Urlaub ist oft auch nur Verzweiflung am Alltag, werbetechnisch gut verpackt. Demokratiepolitisch kann das zum Problem werden.

Der Sommer ist da und das Eisen, das die Reisepläne geschmiedet hat, ist heiß. Sich zu amüsieren und das Leben gut zu finden ist trotz mittelprächtiger strategischer Vorausschau wichtig und richtig, gerade wenn man in Österreich lebt. Doch trotz geografischem Jackpot sollte man sich fragen, was wirklich wichtig ist.

Eine der Hauptfragen der Zukunft wird meines Erachtens sein, wie Menschen - die es nicht gewohnt waren/sind auf etwas verzichten zu müssen - reagieren, wenn nicht mehr alles auf Abruf und in Hülle und Fülle da ist. Das wird wohl vor allem den Mittelstand treffen. Wenn man also den Frust der 340 Tage im Jahr kaschieren kann mit der 25 Tage-Urlaubsreise die wahrscheinlich auch oft nicht nur puren Genuss darstellt, sondern die Verzweiflung am Alltag, die werbetechnisch so gut verpackt ist, damit wir glauben, dadurch wird es besser. Werbung eben. In der Regel werden Menschen dann zornig, wenn man im Verzicht keinen Gewinn, sondern nur mehr Abstriche und den persönlichen Abstieg sieht, den man mit keiner Konsumgelegenheit ausgleichen kann. Nicht sofort kommt der Grant, aber wenn sich die Gelegenheit bietet. Extrempositionen werden in Demokratien nicht aus heiterem Himmel gewählt - diese bauen sich meist "mit freiem Auge" nicht immer gleich sichtbar langsam auf und wenn sich die Gelegenheit bietet wird diese genutzt. Demokratie funktioniert nur, wenn man mit sich und der Mitwelt halbwegs im Reinen ist und seine eigenen Bedürfnisse kennt. Nur wer weiß was für einen selbst ein zufriedenes Leben ist, kann Standortbestimmungen an sich selbst stellen und an den betreffenden Stellrädern der Veränderung drehen.

Geistige Landesverteidigung als Bollwerk der Demokratie

Die Frage wie wir Menschen reagieren bei Engpässen ist eine demokratiepolitisch wichtige. Es wird zwar derzeit viel von Landesverteidigung gesprochen, aber kaum von der geistigen, meistens nur von der konventionellen. Kann eine Demokratie nach westlichem Vorbild bei defakto kaum Wachstum überhaupt funktionieren? Die Strukturen kosten sehr viel. Und in den letzten 30 Jahren gab es kein nennenswertes Wirtschaftswachstum. Wenn der Kuchen nicht mehr wächst ändern sich die Spielregeln: was die einen mehr kriegen, bekommen die anderen nicht mehr. In den USA gab es die letzten 270 Jahre ein konstantes Wachstum. In Europa gab es schon in den 30er Jahren Stagnation. Die letzte Innovation die wir hatten war das Smartphone und darauf aufbauend gab es einen Push für Softwarefirmen. Mehr nicht. Selbstfahrende Autos gab es schon 1920 und 1950 – heute bewirbt man sie zwar als topmodern, fahren tun sie aber trotzdem nicht. Wenn die Situation explodieren sollte muss man die Leute auch irgendwie ruhig stellen mit Brot und Spiele, Drogen, Streamings, Spiele usw.

Wäre Gleichmacherei die richtige Antwort auf einen nicht mehr wachsenden Kuchen? Wohl kaum. Durch ständiges Vergleichen bleiben die eigenen Wünsche wieder nur auf der Strecke – dann reagiere ich nur mehr auf den anderen, statt dass ich auf mich höre. Je horizontaler eine Gesellschaft, desto stärker die Nachahmung, weil es auch in greifbarer Nähe erscheint. Der Neid und das Gesamtzgesellschaftliche Konfliktpotential steigt. Dadurch, dass wir wohl fast alle Federn lassen müssen in nächster Zeit kommt noch die Sündenbock-Komponente dazu. Wer sich ständig zurück gesetzt fühlt macht immer eine Drittinstanz zuständig: Eltern, Freunde, Nachbarn, Staat, ... nur nicht sich selbst. Wenn das für eine Mehrheit Schule macht wird es brenzlig.

Selbstständiges Denken gehört gefördert

Durch das Tempo der Ereignisse der letzten zehn bis zwanzig Jahre - und in Zukunft werden die Abstände von einschneidenden Veränderungen wohl noch kürzer werden - muss das Individuum wieder mehr Selbstverantwortung übernehmen, statt der Fürsorgestaat. Bei sich schnell ändernden Zeiten ist es umso wichtiger auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, um bei abrupt auftretenden Änderungen nicht in Ohnmacht zu verfallen.

Veränderungen brauchen Zeit und starten im Kopf

Veränderungen brauchen aber Zeit und es gibt keine Garantie für einen erfolgreichen Ausgang. Genau deshalb muss man experimentieren, möglichst zeitnah, als Staat, aber auch als Individuum. Denn die Rundumabsicherung ist passe.

Man soll aber als Bürger keine bestimmten Vorstellungen haben, dass, wenn man bestimmte Fakten präsentiert, daraus das gewünschte Handeln resultiert. Das ist eine irreale Vorstellung. So funktioniert das Leben nicht. Viel wichtiger ist es, darüber nachzudenken, wie wir die Grundbedingungen moderner Gesellschaften, also die freiheitliche demokratische Ordnung, auf einen anderen Stoffwechsel bauen - einen, der tatsächlich Nachhaltigkeitsstandards erfüllt. Und das startet bei der Vorstellung, dem Einlassen auf gedankliche Änderungen, die beim Einzelnen beginnen. Schritt für Schritt. Man soll vom Reden ins Tun kommen – aber bei sich selbst starten, nicht alle anderen für die eigene Misere verantwortlich machen. Dass aber das System der Demokratie nicht eingetauscht wird durch eine Art Gedanken-Diktatur ist es wichtig, offene Fragen zu stellen um Menschen zum selbstständigen Denken anregen zu können. Schließlich ist jeder Mensch einzigartig und soll auch dementsprechend seine eigenen Bedürfnisse kennenlernen. Das ist ja auch das, was man eigentlich bei Ratschlägen haben möchte, dass jemand einem anderen beim Denken hilft, man also neue Denkansätze fürs Weiterdenken erhält. Nicht wie früher im Schachteldenken, gleich "die Lösung" parat haben. So entsteht nie Neues. Flankiert werden die alten Denkmuster, die die Lösungen blitzschnell an der Hand haben, von Medien/Filmindustrie/Werbung.

Streben nach Glück führt ins Unglück

Selbstoptimierung durch ständige Vergleiche und das Streben nach einem glücklichen Leben führt vollautomatisch ins Unglück. Neben dem Zufallsglück gibt es das Wohlfühlglück, das wir am liebsten festhalten wollen. Die Vorstellung von der perfekten Urlaubsreise wäre ein Beispiel. John Locke hat diese Definition schon 1690 vorgenommen. Die Natur habe dem Menschen das Streben nach Glück und dem Widerwillen gegen das Leid eingepflanzt. Demnach bedeutet das Glück die größtmögliche Lust - moderne Spaß- und Erlebnisgesellschaft wäre sonst nicht denkbar. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Es muss aber auch klar sein, dass dieses Glück nicht dauerhaft sein kann. Es gibt Niederlagen und es gibt den Nachbarn der "mehr" von etwas hat. Es gibt die gute Stunde, glückliche Augenblicke, für die sich der einzelne offenhalten kann, wenn er sie sehen möchte. Man soll sich kein Bildnis über Menschen und Dinge machen - der offene Blick bringt dann die schönen Momente. Aber es ist die Klugheit des Herzens die einen Menschen davor bewahren kann, dass der Mensch sein ganzes Leben mit einem einzigen Wohlfühlglück verwechselt. Dazu ein Zitat von Göthe aus einem seiner Gedichte: "Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen" (Göthe)

Wenn die Begriffe - die wir von Glück heute via der Medien und Erzählungen jungen Menschen geben - einen zu hohen Maßstab an das Leben festlegen, dann kann man eigentlich nur mehr scheitern. Der moderne Begriff eines Glücks das man zu erreichen hat ist ein solcher Begriff mit einem Maßstab, den den Menschen ins Unglück treibt. Deshalb ist es wichtig sich selbst besser zu kennen, damit man nicht ob der vielen Reize die Orientierung verliert.

Was Menschen wollen

Ansich wollen alle Menschen zwei Sachen: Dazu gehören (also verbunden sein) und einzigartig (also frei) sein. Der eine will einzigartig sein und mit einem Porsche fahren und der andere will das erreichen mit einem speziellen Hobby. Alle wollen dazu gehören. Auch der, der für Allah ist und der andere der für Gott ist, oder Rapid Wien. Das ist ein Dilemma. Zwei Dinge gleichzeitig haben wollen. Hinzu kommt dieses enorme Tempo der Entwicklungen, der Meinungen, der Ratgeber etc.pp. die heute auf Menschen einprasseln. Man entkommt ihnen nicht. Hat man früher eine Zeitung in der Früh gelesen konnte man sagen, man ist für den Rest des Tages informiert. Heute gibt es in S-Bahnen Videoscreens auf Bahnsteigen, Gratis Zeitungen, Smartphone als Ablenkung und dergleichen mehr. Die "soziale Familie" ist neben der "biologischen" gewachsen. Es gibt nicht mehr nur die Kollegen im Job, sondern auch die vielen Ratgeber" die man auf dem Weg dorthin "erfährt". Sich selbst zu hinterfragen löst das Dilemma. Man muss sich über die Probleme, die man im Leben hat, freuen können, weil man sich dadurch weiterentwickeln kann. Durch das selbst hinterfragen sieht man auch die eigenen Fehler - sonst sehe ich ja immer nur die Fehler bei anderen und spreche über Menschen, statt mit ihnen um auch etwas von ihnen wieder mitnehmen zu können. Dabei geht es nicht jemanden zu sagen was ein richtiges Leben ist, sondern wie ich mich mit meinem eigenen Dasein auseinandersetzen soll, damit sich Zufriedenheit einstellen kann. Wenn ich mich nie mit mir selbst beschäftige und zur Ruhe komme, dann kann ich nur auf die Außenwelt reagieren, aber nie agieren. Durch Fragestellungen wird die Zukunft mit der Realität verbunden und durch das sich selbst befragen entsteht auch Raum/Zeit für Reflexion. Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich auch gleich an die Realität und welche Probleme stattfinden können und wie ich diesen begegnen könnte. Und dadurch entstehen dann auch 340 gute Tage voll Zuversicht, ab und zu vielleicht auch ein bisschen Grant, aber ansich viel Zufriedenheit und der Urlaub muss dann nichts mehr kaschieren, sondern ergänzt nur mehr.

Wolfgang Glass ist promovierter Politologe und lebt in Wien.

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