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Ich kenne Elon Musk nicht persönlich (er mich sowieso nicht); ich weiß nicht einmal, ob obiges Bild authentisch oder gefaked ist - auch nicht, ob er sich die darin transportierte These wirklich zueigen gemacht hat. Neben dieser These spricht mich in dem Bild vor allem sein Blick an: in sich gefestigt, kritisch, aber auch offen, konzentriert zuhörend. Selbst mit aktueller AI kann ein solcher Ausdruck schwerlich gefaked sein. Ich glaube, dass genau das eine der herausragenden Stärken dieses Mannes ist: er kann zuhören. So will ich mich der These stellen und auf die Frage antworten, die dieses Bild an mich stellt.

Ich bin eine Transfrau: als Mann geboren, lebe ich trotzdem als Frau. Und das nicht erst seit gestern. Mit meinen 76 Jahren kann ich die Auswirkungen meiner transsexuellen Veranlagung bis in meine frühe Kindheit zurückverfolgen: also bis in eine Zeit, als es "Transsexualität" als Wortbegriff noch gar nicht gab - als reale Veranlagung aber sehr wohl. Transsexuelle gibt es vermutlich, seit es Menschen gibt.

Transsexuell zu sein ist keine Laune, keine Mode, kein Spaß - sondern ein unausweichliches Schicksal. Ich habe mein halbes Leben lang vergeblich dagegen angekämpft. Mein jahrzehntelang als niederdrückend empfundenes Leben wandte sich erst ab dem Zeitpunkt zum Besseren - und letztendlich zum Guten -, als ich endlich vor der Tatsache meiner Veranlagung kapitulierte und mich selber als "Frau" akzeptierte - und zwar um so intensiver, je konsequenter ich das tat, gegen alle inneren und äußeren Widerstände.

Ja, Herr Musk, Sie haben recht: ich bin ein Mann. Körperlich: ich habe einen XY-Chromosomensatz, männliche Geschlechtsorgane, eine männliche Statur, männliche Behaarungs- und Fettverteilung und eine männliche Stimme. Ich habe meinen Körper mittels Operationen und weiblicher Hormone ein Stück weit verändert. Obwohl sich das für mich dauerhaft als richtig, notwendig und segensreich erwies, indem es mir entscheidend half, zum Frieden mit mir selber und endlich auch zu einer glücklichen Partnerbeziehung zu finden, konnten auch diese Maßnahmen nicht wirklich eine Frau aus mir machen.

Das alles ist richtig - aber es ist nur die halbe Wahrheit. Das Geschlecht (zwei Geschlechter - Mann/Frau: auch das ist richtig!) bezeichnet nicht nur eine Kategorie der äußeren Form und der Fortpflanzungsfunktion, sondern auch der Psyche. Auch unsere Art zu denken, unsere Emotionen, unsere tieferen, unterbewussten Motivationen kennen zwei deutlich unterscheidbare, schicksalhaft wie die Körperform vorgegebene, archetypische Varianten: eine männliche und eine weibliche. Sie sind nicht völlig unterschiedlich: genauso wie unsere äußerlich sichtbaren, sekundären Geschlechtsmerkmale (Körpergröße, Fettverteilung, Stimmhöhe etc.) überschneiden sie sich größerenteils zwischen den Geschlechtern. Die Unterschiede sind nicht in jedem Einzelfall vorhanden, aber statistisch sehr wohl nachweisbar und messbar; und in ihrer vielfältigen Gesamtheit ergeben sie dann auch bei nahezu jeder Einzelperson ein deutliches, geschlechtsspezifisches Bild. Es ist wie bei einem Mosaikbild: ein einzelnes Steinchen sagt so gut wie nichts, das Gesamtbild dagegen alles. Im Alltag identifizieren wir das Geschlecht anderer Menschen höchst prompt und zuverlässig allein an solchen, "sekundären", nur statistisch unterschiedlichen Mosaiksteinchen, obwohl wir dabei die tatsächlich komplett unterschiedlichen, primären Geschlechtsteile so gut wie nie zu Gesicht bekommen.

Wie unser ganzer Körper hat auch unser Gehirn prinzipiell eines von zwei Geschlechtern: männliche und weibliche Gehirne unterscheiden sich in einer Vielzahl morphologischer wie funktioneller Aspekte, in deren Erforschung wir momentan noch sehr unwissend am Anfang stehen. Die embryonale Entwicklung des Gehirns - samt seiner geschlechtlichen Unterschiede - ist hoch komplex und kann auf vielerlei Stufen und durch vielerlei Einflüsse umgeleitet, geändert oder auch gestört werden. Die Evolution generiert solche Änderungen zufällig und völlig wertfrei; erst die Auswirkungen im Alltag veranlassen uns dazu, sie je nach Richtung wertend zu interpretieren: einen besonders hohen IQ z. B. bewundern wir als herausragende Fähigkeit, während wir das Gegenteil als "Behinderung" negativ werten. Dabei bewahrt doch gerade ihre "Dummheit" geistig minder bemittelte Menschen nicht selten davor, ähnlich katastrophale Fehler zu begehen wie viele Hochintelligente... Wertung ist immer eine Frage des Gesichtspunkts.

Wir Transsexuelle unterlagen in unserer individuellen, embryonalen Entwicklung einer Besonderheit: unser Gehirn hat sich ganz oder teilweise invers zum chromosomalen Geschlecht entwickelt, das ansonsten unseren Körper formte. Man mag das nun als "Fehlbildung", als "Behinderung" abwerten oder als "drittes Geschlecht" vergöttern; objektiv und wertungsfrei betrachtet sind wir einfach nur eine relativ seltene Variante: die berühmte Ausnahme von der grundsätzlichen Geschlechtsregel. Im Grunde sind wir eine Sonderform von Intersexuellen, bei der das Gehirn in die Gegenrichtung des sonstigen, körperlichen Geschlechts ausdifferenziert ist. Man kann damit leben, man kann sogar gut damit leben - in jedem Fall aber muss man damit anders leben als "normale" Männer oder Frauen. Manches vermögen wir aufgrund dieser Veranlagung schlecht oder gar nicht, anderes können wir gerade deshalb besonders gut oder sind gar als Einzige überhaupt dazu in der Lage. Wenn die zumeist euphemistisch für "Behinderte" gebrauchte Sprachregelung "andersfähig" überhaupt zu jemandem perfekt passt, dann zu uns Transsexuellen. Ich neige deshalb dazu, uns qualitativ als eine Variante innerhalb der Bandbreite menschlicher Normalität zu sehen - freilich eine relativ seltene Variante: insofern zahlenmäßig eben doch nicht "normal", sondern die strikte Ausnahme. Viel zu wenige, um damit ein drittes Geschlecht als eigenständige Kategorie zu begründen.

Im Alltag hat das für uns gravierende Folgen. Unsere sozialen, geschlechtlichen Rollen und Konventionen - im Englischen "Gender" genannt - mögen noch so komplett angelernt und anerzogen (und damit theoretisch auch umkehrbar) sein; entstanden sind sie keineswegs zufällig, sondern in Anpassung an die originär unterschiedlichen Bedürfnisse und Motivationen der Geschlechter. Jede Kultur hat da andere Gepflogenheiten; aber KEINE menschliche Kultur verzichtet völlig auf "Gender", und die große Mehrheit solcher "Geschlechter-Klischees" wird auch in anderen Kulturen - sofern überhaupt vorhanden - jeweils demselben Geschlecht zugewiesen. Dass Weinen bei geringfügigen Anlässen weit eher als "unmännlich" denn als "unweiblich" getadelt wird, ist nur eines von vielen, universalen Beispielen; "Rock vs. Hose" ist nur eine oft zitierte Ausnahme von dieser Regel.

Die große Mehrheit der Männer und Frauen fühlt sich in diesem sozial vorgegebenen Rahmen wohl oder kommt zumindest ohne größere Irritationen damit zurecht. Nur wir Transsexuelle kollidieren typischerweise immer wieder damit; die meisten, gängigen "Gender-Regeln" gehen uns emotional irgendwie "gegen den Strich". Schon von klein auf fühlen wir uns damit teils unausgefüllt, teils überfordert, nicht selten auch regelrecht unterdrückt.

Dabei wissen die meisten von uns zunächst gar nicht, woher dieses spezifische Unwohlsein kommt, und welche Ursachen es hat. Es gibt kein primäres Gefühl, "weiblich" oder "männlich" zu sein, aus dem wir diese Gewissheit beziehen könnten: wir können uns nur pauschal in der weiblichen oder männlichen Rolle unterschiedlich wohl oder unwohl fühlen. Fallweise machen wir dann bei gelegentlichen Ausflügen ins Gegengeschlecht erstaunt die Erfahrung, dass wir uns dort sehr viel wohler fühlen als sonst im Alltag. Das Erlebnis dieses Unterschieds treibt uns in der Folge dazu, häufiger diese Situation aufzusuchen, während dieselbe Erfahrung "normale" Männer und Frauen eher von Wiederholungen abschreckt. Erst aus der für uns regelmäßig wohltuenden und entlastenden Wirkung solcher Ausflüge ins Gegengeschlecht erwächst irgendwann die Überzeugung, psychisch dem Gegengeschlecht anzugehören, d. h. transsexuell zu sein. Manche kommen schon in der Kindheit darauf, andere brauchen für diese Erkenntnis das halbe Leben. Ich selber benötigte vierzig Jahre Lebenserfahrung als "Mann" und eine jahrelange Psychotherapie, bis endlich aus einer vagen Ahnung rationale Gewissheit wurde, die sich dann in den weiteren Jahrzehnten seitdem auch zuverlässig immer wieder bestätigt hat.

Wenn ich mich im Alltag konsequent weiblich kleide, dann versuche ich damit nicht, meine Mitmenschen bezüglich meines körperlichen Geschlechts zu täuschen: dazu ist meine männliche Herkunft viel zu offensichtlich. Ich versuche das deshalb gar nicht erst zu verstecken, und trage z. B. aus diesem Grund trotz meiner hohen Stirn keine Perücke: ich will offen "Gesicht zeigen", nicht hinter einer Maske verschwinden. Mit der weiblichen Kleidung versuche ich nicht, das sowieso Offensichtliche zu verbergen, sondern ich signalisiere damit meinen Mitmenschen etwas für sie ansonsten Unsichtbares: meine weibliche Psyche. Ich möchte sozial als Frau unter Frauen (denen ich damit ganz sicher kein Leid antue) leben und - auch gänzlich jenseits sexueller Aspekte - wie eine solche behandelt werden. Es ist eine Bitte an die Gesellschaft, mich so aufzunehmen und leben zu lassen, wie es meiner schicksalhaft originären Psyche entspricht und für meine psychosoziale Gesundheit und mein Wohlergehen unerlässlich ist.

Im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten klappt das heute schon sehr gut; ich kann mich da gar nicht mehr beklagen. Und da mein jetziges Wohlergehen nicht auf gesetzlichem Zwang, sondern auf spontaner, praktisch gelebter Toleranz der meisten Menschen in meinem Umfeld beruht, bin ich zuversichtlich, dass das für mich auch unter künftigen, konservativeren Regierungen so bleiben wird. Ein "Selbstbestimmungsgesetz" habe ich nie gebraucht, meinetwegen kann das gerne auch wieder verschwinden. Das auch von konservativen Regierungen nie in Frage gestellte, "alte" Transsexuellengesetz reichte mir völlig aus; seine deutlich höher gelegten Hürden hatten im Gegenteil sogar den entschiedenen Vorzug, die Ernsthaftigkeit meines Anliegens glaubwürdig zu belegen. Schon gar nicht brauche ich eine dritte Gender-Toilette: obwohl man mir meine männliche Herkunft auch im Rock auf den ersten Blick ansieht, habe ich NOCH NIE in einer Damentoilette auch nur einen schrägen Blick kassiert. Die angeblich immer noch rückständige Masse der Bürgerinnen ist da schon unendlich viel weiter, als sich das angeblich so ultra-fortschrittliche Genderpolitiker vorstellen.

Anders, als Mancher erwartet haben mag, beantworte ich also Elon Musks obige These als Transfrau mit einem klaren "ja" - und stelle sie dabei allerdings in einen größeren Zusammenhang. Ansonsten geht's mir mit Musks Thesen durchwachsen: seine Elektro-Autos halte ich technisch wie umweltpolitisch für einen grandiosen Irrweg, auch wenn sie für ihn momentan ein gutes Geschäft sein mögen. Eine noch viel grandiosere, wirklich zukunftsweisende Vision sehe ich dagegen in seinen Plänen zu einer menschlichen Besiedlung des Weltalls: der konkrete Plan, die langfristig sowieso unausweichlichen Veränderungen der Welt durch menschliche Anpassung mit technischen Mitteln zu bewältigen, ist die perfekte, trotz und gerade wegen ihrer Kühnheit sehr viel realistischere Antithese zu der pseudoreligiösen Wahnvorstellung unserer Klimapolitiker, "Mutter Erde" durch bloße Unterlassung im jetzigen Zustand konservieren zu können. Man muss Elon Musk nicht in allem zustimmen; interessant und diskussionswürdig sind seine Thesen allemal. Es lohnt sich, ihm mal zuzuhören.

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Aron Sperber

Aron Sperber bewertete diesen Eintrag 27.01.2025 11:14:26

Zaungast_01

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sisterect

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