Beim Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (G 258-259/2017-9 vom 4. Dezember 2017) über u.a. die Verfassungswidrigkeit der Wortfolge „verschiedenen Geschlechtes“ in § 44 ABGB (gemeinhin unter „Ehe für alle“ bekannt) habe ich als interessierter Bürger und Nichtjurist eine Verständnisschwierigkeit.
In Randzahl 16 begründet der Verfassungsgerichtshof wie folgt (Hervorhebungen von mir als Verfasser, Anm.): „Vor dem Hintergrund einer bis in die jüngste Vergangenheit reichenden rechtlichen und gesellschaftlichen Diskriminierung von Personen gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung (dazu VfSlg. 19.492/2011) hat diese Trennung von Beziehungen, die in ihrem Wesen und ihrer Bedeutung für den individuellen Menschen grundsätzlich gleich sind, in unterschiedliche Rechtsinstitute einen diskriminierenden Effekt, wie ihn Art. 7 Abs. 1 Satz 2 B-VG als wesentlichsten Inhalt des Gleichheitsgrundsatzes gerade verbietet.“
Wenn ich den § 44 ABGB – auch in seiner künftigen Form – lese steht dort: „Die Familien-Verhältnisse werden durch den Ehevertrag gegründet. In dem Ehevertrage erklären zwey Personen gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen, und sich gegenseitigen Beystand zu leisten.“
Versteht man unter Wesen – gemäß Duden – „etwas, was die Erscheinungsform eines Dinges prägt, ihr zugrunde liegt, sie als innere allgemeine Gesetzmäßigkeit bestimmt“ erscheint mir das Wesen der Ehe gerade im Hinblick auf die genannte Wortfolge „Kinder zu zeugen“ nicht gleich zwischen einer hetero- und homosexuellen Beziehung:
Während der einen die Potentialität zur natürlichen Zeugung von Kindern biologisch innewohnend ist, ist dies bei der anderen nicht der Fall.
Selbst wenn die Formulierung „Kinder zu zeugen“ auf Elternschaft im weiteren Sinne bezogen wird, also inklusive künstlich unterstützter Fortpflanzung bzw. Adoption/Pflegeelternschaft, existiert m.E. ebenso ein wesentlicher Unterschied: Während ein lesbisches Paar die fortpflanzungsmedizinisch-rechtlichen Möglichkeiten dazu hat, ist es einem schwulen Paar aufgrund des Verbots der Leihmutterschaft in Österreich nicht möglich, eine dem Wesen nach gleiche Beziehung im Sinne des § 44 ABGB zu etablieren. Die mittlerweile analogen Möglichkeiten zu Adoption und Pflege heben den eben genannten Unterschied nicht auf.
Daraus ergibt sich nun meine bescheidene Verständnisschwierigkeit:
In Anbetracht der Tatsache, dass es wesentliche Unterschiede zwischen hetero- und homosexuellen Beziehungen hinsichtlich der Potentialität zur natürlichen und der rechtlichen Zulässigkeit fortpflanzungsmedizinisch unterstützter Zeugung von Kindern gibt, in wie fern kann die Formulierung „Beziehungen, die in ihrem Wesen … gleich sind“ (Randzahl 16) argumentiert werden?