weiß nicht: 25 %
Und vermutlich hätten weniger als 20 % gewußt, dass der Bundespräsident von einer weit über 1000 Delegierte umfassenden Bundesversammlung erst noch gewählt wird - und eben nicht schon zwei Wochen früher von ein paar wenigen Parteibonzen "gewählt" worden ist. Insofern war Sonneborn Seniors Spaß-Nominierung zu dieser Wahl ernstzunehmende, politische Aufklärung: fast nur dadurch wurde überhaupt in weiteren Bevölkerungskreisen bekannt, dass es bei dieser Wahl auch noch andere Anwärter gab.
Das Wahlergebnis war bis ins Detail voraussagbar, angesichts der Art, wie die 1260 Delegierten der Bundesversammlung von den Parteien - und NUR von diesen - nominiert wurden. Das einzige Ergebnis mit etwas Aussagekraft waren die Enthaltungen: immerhin über 8 % der Delegierten hielten KEINEN der fünf Kandidaten für geeignet für das höchste Staatsamt. Zählt man die ungültigen Stimmen und die 10 Stimmen für Sonneborn dazu, die man ja eigentlich auch so interpretieren muß, dann waren es sogar über 10 % der Delegierten. Höchst bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass ausnahmslos alle Delegierten von den Parteien in der selbstverständlichen Erwartung hingeschickt wurden, ihre jeweiligen Kandidaten zu wählen! Für alle weiteren Ergebnisse hätte es des sündteuren Wahlspektakels nicht bedurft.
Die Väter unseres Grundgesetzes hatten mit der Bundesversammlung wohl ziemlich Anderes im Sinn als die Art, wie in Deutschland nun schon seit etlichen Wahlperioden das höchste Staatsamt von ein paar Parteibonzen in Hinterzimmern ausgeschachert und von den Delegierten pro forma abgenickt wird. Angesichts dieser Entwicklung muß man geradezu froh darüber sein, dass der deutsche Bundespräsident schon institutionell kaum mehr ist als ein politisch willfähriger Phrasenautomat.
Allerdings ist die "Wahl" des Bundeskanzlers auch kaum besser.
Und die "Wahl" der Verfassungsrichter noch viel schlechter.
Deutschland: quo vadis?