Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte war das Urheberrecht kein Thema. Was für irgendwen von Nutzen war, aber nur begrenzt zur Verfügung stand, kostete Tauschwerte - heute „Geld“ genannt. Was niemand brauchte oder für jeden mehr als ausreichend zur Verfügung stand, gab es umsonst. Kopien gab es nicht umsonst: ihre Herstellung war nahezu genauso aufwendig wie die Herstellung des Originals, also kosteten Kopien auch annähernd dasselbe. Auf die Idee, sich das bloße Nach-Denken eines Gedankens bezahlen zu lassen, kam niemand: „Die Gedanken sind frei“. Für das Singen des bekannten Volksliedes - gerne auch gegen Eintrittsgeld - hat nie jemand eine urheberrechtliche Abmahnung erhalten. Und zum Glück für uns alle gab es zum Zeitpunkt der Erfindung des Rades auch noch kein Patentamt: sonst hätte schon die Uhr niemals erfunden werden können, bei den horrenden Lizenzgebühren für all die vielen, kleinen Rädchen.
Mit Buchdruck, Serienproduktion und Automation änderte sich die Szene: der Aufwand für die Herstellung von Kopien strebt seither stetig gegen Null. Nach den ewigen Gesetzen des Marktes müsste das zu ebenso rapide sinkenden Preisen führen. Als eines der Mittel gegen diesen Preisverfall wurde das Urheber- und Patentrecht erfunden (wer hält eigentlich für diese Erfindung das Urheberrecht?). Nutznießer waren freilich schon damals erst in zweiter Linie die geistigen Urheber. Den Löwenanteil rissen schon immer die daran anschließenden Wertschöpfungsketten an sich: Verlage, Fabriken, Handel. Für die meisten Autoren und Erfinder selbst sehr erfolgreicher, kultureller oder technischer Schöpfungen fiel aus dieser Quelle kaum mehr als ein Taschengeld ab. So ist es bis heute.
Schon die gesamte Evolution verdankt ihre Fortschritte der - selbstredend lizenzfreien - wechselseitigen Kopie von Gensequenzen bei der sexuellen Zeugung. Der Mensch als Krone dieser Schöpfung verdankt seinen ganz speziellen Erfolg nicht nur seinen Erfindungen, sondern noch viel mehr deren konsequenter - selbstredend lizenzfreier - Weitergabe: hätten uns unsere Urahnen nicht ohne jegliche Urheberrechtsgebühr Feuermachen, Werkzeuggebrauch, Hausbau, Getreideanbau und Viehzucht gelehrt, so säßen wir heute noch hungernd und frierend auf den Bäumen. Erst das Plagiat hat uns zu dem gemacht, was uns heute vom Affen unterscheidet.
Urheber- und Patentrechte sind künstliche Handelshindernisse: sie pushen durch willkürlich aufgebaute Barrieren den Preis von „Waren“, deren ehrlicher, pekuniärer Gegenwert ohne solche Manipulationen gegen Null gehen würde. Genauso wie Preiskartelle, Schutzzölle oder Lebensmittel-Vernichtungsaktionen nützen sie einem eng begrenzten Personenkreis, zum Preis eines um viele Größenordnungen höheren Schadens für die gesamte Menschheit - und sind insofern zutiefst inhuman, unsozial und schlicht unmoralisch.
Es geht dabei keineswegs nur um den durch künstlich hoch gehaltene Preise unterbundenen Konsum: schon der urheberische Akt selbst leidet unter den Restriktionen. Zu Zeiten eines Bach oder Mozart war es in Musik, Literatur und bildender Kunst wohlgepflegter Usus, andere Meister freizügig zu zitieren. Zitiert zu werden galt als Ehre; unsere größten Kunstschätze aus dieser Zeit wären ohne solche „Plagiate“ nicht annähernd das, was sie sind. Heute würde man so etwas nicht mehr als Ehre sehen, sondern sich gegenseitig vor den Kadi zerren... Unser Patentrecht ist schon längst vom ehemaligen Urheberschutz zur Konkurrenzblockade pervertiert: die große Mehrzahl der Patente wird heute nicht mehr eingereicht, um sie selbst auszuwerten, sondern um mögliche Konkurrenten an der Realisierung nahe liegender Gedanken zu hindern. Einzelpersonen oder kleine Betriebe haben heute genau deshalb kaum noch eine Chance, neue Erfindungen auf den Markt zu bringen, weil der mit Abstand größte „schöpferische Akt“ dabei das Umgehen all der marktbehindernden Patente ist - das schaffen nur noch Großkonzerne, und selbst die eher mit Mauscheleien als mit juristisch sauberen Lösungen. Hauptsache, man bleibt unter sich.
Was ist nun mit dem persönlichen Aufwand, den Künstler und Erfinder in ihr Werk investieren? Wenn das Ergebnis gut genug ist, um Verbreitung zu finden, dann sollen die Urheber selbstverständlich auch gerecht dafür belohnt werden. Genau das hat aber weder das Urheber- noch das Patentrecht jemals geleistet und leistet es heute weniger denn je. Teilweise sorgen die neuen Kommunikationswege schon selbst für die Lösung, indem sie den Urhebern auch neue Chancen bieten. Schon allein mit en passant eingesteckten Werbeeinnahmen kann heute ein Spitzenmusiker mehr Geld verdienen, als ein Georg Friedrich Händel - für seine Zeit auch im Verdienst Spitze - in seinem ganzen, langen Leben verdient hat. Viele Künstler, die in einem von etablierten Firmen beherrschten Markt von vornherein keine Chance hätten, schaffen über die neuen Medien überhaupt erst den Durchbruch; sie werden die Sache naturgemäß anders sehen als ihre von professionellen Rechteverwertern abhängigen Kollegen. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Freilich genügt das alles nicht, um so manches wünschenswerte Projekt zu realisieren, für das viel Vorbereitung und ein langer Atem nötig ist. Aber schon in der Vergangenheit wurden gerade solche Projekte - wie überhaupt der größere Teil des Kunst- und Wissenschaftsbetriebs - sowieso eher durch Mäzene, öffentliche Zuschüsse und durch unmittelbare Bezahlung durch die Konsumenten (Eintrittsgelder) finanziert als durch das undurchsichtige System einer institutionalisierten Rechteverwertung. Dass bezahlt werden muss, steht ausser Frage, ganz jenseits aller gegenseitigen Vorwürfe von Gier versus Geiz. Aber ideelle Werte selber buchstäblich zu Geld zu machen - nämlich mit exakt demselben Mittel des Kopierverbots, mit dessen Hilfe man auch Papier in Geld verwandelt - ist angesichts der vielfältigen Kollateralschäden das denkbar ungeeignetste Mittel, eine gerechte Belohnung der Urheber zu gewährleisten. Befreit endlich wieder die Kopie, im Interesse Aller! Ohne sie gäbe es weder Kultur noch Fortschritt. Und findet für die Belohnung der Urheber bessere, gerechtere Lösungen.