Das zweifellos außerordentlich besonnene und gewissenhafte Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Jakarta, dem von einer hochkarätigen, mit geballter Weisheit einstimmig votiert habenden achtköpfigen Findungskommission die Übernahme der künstlerischen Leitung der documenta fifteen anvertraut wurde, wollte „eine global ausgerichtete, kooperative und interdisziplinäre Kunst- und Kulturplattform schaffen“, um „das Augenmerk auf heutige Verletzungen zu richten(,) (i)nsbesondere solche, die ihren Ausgang im Kolonialismus, im Kapitalismus oder in patriarchalen Strukturen haben“, denen es „partnerschaftliche Modelle gegenüberstellen (möchte), die eine andere Sicht auf die Welt ermöglichen.“

Einen Geschmack von dieser „Partnerschaft der anderen Sicht“ konnte man u.a. in dem großformatigen Protestbanner namens „People’s Justice“ (2002) bekommen, für dessen angeblich unerwartet negativ aufgefallene Bildsprache sich das urheberschaftliche Kunstkollektiv Taring Padi sowie die künstlerische Leitung nach gewisser Zögerlichkeit, und nach mancher Auffassung leider nicht glaubhaft, zerknirscht gaben.

Ein weiterer Anghöriger dieser „Partnerschaft der anderen Sicht“, der nicht gerade zur Auflockerung der Stimmung angesichts der bisherigen Ereignisse beitrug, ist der Maler Mohammed Al Hawajri mit seinem Bilderzyklus „Guernica Gaza“.

Das bislang jüngste Beispiel ist eine mit „Presence des Femmes“ betitelte, ursprünglich in der algerischen Hauptstadt erschienene Broschüre, die auf der documenta von einer Initiative namens „Archives des luttes des femmes en Algérie“ (Archive der Frauenkämpfe in Algerien) eventuell ja wegen der darin enthaltenen Zeichnungen des aus Damaskus stammenden Künstlers Burhan Karkoutly (Borhan Karakotli) mit einer gewissen Intention ausgestellt wird.

Der die abberufene documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann ersetzende und mit ihr (und den genannten künstlerisch Beteiligten) die ideologisch gleiche „andere Sicht auf die Welt“ zu haben scheinende Alexander Farenholtz fühlt sich indessen „nicht berufen und kompetent zu sagen, was Antisemitismus genau ist und was nicht. Erst recht nicht, wenn es um ganz konkrete Vorgänge geht: zu entscheiden, ob das ein antisemitisches Artefakt oder nicht ist“.

Passend kommentierte der Politologe Florian Markl: „Dass man den antisemitischen Müll auch einfach rausschmeißen hätte können (. . .), war für Farenholtz anscheinend keine Option, zumal er – nach all den Monaten, die sich der Skandal jetzt schon hinzieht – »nicht die nötige Expertise« habe, um sich zum Thema Antisemitismus zu äußern (. . .) Leider stellte der Journalist der Hessenschau die naheliegende Anschlussfrage nicht, ob (Farenholtz) dann nicht schlicht der völlig falsche Mann für seinen Posten ist.“

Erlösende Kompetenz aus um so berufenerem Munde beweist hingegen ja nun zum Glück das leitende Kollektiv Ruangrupa höchstselbst, das sich zuvor im Fall von Taring Padi immerhin eine würdige Stellungnahme abgerungen hatte, wo es hieß:

„Tatsache ist, dass wir es versäumt haben, die Darstellung, die klassische antisemitische Stereotype transportiert, in der Arbeit zu erkennen. Das war unser Fehler. (. . .) Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, Scham, Frustration und das Entsetzen, die diese Stereotype bei den Besucher*innen und dem gesamten Team, das hart daran gearbeitet hat, die documenta fifteen Wirklichkeit werden zu lassen, auslösten.“

Und weiter:

„Die Bildsprache knüpft, wie wir jetzt in Gänze verstehen, nahtlos an die schrecklichste Episode der deutschen Geschichte an, in der jüdische Menschen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verfolgt und ermordet wurden. Es ist ein Schock, nicht nur, aber insbesondere für die jüdische Gemeinde in Kassel und in ganz Deutschland, die wir als unsere Verbündeten betrachten und die immer noch unter dem Trauma der Vergangenheit und mit anhaltender Diskriminierung, Vorurteilen und Ausgrenzung leben. Es ist auch ein Schock für unsere Freund*innen, Nachbar*innen und Kolleg*innen, für die der Kampf gegen alle Formen von Unterdrückung und Rassismus ein existenzielles Element ihrer politischen, sozialen und künstlerischen Vision ist.

Wir nutzen den Anlass, um uns über die grausame Geschichte des Antisemitismus weiterzubilden und sind schockiert, dass diese Darstellung in das betreffende Werk Eingang gefunden hat.“

Und weil Ruangrupa sich als so überaus lernfähig und lernwillig zur Weiterbildung entschlossen gezeigt hat, kann und darf diese Künstlergruppe natürlich jetzt auch ein garantiert kompetentes Urteil zu den karikaturhaften Bildern der Broschüre „Presence des Femmes“ abgeben. Zumal es dabei um die Darstellung israelischer Soldaten (u.a. mit Hakennase) während der ersten „Intifada“ im sog. „Nahostkonflikt“ geht, einem der Kernthemen in der postkolonialen, die BDS-Bewegung stärken wollenden Debatte, als deren Sympathisanten und Mitstreiter just die gegangene und die amtierende Geschäftsleitung sowie Mitglieder des verantwortlichen und weiterer Künstlerkollektive, und übrigens auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu betrachten sich niemand scheuen muss.

Anders als das der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Hessen, lautet Ruangrupas Fazit daher: „eindeutig nicht antisemitisch“, denn dies wäre eine „Fehlinterpretation“. Begründung: „Auf keinem der Bilder werden Menschen jüdischen Glaubens abstrakt dargestellt.“„Der Davidstern auf den Helmen von Soldaten ist das Symbol des israelischen Staates und der israelischen Armee, hier gibt es keine Zweideutigkeit.“

Aha. Na, wenn diese Bildpropaganda SO gemeint war und NUR israelische Soldaten damit stigmatisiert werden sollten, die ja bloß für den Schutz und die Sicherheit des einzigen jüdischen Staates und seiner Bevölkerung sorgen, damit er auch in Zukunft als möglicher Zufluchtsort für bedrohte und verfolgte Juden in der ganzen Welt erhalten bleibe, DANN hat das nun wirklich nix mit Antisemitismus zu tun.

Puh!

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