Conchita Wurst ist eine Sängerin. Sängerinnen wiederum, das weiß der popkulturelle Fachmann, singen. Und zwar zum Großteil Worte. Weil Conchita Wurst die Alleinschuld daran trägt, dass der Song Contest heuer in meiner Hood ausgetragen wird, dachte ich, es wäre der Volksbildung doch nicht abträglich, wenn ich im Vorfeld des beklagenswerten Ereignisses die Worte der vermeintlichen Dame fachmännisch nach Gehalt abklöpfe. Also besorgte ich mir die einschlägigen Textblätter und klopfte los.
Beginnen wir mit „Rise like a phoenix“, dem umjubelten Siegerlied aus dem Vorjahr. Ein Titel, der schon mal hoffen lässt. Denn der Phönix-Mythos ist auf eine unverständliche Art gut. Er geht ungefähr so: Alle 500 Jahre kommt ein rot- und goldfarbene Vogel in die Stadt Heliopolis, jeweils am Todestag seines Vaters. Aus Weihrauch formt das gefiederte Wesen dann ein Ei, das von der Größe her die Leiche seines Vaters aufnehmen kann. Dieses Ei trägt der Vogel dann in den Tempel von Heliopolis, wo es feierlich begraben wird. Dann passiert irgendwas mit Asche und fertig ist Gleichnis für Unsterblichkeit. Darum geht es in Conchitas Lied leider nicht. Dafür geht es um eine nur scheinbar überwundene Trennung. Oder so ähnlich. So ganz genau ist das nicht auszumachen. Und zwar nicht etwa, weil Wurst die künstlerische Technik der inhaltlichen Verfremdung benutzt, sondern weil das dargebotene Englisch von lachhafter Qualität ist. So gipfelt etwa der Refrain in der unfreiwillig komischen Zeile:
„You know I will rise like a phoenix. But you're my flame.“
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Das einzig bemerkenswerte an dieser Wortaneinanderreihung ist der spiegelverkehrte Anglizismus von „Du bist meine Flamme“. Alles in allem ist textlich das passiert, was immer passiert, wenn nichtenglischsprachige Rock- oder Schlagersängerinnen und ihre Produzenten englische Vokabeln aus dem Pop-Setzbau-Kasten zusammenwürfeln. Aber um den Text geht es vermutlich auch nicht. Hätte Conchita stattdessen die Packungsbeilage eines handelsüblichen Hypnotikums vertont, wäre der Song auch nicht schlechter geworden. Es drängt sich sogar der Verdacht auf, dass es der Songqualität sogar zuträglich gewesen wäre. Nicht nur für Conchita Wurst gilt: Wenn deutsche, schweizer oder österreichische Bands sich anschicken, auf Englisch zu singen, kann man schon mal in Deckung gehen: Denn dann wird’s meistens gleich peinlich.
Conchita Wurst als One Hit Wonder abzutun, wäre übrigens unfair. Dafür ist ihr Gesamtwerk einfach zu groß. Aktuell besteht es, glaube ich, aus fünf Songs. Einer davon heißt „Heroes“. Er ist inhaltlich besonders schlecht. Beklagte ich an „Rise like a Phoenix“ noch die Schablonenhaftigkeit der Texte, geht Heroes noch einen Schritt weiter und umarmt die vollkommene inhaltliche Leere. Oder besser: Die vollkommene inhaltliche Leere, die so tut, als hätte sie etwas zu sagen. Ein paar Kostproben gefällig? Die Sätze „Love is like a battle cry“, „Listening to the sound of silence“ und „let the walls come down“ werden ernsthaft und voll falschem Pathos gesungen. Das ganze gipfelt in einem Refrain, der sich nach David Bowie für Mittellose anhört: „We could be heroes, tonight.“ Man kann es drehen und wenden wie man will – „Heroes“ ist wahrlich keine Heldentat sondern ein missglückter Griff in die Phrasen-Mottenkiste der Popgeschichte. Mehr noch: Ein Malen-nach-Zahlen-Bild für Dreijährige erscheint im Vergleich zu diesem traurigen Schlager-Elend wie das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle.
Ich höre schon die Einwände. Sei nicht immer so streng! Immerhin ist Conchita Wurst doch eine internationale Botschafterin für Toleranz. Da mag schon stimmen, Auch ich finde ziemlich gut, dass Conchita Wurst mit ihrer konzeptionellen Gender-Verwirrung die Dümmsten der Dummen und die Selbstgerechtesten der Selbstgerechten derart zur Verzweiflung treibt, dass sie vor Schreck ihre Mutterkreuze und Rosenkränze fallen lassen. Aber trotzdem gilt bei belangloser Musik: Kein Fußbreit der Toleranz. Dass sich eine so interessante Figur wie Conchita Wurst künstlerisch mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden gibt, ist ärgerlich, aber wahrscheinlich ihrer Sozialisation in der kreativitätszersetzenden Casting Show-Vorhölle geschuldet. Schade. Denn inhaltlich ist bei Conchita Wurst einfach zu wenig da. Die Suppe ist sozusagen zu dünn. Und sie wird nicht dicker, nur weil man darin ein Barthaar findet. Für den Song Contest ist dieser hundertmal aufgewärmte Wursteintopf freilich ausreichend. Denn künstlerisch ist dort sowieso seit jeher Schmalhans Küchenmeister. Und das schlägt nicht nur mir auf den Magen.