Piloten sind eigentlich unnötig. Gibt es einen schöneren Einstiegssatz? Wahrscheinlich nicht. Und es kommt noch besser: Diesen Satz habe ich tatsächlich mal in einem Gespräch zu hören bekommen. Noch dazu von jemanden, der es wissen muss. Konkret kam er zu fortgeschrittener Stunde dem Kapitän einer großen europäischen Airline über die Lippen. Der ketzerische Luftfahrtoffizier versicherte mir, dass eine Passagiermaschine heutzutage problemlos vom Bordcomputer gestartet, geflogen und auch wieder sicher gelandet werden kann. Der einzige Grund, warum man immer noch uniformierte Humanoide vor den Steuerknüppel setze, sei jener, dass den chronisch verunsicherten Passagieren der Gedanke an eine künstliche Pilotenintelligenz nicht zumutbar sei.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob die Geschichte von der pilotenlosen Aeronautik stimmt, oder ob es sich dabei um Kapitänsgarn handelt, als latent beunruhigter Fluggast beruhigte mich diese Information aber schlagartig. Wenn nämlich eine Spezialaufgabe, wie die fachgerechte Handhabung eines Flugzeugs, so leicht zu bewältigen ist, dass sie sogar von einem Computer erledigt werden kann, so meine gedankliche Selbsterklärung, kann es mit der Gefahr eines Absturzes nicht allzu weit her sein. Außerdem hatte mich bereits zuvor die Ahnung beschlichen, dass die Aviophobie eine zutiefst irrationales Angst ist – genau wie die Deipnophobie, die Angst vor Essenseinladungen und Tischgesprächen, die Hellenologophobie, die Angst vor griechischen Begriffen oder meine persönliche Lieblingsangst – die Dikephobie, also die Angst vor Gerechtigkeit.

Irrational auch deswegen, weil die Statistik – zumindest auf den ersten Blick – immer noch der beste Reisebegleiter eines Fluggastes ist. Das Massachusetts Institute of Technology, also immerhin nicht irgendwer, hat die Wahrscheinlichkeit, bei einem kommerziellen Flug ums Leben zu kommen, mit eins zu 45 Millionen berechnet. Das bedeutet, dass ein Mensch 123.000 Jahre lang jeden Tag fliegen kann und trotzdem nie abstürzt. Das hört sich zwar gut an, beruhigt aber nur bedingt. Denn ohne über gesichertes Datenmaterial zu verfügen, behaupte ich mal, dass noch kein Abgestürzter zuvor tagtäglich 123.000 Jahre unfallfrei geflogen ist. Wie auch? Die zivile Luftfahrt ist ja nicht einmal halb so alt.

Apropos Statistik: Eine schöne Geschichte zum Thema Flugangst stammt vom US-amerikanische Wrestler Ric Flair. Flair überlebte Mitte der 1970er-Jahre einen Flugzeugabsturz. Seit damals, so erzählt er, reißen sich flugängstliche Kollegen darum, im Flieger neben ihm zu sitzen. Die beeindruckende wenngleich auch irrationale Logik der eingeschüchterten Berufsringer funktioniert so: Niemand stürzt zwei Mal im Leben mit dem Flugzeug ab. Darum bin ich, solange ich mit Ric Flair fliege, in Sicherheit.

Das mag zwar eine sympathische Strategie gegen Flugangst sein, jedoch stößt man damit in der Praxis auf nicht zu unterschätzende logistische Probleme. Zum einen benötigt man hierfür einen Bekannten, der einen Flugzeugabsturz erfolgreich überlebt hat und zum anderen muss man eben diesen Bekannten irgendwie davon überzeugen, künftig bei jeder Flugreise als Begleitperson mit an Bord zu sein.

Da lobe ich mir die vergleichsweise unkomplizierte Idee vom unnötigen Piloten. Der Kapitän als potemkinsches Dorf des internationalen Flugwesens – das ist die Business Class unter den Anti-Flugangst-Argumenten. Und wem selbst dieser Gedanke nicht hilft, dem darf ich als Ultima Ratio das fatalistische Motto der Hanse mit auf die nächste Reise geben. Zugegeben es ist schon ein paar Jahrhunderte alt und entstammt dem segelnden Gewerbe, aber die großartige Haltung dahinter lässt sich auch auf die moderne Luftfahrt umlegen: Seefahren muss man, leben muss man nicht. Word!

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