Da kommt sie angekrochen. Wie ein schwarzer Hund. Ich überlege, ob ich sie nehme und entscheide mich für sie. Erlaube mir die Zeit traurig zu sein, melancholisch, sentimental. Höre Lieder in der Dauerschleife. „Don’t you remember?“ schmettert Adele bereits zum zweiten Mal. Frank Duval haucht „Give me your love“. Jede Zeit hat ihre Lieder. Meine Gedanken schweifen ab. Zum Sommer von damals. Zu Tommy. Ich sehe die goldfarbenen, sich in der sanften Brise leicht hin und her wiegenden Weizenfelder, den hellblauen, strahlenden Himmel und die Schäfchenwolken über uns vor meinem geistigen Auge, spüre nahezu die flimmernde Luft auf meiner Haut, rieche förmlich den betörenden Duft des Sommers und des warmen Regens, schmecke die süßen Kirschen und die leidenschaftlichen Küsse im Weizenfeld. Wir, Hand in Hand, du und ich.
Mein Blick fällt auf die vor mir liegende Zigarettenpackung. Das Foto eines Mannes mit nacktem Oberkörper, leicht nach hinten überstrecktem Kopf und offenem Mund. Eine blaue OP-Haube. Eine behandschuhte Hand. Kardioversion. Gedanklich werde ich in den Aufenthaltsraum vor dem Schockraum katapultiert, in dem ich wartend sitze. Ich höre die Rotorblätter des Christophorus, die ich in Wahrheit nie gehört habe, das Läuten des Telefons, den Anruf des Polizisten, das Ticken der Uhr im Warteraum. Minuten werden zu Stunden. Kalte Plastikstühle. Der Kaffeeautomat. Die Versicherungsnummer, eingebrannt in meinem Gedächtnis, 2114. Seine. Ich bin ihm noch immer böse.
Ich vertreibe die unschönen Erinnerungen. Kehre in Gedanken zurück zu Tommy. Rieche den Innenraum seines alten 244er Volvos, sehe seine engen Röhrenjeans, seine Adidas Turnschuhe - Jogging high. Ich sehe mich selbst, auf der kleinen Brücke im Wald stehend, und ihn, sich, mir imponieren wollend, mit einer Liane von einem Ufer zum anderen schwingen wollend, scheiternd, höre das Platschen des Baches und unser unbeschwertes Lachen. Rieche den Duft des Waldes. Rieche den Duft seiner Kleidung. Tommy. Was wäre gewesen, hätte ich dich nicht wegen ihm verlassen? Müßig, darüber nachzudenken. Es war.
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Ich erinnere mich an ihn. Er war Teil meines Lebens, ist es noch heute. Sehe uns gemeinsam auf der Donauinsel. Er füttert mich mit Käsekrainer. Ich muss schmunzeln. Damals war ich immer hungrig. Wir, Hand in Hand, er und ich. Am Wiener Naschmarkt. Zwischen all dem Tand, den durcheinander geratenden Stimmen. Flimmernder Staub. Auf Zypern. Braungebrannt. Nach Kokosöl riechend und schmeckend. Den Duft des Sommers inhalierend. Ohne Helm Moped fahrend, den sanften, warmen Wind auf der Haut spürend.
Er hat mir jeden Morgen eine Zimtschnecke aus der Bäckerei zum Frühstück geholt. „Herr Zimtschnecke“ wurde er von den Damen genannt. Ich habe nie wieder eine Zimtschnecke gegessen.
Ich höre „Midnight Lady“ von Chris Norman. Unser Lied. Erinnerungen an das dreitägige Sportfest kommen hoch, an unseren ersten Tanz, den Geruch von Denim Moschus Rasierwasser. Seine weißen, geflochtenen Mokassins. Das hellgelbe Georgio Armani Polo-Shirt. Die grauen Bundfaltenhosen. Die mir unerklärlichen Tränen von Monika, die so verliebt in ihn gewesen war, draußen, im Dunkeln, sich an die Mauer auf der Rückseite des Gebäudes lehnend, sich versteckend. Sie hat es vermutlich vor mir gewusst. Der Beginn vom Beginn und gleichzeitig vom Ende.
Er hat mir Autofahren beigebracht, ich war keine sechzehn. Der alte Jetta fällt mir ein. Kirschrot. Die Motorhaube von der Sonne ausgebleicht. Ich weiß noch immer das Kennzeichen. W 234.758. Und Motorrad fahren. Die alte, rote 500er Suzi. Der Duft des Praters steigt mir in die Nase. Es ist Sommer. Es ist der 1. August. Wir fahren Hochschaubahn. Das erste Ich-liebe-dich. Knallenge schwarze Motorradjacken. Ich rieche das Leder, sehe unsere kirschroten Nolan-Motorradhelme, sehe ihn vor mir knien, mir den Nierengurt zumachen. Lachfalten um die Augen. Braungebrannt. Groß. Stark. Muskulös. Abends hat er mich immer auf seinen Armen ins Bett getragen.
Die Brandung des stahlblauen Meeres. Weiße Schaumkronen. Möwen. Weintrauben. Würziges Gyros. Oliven. Knoblauch. Der Duft der Insel. Das lederne Gesicht des Alten in schmutziger Aladinhose, mit zahnlosem Grinsen, der mir drei Nüsse schenkt, die er mit seinen trockenen, faltigen Händen aus seiner Hosentasche gekramt hat. Der mich mit seinen trockenen Lippen auf die Wange küsst und mir eine Blume überreicht. Eine Verständigung, die keine Worte braucht. Das Gleichschwingen. Das unbeschwerte Lachen. Die Leichtigkeit des Seiens.
Jede Stadt, jedes Land hat seine eigenen Gerüche. Paris, Venedig, Sizilien, Mallorca, Grand Canaria, Lanzarote, Las Vegas, Los Angeles, San Francisco. Der Duft unserer Körper. Schwitzend. Sich auf strahlend weißen Leintüchern wälzend. Sich umklammernd. Sich aneinander festkrallend. Sich liebend.
Elton John trällert „Nikita“. Der Geruch von Weichspüler drängt sich auf. Die Zweiliterflasche Quanto, hellblau, die ich ihm im Streit nachgeworfen habe, die krachend auf den Fliesen zerbarst. Ich muss lächeln. Der Geruch hat sich monatelang gehalten. Und ich erinnere mich an die von mir fein säuberlich in Scheiben geschnittene Kakteensammlung. 40 Stück. Seine. Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns immer versöhnt.
Meine Gedanken schweifen ab, zu Tommy, der mich anfleht, zu ihm zurück zu kommen. Mich zu entscheiden. Ihn zu verlassen. Ich habe mich entschieden. Müßig darüber nachzudenken, was gewesen hätte sein können. Es war.
Zeit des Walzers. Des schneeweißen, eng taillierten Brautkleides mit dem magischen Glitzereffekt und den vielen Tüllschichten. Damals war ich noch naturblond. Mechen. Dauerwelle. Weiße Lack High Heels. Ich habe sie nicht aufbewahrt, ebenso wenig das Kleid. Ich war nie wieder blond. Die Erinnerung an das erste Ultraschallbild kommt hoch. Und an seinen entzückten Ausruf. „Ein Sohnemann!“ Tränen des Glücks. Jahre des Glücks. So viele an der Zahl.
So viele gespeicherte Bilder. Klänge. Düfte. Erinnerungen an längst vergangene Tage. Ich erlaube dem schwarzen Hund anzukriechen. Ich gestatte mir traurig zu sein, sentimental, der Vergangenheit nachzuhängen. An das zu denken, was schön war. Echt. Heil. Nur an das.
Das heutige Datum - es ist sein Geburtstag.
eigenes Bild; Zypern, 1990 die Löwin und das Bike