Weg mit Wahlrechtsänderung von 2007 – weil Briefwahlreform alleine völlig unzureichend ist

Ulrich Lintl

Die Stichwahl und damit die 2. Runde der österreichischen Bundespräsidentenwahl 2016 ist, wie bekannt, von der FPÖ angefochten und vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden.

Kurz darauf sind von etablierten Politkern Forderungen nach einer „Reparatur“ der Briefwahl erhoben worden.

Und diese Forderungen sind für mich ebenso notwendig wie unzureichend.

Für mich gehört nicht die Briefwahl reformiert, sondern die gesamte Wahlrechtsänderung von 2007 rückgängig gemacht. Die 3 entscheidenden Punkte dabei sind:

  • 1) Weg mit der Ausweitung der Briefwahl auf das Inland, diese gehört wieder auf Österreicher im Ausland beschränkt.
  • 2) Weg mit der Senkung des aktiven Wahlalters für Erstwähler auf 16, dieses gehört wieder auf 18 Jahre gesetzt.
  • 3) Und ganz besonders gehört noch der Demokratieabbau durch die Verlängerung der Legislaturperiode bei Nationalratswahlen auf 5 Jahre abgeschafft und diese wieder auf 4 Jahre gesetzt.

Ad 1)

Auch ich teile die Forderung, dass die Briefwahl wieder – wie das eben bis 2007 schon der Fall war – ausschließlich für Auslandsösterreicher zu gelten hat.

Dies ist aktuell besonders von der FPÖ gefordert worden ist. Ich weise aber darauf hin, dass auch die Grünen 2010, und damit noch vor dem Eintritt in die Wiener Regierungs-Koalition, potentielle Missbrauchsfälle durch die Briefwahl im Inland angeprangert haben (http://diepresse.com/home/politik/wienwahl/600052/Stimmzettel-fur-Demenzkranke_SPOWahlbetrug) – und das auch völlig zu Recht.

Die Missbrauchsgefahr durch die Briefwahl im Inland ist einfach sehr groß. Das ist inakzeptabel und gehört durch die Abschaffung der Briefwahl im Inland geändert!

Ad 2)

Gerade unter Jugendlichen war 2007 die Reaktion auf die Ausweitung des Wahlrechts auch auf Minderjährige keinesfalls enthusiastisch. Und warum auch? Diese Wählergruppe ist besonders skeptisch gegenüber allen, ihnen bekannten Parteien.

Ich sehe die Senkung des Wahlalters von 2007 als eine Alibi-Maßnahme des Polit-Establishments, damit dieses sagen kann, es hat etwas gegen die Politikverdrossenheit getan – auch wenn diese dann trotzdem weiter besteht.

Viel sinnvoller wäre es hier, die extrem hohen Hürden für neue Gruppierungen nicht nur in Bezug auf den formalen Wahlantritt, sondern vor allem auch in Bezug auf nennenswerte Berichterstattung in den Medien zu senken, um für mehr Wettbewerb zwischen Parteien und damit auch für mehr und neue Ideen im politischen Diskurs zu sorgen.

Die IG Faires Wahlrecht, ein Zusammenschluss von Kleinparteien, hat hierzu schon einen umfassenden Forderungs-Kanon ausgearbeitet.

Ad 3)

Die Verlängerung der Legislaturperiode bei Nationalratswahlen war schon 2007 eine demokratiepolitische Frechheit – und ist es auch heute immer noch!

  • Dauer-Gestreite zwischen so genannten „Koalitions-Partnern“ – und damit verbunden mehr Wahlkampf zu Lasten der eigentlichen Regierungs-Arbeit – ist kein Grund für weniger Wahlen. Volksvertreter, die mit Steuergeld bezahlt werden, haben für den Souverän, also für uns, das Volk, zu arbeiten – und zwar stets die gesamte Funktionsperiode!
  • Bei 5 statt 4-jährigen Legislatur-Perioden und einem Anteil von ~ 40% vorgezogenen Neuwahlen geht jeder Bürger in seinem Leben 2 Mal weniger wählen – es wird also jedem Bürger 2 Mal in seinem Leben die demokratische Mitwirkungsmöglichkeit „gestohlen“.
  • Ich möchte auch dezidiert darauf hinweisen, dass 2007 der Demokratie-Abbau durch die Legislaturperioden-Verlängerung keinesfalls nur von der FPÖ abgelehnt worden ist. Zum einen haben das auch zahlreiche Kleinparteien quer über das politische Spektrum getan, z.B. KPÖ, CPÖ oder Rettet-Österreich (siehe http://www.wien-konkret.at/politik/wahlen/nationalratswahl2008/vergleich-parteien/). Zum anderen hat es mit der Initiative „4 Jahre sind genug“ ein breites, zivilgesellschaftliches Bündnis von NGOs und Einzelpersonen links der Mitte gegeben, die vehement die Beibehaltung der Legislaturperiode von 4 Jahren gefordert haben.

Fazit:

Die Stattgabe der Wahlanfechtung der heurigen Bundespräsidenten-Stichwahl durch den VfGH war ebenso wichtig, wie die heftige Kritik an der derzeitigen Briefwahl-Regelung.

Das alleine greift aber viel zu kurz. Wir brauchen nicht weniger, sondern MEHR Demokratie. Und neben der aus meiner Sicht so wichtigen und erstrebenswerten, direkten Demokratie, so gehört das Wahlrecht so demokratisch wie möglich gestaltet. Briefwahl im Inland und 5-jährige Legislaturperioden stehen aber für Demokratieabbau. Damit wir zumindest wieder das Niveau von 2007 erreichen, gehört die damalige Wahlrechtsänderung abgeschafft!

Und weil ich hüben wie drüben schon die ganzen Ideologisten aller Lager in meinem inneren Ohr keifen höre: Ein faires Wahlrecht ist nicht links, rechts oder mittig. Es ist einfach notwendig für jede Demokratie, die sich selbst ernst nimmt!

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mike.thu

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woidviertla

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