Geschäftsreisen als mentale Killertripps, die wir eigentlich nicht wollen

Eigentlich dachte man, dass die modernen Kommunikationsmittel Geschäftsreisen irgendwann obsolet machen würden, den Reisedruck verringern. Dem ist nicht so.

Wo verdammt nochmal ist das Klo? Es ist irgendwas in der Nacht und ein urtümlicher Trieb hat mich geweckt. Was beim Aufwachen nicht funktioniert hat, ist die Orientierung. Ich klopfe unbeholfen auf die andere Seite des Betts. Da ist niemand. Dann bin ich vermutlich nicht zuhause. Wo zur Hölle ist jetzt dieser Lichtschalter? Au! Der Stuhl gehört auch nicht dahin. Schmerz ist aber gut. Schmerz weckt auf. Ich bin in einem Hotel. Das Klo ist drei Meter geradeaus, dann links. Die Lichtschalter schauen aus wie amerikanische, nein Blödsinn, englische Lichtschalter! Ich bin in England! Mein Hirn ist enorm stolz auf diese Denkleistung und schläft nach der körperlichen Erleichterung vor lauter Enthusiasmus auch gar nicht mehr ein. Inzwischen hat mein Hirn sogar herausgefunden, in welchem Hotel ich bin, welche Stadt, sogar welcher Tag heute ist. Das Ipad hat ihm dann auch noch gleich mitgeteilt, welche Termine auf uns warten und wann. Wir bleiben sogar noch eine Nacht hier. Das erklärt, wieso der Koffer noch nicht im Voraus praktisch abfahrbereit ist. Wir haben beim Ipad auf E-Mail geklickt. Müssen wir lesen. Zum Antworten sind wir aber nicht wach genug. Dafür schlafen wir dann doch mindestens 1 Stunde nicht, um die E-Mails hypothetisch zu beantworten und die Antworten auswendig zu lernen. Das ist wie Blindsimultanschach. Da wird man auch verrückt.

Das Verrückteste ist, dass man dann ja doch irgendwann einschläft und nach gefühlten zwei Minuten dieselbe Prozedur wieder durchgeht, nur dass man dann halt echt aufstehen muss. Die ersten vier, fünf Mal herum fliegen war glamourös. Jet-Set Leben. In Wirklichkeit wacht man aber zu irgendwelchen Zeiten auf, weiß nicht wo das Klo ist, und realisiert dann, dass man nicht weiß, in welcher Gegend man gerade ist und wann. Dann sitzt man beispielsweise irgendwann zwei Stunden am Flughafen San Francisco, um dann nach einem elfstündigen Flug in Frankfurt rund um den Flughafen zu laufen und dann nochmal zwei zu warten, bis man endlich in eine Sardinenbüchse steigen kann, um endgültig nach Hause zu kommen.

Andauernde Geschäftsreisen sind mentale Killertrips. Irgendwann war da mal die Idee, dass moderne Kommunikationsmittel den Reisedruck verringern werden. Unternehmen investierten Millionen in toll aussehende Videokonferenzen aller Größenordnungen, aber irgendwie werden die Lounges immer voller. Was haben wir nur alle davon, in jetlag-geplagte Augenringe zu schauen. Effektive Kommunikation scheint doch ein Gesamtkunstwerk zu sein. Wenn man nur Information austauschen will, ist Technologie wunderbar. Wenn man allerdings gemeinsame Entscheidungen fällen will, jemanden überzeugen oder verhandeln, wollen wir einander immer noch riechen und betatschen. Es scheint also eher ein altertümlicher Teil des Hirns zu sein, der Empathie und Meinungsänderungen steuert.

Und weil sich das so schnell nicht ändern wird, irren die Trockennasenaffen weiterhin durch fremde Hotelzimmer auf der Suche nach der Feuerstelle und der Wasserquelle.

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:11

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:11

fishfan

fishfan bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:11

Noch keine Kommentare

Mehr von Wieland Alge