Das dominante Narrativ über die Sea-Watch 3 und ihrer Kapitänin Carola Rackete ist dass eine junge Frau von einem europäischen Land verhaftet wurde, weil sie Menschenleben gerettet hat. Diese Argumentation ist jedoch gefährlich nicht zuletzt weil sie falsch ist. Rackete wurde verhaftet, weil sie mit der Sea-Watch 3 ohne Erlaubnis in einen italienischen Hafen angelegt hat und ein Boot der italienischen Finanzpolizei (Guardia di Finanza) gerammt hat. Dazu kommt dass die deutsche Bundesregierung sich unverzüglich auf die Seite von Rackete geschlagen hat und für Italien eine fragwürdige Einmischung darstellt. Spätestens hier lohnt sich also eine kritische Betrachtung der Situation.
Die Rechtslage
Der Ablauf
Schlepper oder Retter
Die Rechtslage
Die Rechtslage wird im wesentlichen durch das Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ) und Richtlinien für die Behandlung von auf See geretteten Personen der internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) definiert. Gemäß Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ) besteht die Pflicht zur Hilfe für Personen die auf See in Lebensgefahr angetroffen werden. Die Seenot ist dabei rein objektiv zu betrachten. Die Gründe, die Umstände, die Herkunft der Betroffenen oder das möglicherweise bewusste Herbeiführen der Situation verändern nicht die Pflicht zur Hilfe. Dies betrifft auch die Tatsache dass die Boote der geretteten Menschen regelmäßig nicht seetauglich und/oder völlig überladen sind. [1,p.25,Art98]
Zusätzlich gelten Richtlinien für die Behandlung von auf See geretteten Personen der internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO). Hiernach sollen die aus der Seenot geretteten Menschen so schnell wie möglich an einen sicheren Ort zu bringen sind. Und ein sicherer Ort kennzeichnet sich dadurch dass die Menschen dort nicht in Gefahr sind. Ein Ort in denen das Leben und die Freiheit der Personen in Gefahr wäre sikk ebenfalls vermieden werden. [2,p.8ff]
Es besteht also die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot. Es besteht aber kein international verbrieftes Recht auf Einreise. Wenn die italienische Regierung also seine Grenzen schließen will, hat es dazu das Recht unabhängig ob es Außenstehenden gefällt.
Der Ablauf
Am 12. Juni 2019 hat die Sea-Watch 3 unter Leitung von Rackete vor der Küste Libyens 53 Menschen an Bord genommen. Kurz darauf ist sie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gescheitert. Der deutsche Verein Sea-Watch hat versucht mit einem Eilantrag in Italien anlegen zu dürfen. Nach diesem Verfahren kann der EGMR bei drohenden Menschenrechtsverletzungen einschreiten und Staaten anweisen zu helfen. [3] [4] [5] [6] [7]
Der EGMR begründete seine Entscheidung damit dass einstweilige Maßnahmen nur dann vorgesehen sind, wenn es ein unmittelbares Risiko für irreparablen Schaden gibt. Zuvor durften bereits 11 Menschen unter anderem wegen ihres Gesundheitszustandes das Schiff verlassen. Nach Angaben des EGMR gab es auf dem Schiff deswegen keine Menschen mehr die gefährdet waren. [3] [4] [5] [6] [7] Rakete kündigte daraufhin an trotzdem italienische Gewässer ansteuern da die Menschen es nicht mehr aushalten würden. [8] [9] [10]
Am 26. Juni 2019 fuhr die Sea-Watch 3 trotz Verbot in italienische Hoheitsgewässer ein. Bei der Hafeneinfahrt wäre es zu einem dramatischen Unfall am Hafen von Lampedusa gekommen. Ein Boot der Finanzpolizei (Guardia di Finanza) wurde von der Sea-Watch 3 gegen die Wand gepresst weil es die Hafeneinfahrt verhindern sollte. Spätestens hier stellt sich die Frage ob Rackete der Schutz von Menschenleben jemals wichtig war. [11] [12] [13]
Für ihr Verhalten wurde sie direkt nach der Landung von den italienischen Behörden verhaftet. Rackete verteidigte die unerlaubten Einfahrt in den Hafen von Lampedusa damit dass die Menschen an Bord bereits verzweifelt gewesen seien. Sie habe Angst gehabt und befürchtet die Menschen könnten sich selbst Schaden zufügen. [14] [15] [16] [17] Kurz darauf wurde hob ein italienischer Ermittlungsrichter den Hausarrest gegen Rackete jedoch wieder auf. [18]
Auffallend ist dass kein anderes Land angesteuert wurde. Anstatt während der langen Irrfahrt Tunesien, Ägypten, Frankreich, Griechenland oder Spanien anzufahren bestand man darauf in Italien an Land zu gehen. Und verwunderlich ist die Aufhebung des Hausarrests nachdem mit Gewalt gegen ein Boot der Finanzpolizei (Guardia di Finanza) vorgegenagen wurde. Es kommt hier bereits der Verdacht auf dass es nicht um die Menschen sondern um eine Kraftprobe mit der italienischen Regierung ging.
Schlepper oder Retter
Das Menschen die sich in Seenot befinden gerettet werden sollten ist rechtlich eindeutig und hat einen intrinsischen Wert. Natürlich sollten Menschen die sich in Seenot befinden also gerettet werden. Wer jedoch Nichtschwimmer oder nicht für die lange Überfahrt geeignete Boote einlädt auf das offene Meer zu fahren, muss sich auch kritisch hinterfragen lassen. Und spätestens hier stellt sich die Frage Schiffe wie die Sea-Watch 3 letztlich nicht mehr Schaden anrichten.
Regelmäßig ersuchen Schiffen den Zugang zu italienischen Häfen um Menschen die sie im Mittelmeer aufgenommen haben an Land zu bringen. Und es ist weiterhin fraglich warum diese Schiffe die Menschen nicht an die naheliegende Küste fahren, wenn sie die Menschen nicht direkt im Mittelmeer sondern direkt vor der Küste aufsammeln. Damit verhalten sich diese Schiffe effektiv wie Menschenschmuggler. Und es drängt sich die Frage auf wie viele Menschen wegen diesem Verhalten auf die offene See und damit in den sicheren Tod gelockt wurden weil ihnen Wasser, Proviant oder Kraftstoff ausgegangen ist. Selbst die kürzeste Strecke von der libyschen Küste bis zur italienischen Insel Lampedusa beträgt aber über 200 km und ist ohne Ortungssystem nicht zu finden und die nächste Strecke von der libyschen Küste bis zur Küste Siziliens beträgt über 500 km und ist mangels Platz für Wasser, Proviant und Kraftstoff selbst für ein mittleres Boot unerreichbar.
Die italienische Migrationspolitik der jüngeren Vergangenheit hat mit der Schließung einer aktiven Unterbindung einen humanitäreren Erfolg erreicht, da weniger Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. Zwischen dem 1. Januar und dem 15. März 2018 sind 5.945 Menschen in Italien eingetroffen. Zwischen dem 1. Januar und dem 15. März 2019 waren es nur noch 335 und damit 94 % weniger. Im Oktober 2017 bis einschließlich Januar 2018 wurden etwa 17.500 Asylbewerber abgelehnt. Im Oktober 2018 bis einschließlich Januar 2019 wurden dagegen 25.000Asylbewerber abgelehnt und damit 43 % mehr. Und die italienische Regierung hat zwar versprochen 500.000 Menschen abzuschieben, bisher aber lediglich 500 pro Monat abgeschoben. [20] [21]
Die Politik Italiens hat also wesentlichen Einfluss auf die gesamte Situation. Die Anzahl der über das Mittelmeer gekommenen Menschen ist von 172.301 in 2017 auf 113.482 in 2018 gefallen. Gleichzeitig fiel die Anzahl derjenigen die im Mittelmeer ertrunken sind oder vermisst wurden von 3.139 in 2017 auf 2.262 in 2018. [22] Hiernach tragen die Schiffe einen Beitrag dazu Menschen aus Afrika auf das offene Meer zu locken. Und umgekehrt wurde ein Ende dieser Vorgehensweise bedeuten dass weniger Menschen im Meer ertrinken würden.
Die Abteilung für Sicherheitsinformationen (Dipartimento delle Informazioni per la Sicurezza/DIS) unterstreicht auch diese Entwicklung mit ihrem Bericht für das Jahr 2018. Hiernach sei besondere Wachsamkeit geboten da die Gefahr des Eindringens von Terroristen in Migrationsströme bestehe. Nach Angaben der Abteilung für Sicherheitsinformationen (Dipartimento delle Informazioni per la Sicurezza/DIS) liegen ihr Informationen vor dass die Gefahr besteht dass die Migrationsströme bewusst genutzt werden um Terroristen einzuschleusen. [23,p.89] [24]
Dazu kommt dass auch die Sea-Watch 3 am Tag an dem die 53 Menschen aufgenommen wurden sich beim Bouri Öl Feld vor der Küste Libyens befand. Ob die Sea-Watch 3 dort angelegt hat oder nur da dicht vorbeigefahren ist und ob sie nur zeitweise oder den ganzen Tag dort war ist damit aber nicht geklärt. Auffallend ist die Lage welche wegen der gut sichtbaren Bohrinsel perfekt als Treffpunkt geeignet ist. Die Sea-Watch 3 braucht wegen des GPS-Systems keine Orientierungspunkte, ein Schlauchboot dagegen schon. [25] [26]
[1] SEERECHTSÜBEREINKOMMEN DER VEREINTEN NATIONEN UND ÜBEREINKOMMEN ZUR DURCHFÜHRUNG DES TEILS XI DES SEERECHTSÜBEREINKOMMENS 1998-06-23
https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:179:0003:0134:DE:PDF
[2] Bekanntmachung der IMO-Entschließung MSC.167(78) des Schiffssicherheitsausschusses über die Richtlinien für die Behandlung von auf See geretteten Personen (angenommen am 20. Mai 2004)
https://www.bsh.de/DE/THEMEN/Schifffahrt/Nautische_Informationen/Weitere_Informationen/Schifffahrtsvorschriften/Downloads_Schifffahrtsvorschriften/Internationale_Schifffahrtsvorschriften/Beilage_2009-10.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[3] Retter scheitern mit Eilantrag - „Sea-Watch 3“ darf nicht in Italien anlegen 2019-06-25
https://www.tagesspiegel.de/politik/retter-scheitern-mit-eilantrag-sea-watch-3-darf-nicht-in-italien-anlegen/24494088.html
[4] Eilantrag abgelehnt, Einreise verweigert - Flüchtlinge scheitern vor Gericht und müssen auf See bleiben 2019-06-25
https://www.spiegel.de/politik/ausland/sea-watch-3-fluechtlinge-scheitern-vor-europaeischem-gerichtshof-fuer-menschenrechte-a-1274294.html
[5] Europäischer Gerichtshof lehnt Sea-Watch-Antrag ab 2019-06-25
https://diepresse.com/home/ausland/welt/5649846/Europaeischer-Gerichtshof-lehnt-SeaWatchAntrag-ab
[6] Eilantrag gegen Italien - "Sea-Watch" scheitert vor Gericht 2019-06-25
https://www.tagesschau.de/ausland/sea-watch-145.html
[7] Seenotrettung : "Sea-Watch 3" darf nicht in Italien anlegen 2019-06-25
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-06/seenotrettung-sea-watch-3-italien-europaeischer-gerichtshof-menschenrechte
[8] 'Enough, we're coming': Stranded rescue ship heads for Italy without permission 2019-06-26
https://www.thelocal.it/20190626/sea-watch-rescue-ship-heads-for-italy-without-permission
[9] Sea Watch: Kapitänin steuert trotz Verbots Lampedusa an 2019-06-26
https://kurier.at/politik/ausland/sea-watch-kapitaenin-steuert-trotz-verbots-lampedusa-an/400534738
[10] MITTELMEER - Sea-Watch-Kapitänin will Migranten trotz Verbots nach Lampedusa bringen 2019-06-26
https://derstandard.at/2000105420704/Sea-Watch-Kapitaenin-will-Migranten-trotz-Verbots-nach-Lampedusa-bringen
[11] Carola Rackete arrestata, cosa rischia ora la capitana della Sea Watch 3 2019-06-29
https://www.quotidiano.net/cronaca/carola-rackete-arrestata-1.4669876
[12] La Sea Watch si scontra con la motovedetta della Gdf sulla banchina di Lampedusa 2019-06-29
https://youtu.be/yOsHnKXJ_SY
[13] Matteo Salvini: Stanotte comportamento CRIMINALE della comandante della nave pirata che ha tentato di schiacciare contro la banchina del porto di Lampedusa una motovedetta della Guardia di Finanza, con l’equipaggio a bordo, mettendo a rischio la vita degli agenti. DELINQUENTI! 2019-06-28
https://twitter.com/matteosalvinimi/status/1144859183814250496
[14] MIGRANTI - Sea Watch, parla Carola Rackete: «Dovevo entrare in porto, temevo che alcuni migranti potessero suicidarsi» 2019-06-30
https://www.corriere.it/politica/19_giugno_30/dovevo-entrare-portotemevo-che-alcuni-migrantipotessero-suicidarsi-2a0a6448-9aad-11e9-8fdd-d4f7eb4bd62c.shtml
[15] "Sea-Watch"-Kapitänin - Carola Rackete begründet Entscheidung mit hoffnungsloser Lage 2019-06-30
https://www.spiegel.de/politik/ausland/carola-rackete-sea-watch-kapitaenin-verteidigt-hafeneinfahrt-a-1275064.html
[16] "Sea Watch 3" - Kapitänin Rackete rechtfertigt Hafeneinfahrt 2019-06-30
https://www.sueddeutsche.de/politik/sea-watch-3-carola-rackete-lampedusa-1.4505310
[17] Rettungsschiff "Sea-Watch 3" - Kapitänin verteidigt Hafeneinfahrt 2019-06-30
http://www.tagesschau.de/inland/sea-watch-183.html
[18] Sea-Watch-Kapitänin - Rackete kommt wieder frei 2019-07-03
https://www.tagesschau.de/ausland/rackete-sea-watch-freilassung-101.html
[19] people trafficking 2016-03-12
https://youtu.be/TbIc1LZqIAw
[20] 94 Prozent weniger Migranten in Italien eingetroffen 2019-03-18
https://derstandard.at/2000099728659/94-Prozent-weniger-Migranten-in-Italien-eingetroffen?ref=article
[21] Italy rejects record number of asylum applications 2019-02-14
https://www.theguardian.com/world/2019/feb/14/italy-rejects-record-number-of-asylum-applications
[22] Migration: Weniger Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken 2019-01-03
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-01/migration-fluechtlinge-mittelmeer-gestorben-gesamtzahl-un-fluechtlingshilfswerk
[23] RELAZIONE SULLA POLITICA DELL’INFORMAZIONE PER LA SICUREZZA 2018
https://www.sicurezzanazionale.gov.it/sisr.nsf/wp-content/uploads/2019/02/Relazione-2018.pdf
[24] Servizi segreti: “Riduzione navi Ong duro colpo per i trafficanti” 2019-02-28
https://www.ilprimatonazionale.it/politica/servizi-segreti-riduzione-navi-ong-duro-colpo-per-i-trafficanti-106391/
[25] SEA-WATCH 3 - SEARCH & RESCUE VESSEL
https://www.vesselfinder.com/de/vessels/SEA-WATCH-3-IMO-7302225-MMSI-244140096
[26] Bouri Oil Field Port Flag
https://www.fleetmon.com/ports/bouri-oil-field_lybou_7818/?language=de