Im Gaza-Konflikt schweigen die Waffen. Vorerst... Zweifellos eine gute Nachricht, wenn auch noch mit sehr bangen Zweifeln bezüglich ihrer Dauer. Aber vor allem reiben wir uns erst mal verwundert die Augen darüber, wie es dazu kam.
Der Geiselaustausch scheint auf den ersten Blick für Israel ein schlechter, ja geradezu verrückter Deal zu sein: gegen ein paar wenige Personen, die mehrheitlich als Zivilpersonen völlig unbeteiligt an diesem Konflikt waren, lässt Israel Hunderte Dschihadisten frei: die allermeisten von ihnen rechtsgültig verurteilte Terroristen, Mörder und Schwerstverbrecher von genau der Sorte, die das Leben aller Menschen in Israel seit Jahrzehnten zu einem zermürbenden Überlebenskampf macht. Die Freigelassenen werden schon unmittelbar bei der Übergabe frenetisch als Helden gefeiert und in die Phalanx derer wieder eingereiht, die erklärtermaßen alle Juden töten oder ins Meer treiben wollen. Ist Netanjahu verrückt geworden?
Aus einer höherer Warte gesehen, relativiert sich die Sache ein wenig: wenn einem schon zehntausend Dschihadisten gegenüber stehen, kommt es auf ein paar hundert weitere auch nicht mehr an. So gesehen, kommt es freilich auf ein paar weitere, israelische Geiseln ebenfalls nicht mehr an... Selbstverständlich hat jedes einzelne Menschenschicksal seinen unverbrüchlichen Wert, man kann und soll das nicht relativieren. Aber summarisch ändert dieser Geiseldeal nichts an den Verhältnissen, weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Auch aus dieser Sicht scheint er keinen Sinn zu machen.
Um Licht in die Sache zu bringen, müssen wir sie vom anderen Ende her analysieren. Der Waffenstillstand galt und gilt als Voraussetzung, als Preis, den Israel als militärischer Angreifer in Gaza für den Geiseldeal bezahlt. Auch das noch... Was aber, wenn hier in Wirklichkeit gar nicht der Geiseldeal, sondern der Waffenstillstand Netanjahus eigentliches Ziel war - ein Ziel, das Israel mit diesem auf den ersten Blick absurd erscheinenden Geiseldeal erkauft hat? Einen Waffenstillstand in einem erst mal tobenden Krieg zu erreichen, ist gar nicht so einfach, auch für Israel nicht: weder militärisch, noch innenpolitisch, und schon gar nicht, wenn der Gegner sich nicht bloß aktuell verteidigt, sondern den Angreifer auch ganz unabhängig vom aktuellen Konflikt vernichten will.
Wenn überhaupt jemand weiß, dass der ganze Nahostkonflikt - und darin selbstverständlich auch der Gaza-Konflikt - mit militärischen Mitteln nicht gelöst werden kann, dann sind das die Israeli selber. Trotzdem sahen und sehen sie sich immer wieder unmittelbar existenziell genötigt, sich militärisch zu verteidigen - und zwar angesichts der Zahl erklärter Todfeinde um sie herum auch vorbeugend in "Vorwärtsverteidigung". Wer erst mal in einem Überraschungsangriff abgemurkst ist, hat auch nix mehr davon, dass die Anderen den Krieg angefangen haben; vom Heiligenschein wird man nicht wieder lebendig.
Trotzdem entfernt jeder militärische Krieg die Region noch weiter von einer nachhaltigen Befriedung; die Israeli wissen das auch. Jahrzehnte lang haben sie deshalb versucht, mit Gaza eine "Zweistaaten-Lösung" zu praktizieren, wie es die Weltöffentlichkeit immer wieder von ihnen gefordert hat. Sie haben sich aus Gaza komplett zurückgezogen und dem Streifen politische Unabhängigkeit als Palästinenser-Staat gewährt. Das Ergebnis: trotz aller, wohlbegründeter Vorsichtsmaßnahmen der Israelis haben die Palästinenser mit immenser Unterstützung der halben Welt - auch mit unseren Steuergeldern! - den Gazastreifen komplett zu einer unterirdischen, militärischen Festung ausgebaut, von der heraus sie dann gleich wieder den nächsten Krieg gegen Israel vom Zaun gebrochen haben. Die wollen nämlich gar keine Zweistaaten-Lösung, die wollen die Juden rausschmeißen und ALLEIN dort herrschen. Ein Teufelskreis, für den bisher niemandem eine Lösung einfiel.
Hier kommt nun Trump ins Spiel. Der momentane Waffenstillstand ist mit Sicherheit nicht allein Netanjahus Werk; ohne laufende Kooperation mit der amerikanischen Schutzmacht könnte der sowas gar nicht. Dass die Waffen schweigen, war erst mal Gebot der Stunde und wichtiger als alles andere - denn nichts, wirklich GARNICHTS ist schlimmer als aktuelles, gegenseitiges Morden. Um aber den Waffenstillstand auch auf längere Dauer zu etablieren, nicht nur für ein paar Stunden oder Tage, braucht man eine Perspektive für das, was danach kommen soll. Für Trump heißt diese Perspektive "Umsiedlung".
Unsere europäischen Medien stellen das jetzt prompt so dar, als ob der böse Präsident unserer guten Schutzmacht das palästinensische Volk zwangsumsiedeln (am liebsten würde man es gleich "vertreiben" nennen) und sich den Gazastreifen samt Rohstoffquellen vor der Küste einfach unter den Nagel reißen wollte. MAGA... Aber das ist erstens eine tendenziöse Unterstellung - und zweitens viel zu kurz gegriffen.
Wer sind eigentlich "die Palästinenser"? Sie sind ein zerstreutes Volk, wie die Juden auch. Ein Teil davon lebt in Gaza und wurde dort bis vor kurzem noch von einer leider extremistischen, kriegslüsternen, verbrecherischen Bande regiert. Letztere haben sie sich zwar selber als Regierung gewählt; unter den dort vorgegebenen, wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen blieb ihnen aber auch gar nichts anderes übrig. Gaza hat kaum eigene, wirtschaftliche Ressourcen; schon von Anfang an war dieses karge, extrem dicht besiedelte Ländchen auf massive, ausländische Unterstützung angewiesen. Von irgendwas mussten die Leute schließlich leben... Die Geldgeber gaben dann auch die politische Richtung vor: leider eben nicht als autarke Volkswirtschaft eines unabhängigen Staates, sondern als Militärstützpunkt fremder Mächte und deren Kriegswirtschaft.
Man sollte die Palästinenser in Gaza nicht mit ihren extremistischen Machthabern gleichsetzen; als Volk hatten sie gar keine andere Wahl, als ihr tägliches Brot mit dem Dschihad zu verdienen. Egal, ob als Soldat, Handwerker, Lehrer oder Krankenschwester: alles diente dort letztlich der Kriegswirtschaft, es gab einfach keine andere. Wer jahrzehntelang gezwungen ist, in und von einem solchen System zu leben, der identifiziert sich irgendwann zwangsläufig damit - womit denn sonst?
Es kann und darf jetzt nicht darum gehen, diese Menschen einfach aus Gaza abzuschieben. Trumps Plan sieht vor, ihnen Alternativen zu bieten, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen - und zwar ganz individuell in freier Entscheidung, soweit es eben praktisch realisierbar ist. Sie sollen nach Jordanien, Ägypten und/oder andere Länder in der Region auswandern können, was ihnen bisher verwehrt wurde; und selbstverständlich sollen sie wahlweise auch nach Gaza zurückkehren dürfen, um dort das Land als komplett neues Projekt wieder aufzubauen. Schon aus rein praktischen Gründen können freilich nicht alle letzteres tun: die zerstörte Infrastruktur gibt das einfach nicht mehr her, in der drangvollen Enge ihrer Notunterkünfte würden sie sich dabei nur gegenseitig blockieren und auf Dauer weiter von Hilfslieferungen abhängig bleiben. Armut macht wieder neue Extremisten...
Der Plan, aus Gaza eine "Riviera des nahen Ostens" zu machen, erfordert immense Investitionen. Es ist ein grandioser, kühner, futuristischer Plan, in seinen Dimensionen durchaus vergleichbar mit Musks Weltraumprojekten. Um überhaupt funktionieren zu können, muss sich ein solcher Plan auch wirtschaftlich rechnen, und zwar für alle Beteiligten. Trump ist mit seinem ganzen Werdegang als Unternehmer prädestiniert dafür; schon die Idee an sich liegt ihm sehr viel näher als die macht- und militärpolitische Denkweise seiner Vorgänger. Er macht auch kein Hehl daraus, dass für ihn dabei selbstverständlich die Kasse stimmen muss. Das ist nicht kapitalistische Profitgier, sondern einfach nur unternehmerischer Realismus: "Deal" statt Krieg, zum Vorteil Aller.
Anstatt dem amerikanischen Präsidenten nun alle nur denkbaren Teufeleien zu unterstellen, bloß weil er "Republikaner" statt "Demokrat" ist, sollten wir ihn in dieser Sache unterstützen. Ob der Plan wirklich realisierbar ist, muss sich zwar erst noch zeigen. Aber immerhin ist das zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Rechnung, die aufgehen und einen zentralen Teil des Nahostkonflikts dauerhaft lösen könnte. Gelingt dieser Plan, dann hätte sich Trump damit - sehr im Gegensatz zu seinem Vor-Vorgänger - den Friedensnobelpreis redlich verdient.