Gegenwärtiges Lagerdenken und die Frage nach Auswegen

Im mehrteiligen Science-Fiction-Film „Die Bestimmung“ wird eine Gesellschaft gezeigt, die – vorgeblich zu ihrem eigenen Wohl – in sogenannte Fraktionen eingeteilt ist. Als „Unbestimmte“ werden dort jene Personen bezeichnet, die beim Persönlichkeitstest Eigenschaften mehrerer Fraktionen aufweisen, deshalb nicht einwandfrei zugeordnet werden können und somit eine potentielle Gefahr für das System darstellen.

Warum fällt mir dieser Film ein, wenn ich an den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema „Flucht und Asyl/Islam/Terrorismus/ Migration/Integration/“ denke?

Ich habe zunehmend den Eindruck, dass sich unsere Gesellschaft in dieser Frage dermaßen in Lager polarisiert, dass man bei jedem Anlassfall einen Offenbarungseid zu leisten genötigt erscheint, welcher „Fraktion“ man sich zurechnet. Bist du ein „abendlandstreuer Patriot“ oder ein „unverbesserlicher Gutmensch“? Bist du ein letztlich „nicht integrierbarer Schläfer“ oder gar ein „radikaler Extremist“? Oder lässt du dich in die Restfraktion der „bedenkentragenden Defätisten“ einordnen, die mutlos und angsterfüllt die Handhabung der weiteren Entwicklung für hoffnungslos halten?

Viel mehr Kategorien scheint mir der öffentliche Diskurs nicht zuzulassen. Und wehe, man fühlt sich nicht einer dieser Gruppen zugehörig! Jeder Anlassfall im Themenspektrum bietet eine neuerliche Chance der punzierenden Zuordnung, mit der Zeit wird man wohl des Pudels Kern jedes Menschen erkannt haben, so die subkutan mitschwingende Denkweise.

Man kann dies an den bekannten Beispielen „Islamgesetz 2015“, „Asylfrage“, „Flüchtlingstod auf der A4“, „Radikalisierungstendenzen in islamischen Kindergärten“, „Terroranschläge in Paris“ oder „Silvesterereignisse in Köln“ durchspielen.

Alle in traditionellen und modernen Medien geführten Meinungsbildungen, Diskussionen und Shitstorms laufen letztlich nicht darauf hinaus, ein vorliegendes Problem zu analysieren und durch eine gründliche Reflexion einer gemeinsamen seriösen Lösungssuche zuzuführen. Nein, es geht eher um das Einzementieren des Anderen in eine der genannten mentalen „Fraktionen“ und ein rechthaberisches Bloßstellen derselben anhand des jeweiligen Zugangs zum konkreten Vorfall. Leider funktioniert tendenziell die politische Arbeit auch nach keiner anderen Logik, sodass ein polarisierendes Vertiefen der Gräben zwischen den mentalen „Fraktionen“ das Ergebnis ist. Und viele Menschen nicht mehr wissen, wo sie darin einen ihnen entsprechenden Platz finden können.

Nur: Wo bleibt der nachhaltig wahrnehmbare Aufstand dieser Unbestimmten? Folglich all jener Menschen, die sich nicht auf diese durch die (ver)öffentlich(t)e Meinung gebildeten mentalen „Fraktionen“ festlegen lassen wollen? Und die den Impetus spüren, dass auch die anderen nicht diesem Entsolidarisierungsspiel auf dem Leim gehen und sich selbst in eine Kategorie pressen lassen sollen, die ihnen letztlich nicht gerecht wird? Und was bräuchte es, um dieses neu konstituierte Lagerdenken, dem man scheinbar zur allgemein-medialen Erquickung und teilweise eigenen Erregung frönen kann, aufzubrechen?

Bevor sich hehre Schlagworte à la „Stimme der Vernunft“, „Toleranz“, „Empathie“ oder „Dialogbereitschaft“ als Antwort wie eine alles einlullende Käseglocke über die aufgeworfenen Fragen stülpen und somit mehr zudecken als Konkretes zu Tage fördern, soll die zur Diskussion gestellte Frage nochmals zugespitzt werden:

Was kann ich konkret tun, um fraktionierendes Lagerdenken zurückzudrängen und zu einem positiven Modus Vivendi in der Gesellschaft beizutragen?

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julbing

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Claudia56

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