Wir sehen was wir glauben und bleiben immer mehr unter uns

Das Fundament des Internet hat Risse bekommen. Bisher hält es sich erstaunlich gut, jedoch hat das Netz heute einen anderen Stellenwert als bei der Gründung. Demokratiepolitisch ist Obacht angesagt, denn die Wahrheit hat niemand gepachtet. Schon lange, aber seit dem Smartphone im Speziellen, gibt es „die Gesellschaft“ nicht mehr.

Vereinfacht gesagt kann man Internetverbindungen so erklären. Sie wollen Teilnehmer X anrufen, geben eine Nummer ein und werden dann von einer Vermittlungsstelle durchgestellt. Beim Internet ist es ähnlich. Man gibt in den Browser den Namen einer gewünschten Site ein und das elektronische Telefonbuch, der Domain Name Service (DNS), vermittelt sie, ordnet ihnen die Seite zu und diese erscheint dann bei Ihnen am Schirm. Die DNS ist das technische System, das die Domains zuordnen soll. Grundsätzlich sollte das sicher sein, ist es aber nicht mehr wegen dem enormen Datentransfer. Ein DNS Secure könnte die Verbindung verschlüsseln, würde aber viel kosten und ist somit nicht markttauglich. Auch das Border Gateway Protocol (BGP) – es dient zur Koordination der Daten um diese möglichst flott von A nach B bringen zu können – könnte eine „Secure“-Lösung erhalten. Doch auch diese ist zu kostspielig. Manche Staaten nützen diese Lücken um eine Art digitale Mauer bauen zu können. Andere nützen sie um Betriebe oder Privatpersonen zu erpressen. Die Technik stammt noch aus den 90er Jahren. Doch damals war das Internet tatsächlich noch eine elitäre Runde. Heute geht ohne das Netz nichts mehr.

Das Problem wird uns dann bewusst werden wenn Hacker auch auf wichtige Infrastrukturen oder Betriebe stoßen, deren Arbeit sie womöglich tage-/wochenlang oder noch länger blockieren können (Medien, Energienetze, Identitätsdiebstahl [beweisen sie mal, dass ihre Identität gestohlen wurde], …). Das Internet nimmt in allen Lebensbereichen einen rieseigen Platz ein. Man kann eigentlich nur mehr im System sein. „Nur ein bisschen dabei sein“ ist heute nicht mehr möglich. Die Bedienung von schwarzen Platten in Küchen muss ebenso gekonnt sein wie das Hantieren auf „Smart“-phones. Nachvollziehbar ist das für kaum noch jemanden. Stellen sie sich vor, jemand wird im Jahre 1900 eingefroren und im Jahre 1980 aufgetaut. Er wird das Leben halbwegs verstehen. Autos und Bahnen fahren nun, aber wie man Feuer mit einem Gasofen macht oder sich eine Karte für die Bahn besorgt ist nachvollziehbar. Auch kommen Lebensmittel noch aus der Umgebung, nicht mit dem LKW auf der Autobahn aus Irgendwo. Ganz anders sieht das heute aus. Wir fummeln über schwarze Platten und öffnen Türen ohne etwas zu machen, oder zahlen im Vorbeigehen (NFC/Near Field Communication). Solange es funktioniert ist das alles sehr praktisch. Der Wissenschafter Harald Welzer spricht in dem Zusammenhang von einer „Smarten Diktatur“, weil sich alles so praktisch und gut anfühlt, wir aber immer mehr die Daseinsbevollmächtigung über unser Dasein verlieren. Dinge sind seltener nachvollziehbar, die Rückkopplung mit der Mitwelt (zb.: Tierwelt) ist kaum noch vorhanden. Sie wird verfälscht durch das was uns vor der Linse gezeigt wird – liebe Hunde, „die Natur“, zwitschernde Vögel. Aber woher die Lebensmittel kommen ist uns egal, weil nicht sichtbar. Und Natur will eigentlich auch niemand – sie ist kalt, nass und schmutzig. Aus dem Spa-Bereich heraus sieht sie natürlich anders aus.

Auch medienpolitisch sind wir fast alle Nackerpatzerl und unsicher. Selbst die älteren Semester kapieren Begrifflichkeiten wie „Quellenstudium“ im Internet nicht. Wozu auch? Früher kannte man die Einstellung der Zeitung die man las, seine Freunde und Kollegen die man verabredete. Heute sind wir mit einer Bilder/Video/Sätzeflut dauerbeschallt ohne einordnen zu können woher das kommt und was das eigentlich im Detail bedeutet. Ein großer Teil der Tweets auf Twitter kommt von Bots, also von keinem Menschen. Russia Today Deutschland (am dritthäufigsten geretweetete Site in Deutschland) hat sich massiv im Bundestagswahlkampf eingemischt mit bewusster Dramatisierung verschiedener Nachrichten nur um Unruhe zu sähen. Krankenhäuser wurden Opfer von Hackerangriffen und konnten OPs nicht mehr durchführen. Die Produktion in einer Käserei in Belgien fiel aus weil sie gehackt wurden. Hybride Kriege finden auch in Österreich täglich statt. Nicht konventionell mit Panzer, also sichtbar/nachvollziehbar, aber eben hybrid. Hinzu kommen gesellschaftliche Scheinnormen die auch normativ verstanden werden und den Menschen nicht mehr den nötigen Rückhalt fürs Leben geben können, wie es vielleicht zur etwas übersichtlicheren Zeit der Eltern/Großeltern möglich war.

Die Zeit hat sich in den letzten zehn Jahren (Smartphone Revolution) schneller gewandelt als was sich früher innerhalb einer Generation (40 bis 50 Jahre) abgespielt hat. Zu meinen, man glaubt was man sieht ist Schwachsinn. Wir sehen was wir glauben und das führt dazu, dass wir immer mehr in unseren Blasen zurückgezogen leben. Hysterisch aufgeladen mit emotionalen Scheinwirklichkeiten anderer die für sich in Anspruch nehmen wollen es wäre die Wahrheit. Eine nähere Reflexion oder Diskurs mit einem Thema ist kaum mehr möglich weil die Oberflächigkeit regiert. Die Zeit fürs nähere hinschauen hat man nicht weil da schon die nächste Geschichte da ist.

Wichtig wäre die Schaffung von technischen Voraussetzungen (siehe Beginn des Artikels) um dieses vernetzte Leben entsprechend absichern zu können. Nicht nur um Hackern das Leben schwerer zu machen, sondern auch um die Identität von Menschen sichern zu können. Weiters muss endlich in den Schulen Medienkompetenz gelehrt werden damit nicht jeder jedem Deppen auf den Leim geht. Die Vervielfältigung von Meinungen ohne Begründung, eine Schwester der Denkfaulheit, nimmt im Netz über Hand und kann bei Bedarf Massen gegen demokratische Errungenschaften aufwiegeln.

Wolfgang Glass ist promovierter Politologe in Wien. www.glassiker.wordpress.com; www.facebook.at/glassiker1

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