Eine ausführliche Beschreibung aller psychiatrischen Krankheitsbilder würde den Rahmen sprengen, es wird daher zunächst (durch die Darstellung der Diagnosekategorien nach ICD-10) ein grober Überblick über die einzelnen psychiatrischen Störbilder gegeben. Im Anschluss werden psychiatrische Begrifflichkeiten erklärt und abschließend Wahn, Angststörungen, Phobien und Zwangsstörungen beschrieben sowie Fallbeispiele präsentiert.

1 Klassifikationssysteme

In Klassifikationssystemen werden international anwendbare Kriterien für die Diagnose und deren Systematisierung beschrieben. Während in der somatischen Medizin und der Psychosomatik die Zuordnung vorwiegend nach der Krankheitsursache erfolgt, werden in der Psychiatrie ähnliche Symptomkonstellationen bzw. Ähnlichkeiten im Krankheitsverlauf als Kriterium für die Systematisierung herangezogen. Neben dem DSM-IV kommt im deutschsprachigen Raum das Klassifikationssystem der WHO ICD-10 zur Anwendung, in welchem die Zuordnung psychischer Störungen nach phänomenologischen Gesichtspunkten erfolgt. Neben Symptomen finden im ICD-10 auch Zeit- und Verlaufskriterien sowie Ein- und Ausschlussdiagnosen Berücksichtigung.

Psychiatrische Störungen sind im ICD-10 im Kapitel V unter dem Buchstaben F in folgende diagnostische Hauptgruppen eingeteilt:

F0: organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen

F1: psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

F3: affektive Störungen

F4: neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen

F5: Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren

F6: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

F7: Intelligenzminderung

F8: Entwicklungsstörungen

F9: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

2 Psychopathologische Symptome

Störungen psychischer Funktionen stellen sich als psychopathologische Symptome dar. Ein Blick auf die unterschiedlichen Symptome, welche zum Teil typisch für verschiedene psychische Störungen sind, macht deutlich, dass einige nicht ungewöhnlich erscheinen und manche dieser Merkmale auf jedermann – zumindest zeitweise – zutreffen.

Zu berücksichtigen gilt allerdings, dass die Diagnose einer psychischen Störung von zahlreichen Kriterien abhängig ist.

Eine taxative Aufzählung von psychopathologischen Symptomen ist aufgrund der schier endlosen Vielfalt und den unterschiedlichen Ausprägungen nicht möglich. Nachstehend erfolgt eine deskriptive Auflistung von häufigen Phänomenen unter Zuordnung zu unterschiedlichen Bereichen.

Kognitive Störungen

Bei Störungen kognitiver Prozesse wie Vorstellung, Beurteilung, Gedächtnis, Konzentration, Wahrnehmung, Lernen und Denken kann die Funktion sowohl hinsichtlich Qualität als auch in Bezug auf die Quantität gestört sein.

Formale Denkstörungen

Bei formalen Denkstörungen handelt es sich um Beeinträchtigungen des Denkablaufs, die sich in der Sprache und Sprechweise zeigen. Das Denken ist durch Verlangsamung oder Beschleunigung gestört. Formale Denkstörungen treten häufig bei Schizophrenie, schweren Depressionen und bei Demenzen auf. Eine Denkverlangsamung oder -hemmung zeigt sich in einer langsamen, schleppenden Sprechweise. Umständliches Denken ist charakterisiert durch weitschweifige Ausdrucksweise und der Unfähigkeit, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen. Beim eingeengten Denken kreist das Denken um ein Thema (auch Grübeln genannt), während es beim Gedankenkreisen zum Ablaufen von immer wieder denselben Gedanken kommt. Unter Gedankendrängen wird verstanden, dass viele verschiedene und gleichzeitige Einfälle oder Gedanken auftreten. Unter Ideenflucht versteht man die Fälle von gedanklichen Einfällen, wobei das Denkziel nicht erreicht wird, da dazwischen neue Gedanken und Ideen geschaltet sind.

Extrem rasches Sprechen wird als Logorrhoe bezeichnet. Des Weiteren unterscheidet man bei den formalen Denkstörungen das sog. Vorbeireden sowie das Gedankenabreißen, erkennbar durch abrupten Abbruch eines Gedanken ohne äußere Ablenkung u/o plötzliches Stocken beim Sprechen. Inkohärenz und Zerfahrenheit bezeichnet die Fragmentierung von Sätzen, die Bildung von Worten ohne Sinn, das Fehlen eines logischen Zusammenhangs im Sprechen. Unter dem Begriff Neologismen werden Wortneubildungen, Wortneukreationen verstanden.

Befürchtungen und Zwänge

Unter Misstrauen versteht man die Unterstellung von feindseliger Haltung, ggf. kommt es zur Manifestation als Eifersucht. Hypochondrie hingegen bezeichnet die verstärkte Wahrnehmung von Missempfindungen, denen eine übermäßige Bedeutung zugemessen wird.

Bei Phobien handelt es sich um Ängste vor Objekten (z. B. vor Tieren) oder Situationen (z. B. Höhen). Betroffene tendieren zu Vermeidungsverhalten.

Bei Zwangsgedanken handelt es sich um zwanghafte Ideen und bildhafte Vorstellungen, die Zwangsimpulse auslösen und in Zwangshandlungen (gegen den inneren Widerstand) enden. Betroffene erkennen und interpretieren diese Zwänge weitgehend als unsinnig. Eine Unterbindung der auftretenden Phänomene führt zu Angst. Zwangszeremonielle oder -rituale bedingen die Durchführung von Handlungsschritten in einer bestimmten Reihenfolge. Zwänge sind Leitsymptom von Zwangsstörungen, kommen jedoch auch bei Depressionen, z. B. als Zwangsgrübeln, vor.

Wahn

Störungen des Urteilens bzw. objektiv falsche Überzeugungen, an denen festgehalten wird, obwohl sie im Widerspruch zur Erfahrung und zur Überzeugung gesunder Mitmenschen stehen, werden als Wahn bezeichnet. Bei Wahn handelt es sich um eine krankhafte Fehlbeurteilung der Realität, eine „falsche Überzeugung“. Das spezifische Charakteristikum an Wahn ist die Unkorrigierbarkeit, das Festhalten mit absoluter Gewissheit. Beim Zusammenschluss von Wahnideen kann es zu einem sog. „Wahngebäude“ kommen. Beispiele für Wahn sind der hypochondrische Wahn, der Vergiftungswahn, der Größenwahn, der Liebenswahn, der religiöse Wahn, Verarmungswahn, Beziehungswahn, Eifersuchtswahn, Schuldwahn, Versündigungswahn, nihilistischer Wahn.

Halluzinationen

Bei Halluzinationen handelt es sich um Wahrnehmungen ohne eine entsprechende Reizquelle: Hören, Schmecken, Riechen, Fühlen, Sehen. Im Gegensatz dazu ist eine Illusion eine wirkliche, aber fehlgedeutete Wahrnehmung. Beim Stimmenhören werden kommentierende, dialogische und imperative Stimmen unterschieden, bei akustischen Halluzinationen kommt es zum Hören von Musik, Geräuschen, einem Zischen u. a. Optische Halluzinationen treten häufig im Delir oder in der Demenz auf. Bei Körperhalluzinationen handelt es sich um taktile Halluzinationen, z. B. Dermatozoenwahn. Des Weiteren gibt es auch Geruchs- und Geschmackshalluzinationen (häufig Fäkalien).

Störungen der Affektivität

Bei der Affektivität werden kurz andauernde Affekte, wie beispielsweise Ärger, Freude, Zorn, von länger andauernden Stimmungen, z. B. depressive Störung, unterschieden. Folgende Störungen betreffen die Affektivität: Ratlosigkeit, Gefühllosigkeit, Affektarmut, Hoffnungslosigkeit, Ängstlichkeit, Euphorie, Dysphorie, innere Unruhe, Insuffizienzgefühle, gesteigertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Deprimiertheit, Affektlabilität, Affektstarre u. a.

Antriebsstörungen und psychomotorische Störungen

Bei Antriebs- und psychomotorischen Störungen sind Aktivität und Energie betroffen. Es kommt entweder zu einer Antriebsarmut (Verlangsamung, Mangel an Initiative) oder zu einer Antriebssteigerung (ungerichtete Aktivität, Hektik, unorganisiertes Verhalten, Agitation). Unter Manieriertheit werden gekünstelte, bizarre, stilisierte Bewegungen verstanden.

Bewusstseinsstörungen

Bei den Bewusstseinsstörungen erfolgt eine Beurteilung nach quantitativen sowie nach qualitativen Gesichtspunkten. Quantitative Bewusstseinsstörungen sind Benommenheit, Somnolenz, Sopor, Koma. Unter qualitativen Bewusstseinsstörungen werden Bewusstseinsveränderungen, bei der die normalen psychischen Abläufe gestört sind, verstanden: Bewusstseinseintrübung (Störung der Fähigkeit, verschiedene Aspekte der eigenen Person und der Umwelt zu verstehen und sinnvoll miteinander zu verbinden), Bewusstseinseinengung (Fokussierung der kognitiven und emotionalen Vorgänge auf wenige Themen), Bewusstseinsverschiebung (subjektives Erleben eines erweiterten Bewusstseins, z. B. durch subjektive Erweiterung der Sinneswahrnehmungen).

Orientierungsstörungen

Unter Orientierungsstörungen versteht man Beeinträchtigungen der zeitlichen, räumlichen, situativen und persönlichen Gegebenheiten. Die Betroffenen sind meist wach und zeigen keine Bewusstseinsstörungen. Orientierungsstörungen sind frühzeitig bei beginnenden Demenzen zu beobachten, z. B. können Betroffene Tag, Datum, Jahreszeit nicht benennen, wissen nicht, wo sie sich befinden oder können Bedeutungszusammenhänge von Situationen nicht erfassen. Im späteren Stadium der Demenz kommt es zu Orientierungsstörungen die eigene Person betreffend: Betroffenen sind lebensgeschichtliche Ereignisse nicht mehr präsent, in schweren Fällen wissen Betroffene ihren eigenen Namen nicht mehr.

Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen

Unter Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen versteht man die verminderte Fähigkeit, Erlebnisse in ihrer Bedeutung und in ihrem Umfang zu begreifen, sich an sie zu erinnern und sich auf einen bestimmten Sachverhalt zu konzentrieren. Unterschieden werden Auffassungsstörungen (der Betroffene kann den Sinn des Gesagten nicht erfassen), Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen (es bestehen Schwierigkeiten dabei, sich neue Eindrücke über einen kurzen Zeitraum zu merken; häufig bei beginnenden Demenzen) und Gedächtnisstörungen (Störungen des Altgedächtnisses), wobei das Abrufen von zurückliegenden Ereignissen gestört ist.

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen zählen zu den unspezifischen Störungen und kommen bei nahezu allen psychischen Erkrankungen, insbesondere bei ADHS, bei affektiven Erkrankungen, Schizophrenien und Belastungsstörungen, vor.

Mnestische Störungen

Unter mnestischen Störungen werden Störungen des Behaltens sowie des Abrufens von Erinnerungen, Wissen und/oder Fertigkeiten verstanden. Beispiele hierfür sind Amnesie, Konfabulationen, Paramnesien, Ekmnesie, Hypermnesie, Flashbacks, Intrusionen.

Bei den Amnesien (Gedächtnislücken) werden retrograde (Zeitraum vor dem Trauma betroffen) und anterograde (Zeitraum nach dem Ereignis bzw. Unfall betroffen) Amnesien unterschieden.

Unter Konfabulationen versteht man das Füllen von Erinnerungslücken mit fantasierten Inhalten und Geschichten, die selbst für Erinnerungen gehalten werden. Konfabulationen sind z. B. Symptome einer Demenz.

Ich-Störungen

Betroffene einer Ich-Störung erleben sich als Person verändert, fremd und unwirklich (Depersonalisation). Die Umwelt, Gegenstände und Mitmenschen werden unwirklich oder fremd erlebt (Derealisation). Bei Gedankenausbreitung kommt es zum Gefühl, andere könnten an den eigenen Gedanken teilhaben, würden wissen, was der Betroffene denkt. Unter Gedankenentzug wird das Gefühl, dass Gedanken weggenommen bzw. gestohlen wurden, z. B. durch eine fremde Macht, verstanden. Des Weiteren kann es zu dem Gefühl kommen, dass Gedanken von außen eingegeben, gelenkt oder gemacht werden würden (Gedankeneingabe).

Selbst- und Fremdgefährdung

Suizidalität, selbstschädigendes Verhalten, Selbstverletzungen und parasuizidale Handlungen geben, ebenso wie hochgradig fremdaggressives Verhalten, häufig Anlass für eine notfallmäßige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik – bei mangelnder oder fehlender Krankheitseinsicht bzw. Non-Compliance ggf. auch gegen den Willen des Betroffenen.

3. Unterscheidung Angstneurose und Phobien

Bei beiden Störungen sind Betroffene in nicht angemessenem Ausmaß beeinträchtigt, die Angst zeigt sich in psychischen und körperlich-vegetativen Symptomen. Bei der Angstneurose kann die Angst generalisiert, frei flottierend (ungerichtet), teilweise anfallartig (Panikattacken) sein, nicht jedoch objekt- oder situationsbezogen wie das bei den Phobien der Fall ist.

Angststörungen

Bei Angst handelt es sich um ein lebensnotweniges Symptom in gefährlichen Situationen: Angst löst vegetative Abläufe aus, die im Zusammenhang mit realen Gefahren eine potentiell lebensrettende Reaktion auf eine äußere Bedrohung darstellen (Angriff oder Flucht). Angststörungen hingegen sind charakterisiert durch pathologische Ängste (unter pathologischer Angst wird ein psychopathologisches Symptom ohne reale Entsprechung verstanden). Die Angst kann ungerichtet („frei flottierend“) oder „generalisiert“, gerichtet (vor etwas), anfallartig (Panikattacken) oder phobisch (Angst vor ungefährlichen Situationen oder Objekten) sein.

Laut ICD-10 sind Angststörungen definiert als phobische Störungen (F40) und andere Angststörungen (F41). Daneben finden sich verschiedene andere Störungsbilder, die von Angstsymptomen begleitet sind.

Systematik der Angststörungen im engeren Sinn: Agoraphobie (F40.0), soziale Phobie (F40.1), spezifische Phobien (F40.2), Panikstörung (F41.0), generalisierte Angststörung (F41.1), Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2). Ängste im Rahmen anderer psychischer Störungen sind: Zwangsstörungen (F42), Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43), somatoforme Störungen: herzphobische Ängste (F45.30), hypochondrische Ängste (F45.2) u.s.w.

Folgende psychische und körperliche Symptome können auftreten: Angst zu sterben, Angst vor Kontrollverlust, Angst verrückt zu werden …sowie Herzklopfen/-rasen, Schweißausbruch, Mundtrockenheit, Atembeschwerden, Übelkeit, Erbrechen, adominelle Missempfindungen, Beklemmungsgefühl, Hitzewallung, Kälteschauer, Kribbelgefühl, Zittern, Schwindel, Unruhe, Unfähigkeit, sich zu entspannen.

Bei Panikattacken treten Angstsymptome anfallartig auf und steigern sich bis hin zu Erstickungsanfällen und/oder zur Todesangst. Erstes Anzeichen ist oft ein Kribbeln in den Händen. Menschen in der Umgebung fühlen sich ohnmächtig, hilflos und beängstigt. Sie vermuten die Betroffenen in Lebensgefahr. Durch die Angst der Umgebenden verstärkt sich die Angst des Betroffenen.

Die Wahrscheinlichkeit für den einzelnen Menschen an einer Angststörung zu leiden ist sehr hoch: Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. Oftmals kommt es zur Chronifizierung sowie Folgeerkrankungen, wie z. B. eine depressive Störung. Bei Betroffenen von Angststörungen besteht häufig auch ein Alkohol- und/oder Benzodiazipinabusus. Symptome und Verhaltensweisen die auf eine Suchterkrankung Hinweise geben, sind beispielsweise eine zeitweise lallende Sprache, Benommenheit, Foetor aethylicus, morgendliche Mühe, aus dem Bett zu kommen. Eine Komorbidität verkompliziert eine Therapie.

Ursächlich wird eine Kombination aus biologischen und psychosozialen Faktoren angenommen. Neben den Neurotransmittersystemen spielen frühkindliche Erfahrungen und traumatische Lebensereignisse eine Rolle. Die Tiefenpsychologie erklärt Angst als Symptom einer unzureichenden neurotischen Konfliktlösung bei einer instabilen Ich-Struktur. Die Angst ist als Verschiebung und Projektion von ursprünglich intrapsychischen Konflikten nach außen anzusehen. Die verhaltenstherapeutische Erklärung beschreibt Angst als klassische Konditionierung mit Entstehung eines Reflexes und in Folge Entstehung eines Teufelskreises/Angstkreislaufes.

Phobien

Phobien zeichnen sich durch eine deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation aus, die damit einhergeht, dass Betroffene Vermeidungsverhalten zeigen. Beispiele sind Mäuse, Vögel, Schlangen, Spinnen, Donner, Flüge, enge und/oder geschlossene Räume, Dunkelheit, Blut, Injektionen, Zahnarztbesuche. Phobien sind emotional belastend und werden von den Betroffenen selbst als übertrieben und unvernünftig erlebt. Unter einer sozialen Phobie versteht man die Furcht vor dem Stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit oder die Furcht davor, sich peinlich zu verhalten. Unter dem Begriff Agoraphobie („Platzangst“) wird die Angst davor, das Haus zu verlassen, vor Menschenmengen, vor Kaufhäusern, vor öffentlichen Plätzen oder Verkehrsmitteln, vor dem Alleine-Reisen oder Reisen mit weiter Entfernung verstanden. Betroffene befürchten, in diesen Situationen in unerträgliche Panik zu geraten und die Kontrolle zu verlieren. Im Extremfall wird das Haus nicht mehr verlassen. Die Angst, unter Leute zu gehen, öffentlich aufzutreten und zu sprechen, wird Sozialphobie genannt. Die Angst vor Mäusen oder Insekten etc. wird als Zoophobie bezeichnet, die Angst vor Tunnels, Aufzügen, Bergwerken heißt Klaustrophobie, Aviophobie bezeichnet Flugangst und die Angst vor dem Anblick von Blut und Injektionen wird Trypanphobie genannt. Ein weiteres Beispiel ist die Höhenangst. Krankheitsphobien beziehen sich z. B. auf die Angst vor einer Krebserkrankung, Infektionskrankheiten, Aids oder einem Herzinfarkt.

Die Therapie von Angststörungen

Die Therapie von Angststörungen besteht in der Gabe von Psychopharmaka (Antidepressiva (SSRI, SNRI), Benzodiazepine in Ausnahmefällen, ggf. Antipsychotika) und in Kombination dazu Psychotherapie, und zwar Verhaltenstherapie zur Korrektur der Verhaltensmuster und Klärung angstverstärkender Mechanismen sowie zur systematischen Desensibilisierung durch im Schwierigkeitsgrad abgestufte Angstkonfrontation mittels Expositionstherapie. Unterstützend wirken beispielsweise autogenes Training und progressive Muskelentspannung.

Die Herausforderung in der Gestaltung der therapeutischen Beziehung liegt darin, beruhigend und ermutigend auf Betroffene einzuwirken, sich jedoch gleichzeitig der ausgeprägten Tendenz zur Anklammerung an die Betreuungsperson/die Person des Therapeuten als rettende Figur bewusst zu sein. Die Forderungen nach ständiger Verfügbarkeit können auf der Seite von Behandlern aversive Affekte hervorrufen, die u. U. reflexions-/ supervisionsbedürftig sind.

Psychoedukation

Sowohl Betroffene als auch Angehörige sind mit ausreichend Informationen zu versorgen, um auf der kognitiven Ebene zu einer realistischen Einschätzung der Gefährdung durch Angst und Panik(-attacken) zu kommen. Eine Aufklärung darüber, welche negativen Folgen ein Vermeidungsverhalten haben kann, ist erforderlich. Des Weiteren bedarf es an Informationen über Selbsthilfe- und Angehörigengruppen sowie der Motivation zur Inanspruchnahme der Angebote der Gruppen.

Fallbeispiel Angststörung

Eine 53jährige Betroffene hatte beim Einkauf in einem überfüllten Kaufhaus eine Panikattacke. Aus heiterem Himmel bekam sie keine Luft, hatte Beklemmungsgefühle, begann zu schwitzen, fühlte sich von der Menge erdrückt, erlebte Todesangst. Unter großer Mühe konnte sie das Kaufhaus verlassen, vermied in Folge den Besuch von großen Kaufhäusern, kaufte nur noch in kleinen Geschäften ein. Dennoch trat eine weitere Panikattacke auf, und zwar in einer Straßenbahn, und ein weiterer Mal, als sie zu Fuß über einen großen Platz ging. Die Betroffene vermied es nunmehr gänzlich, in die Innenstadt zu gehen, bewegte sich nur mehr in der Umgebung ihrer Wohnung. Schließlich traten auch Ängste auf, wenn sie die Wohnung verließ, um eine Freundin in der Nachbarschaft zu besuchen. Die Betroffene schränkte nun auch ihre Besuche ein.

Die Exploration ergab, dass kurze Zeit vor der ersten Panikattacke eine Freundin der Betroffenen an Krebs verstorben war. Dadurch waren bei der Betroffenen kindliche Ängste vor dem Verlassen-Werden reaktiviert worden, und zwar aus der Zeit ihres Volksschulalters, als ihre alkoholabhängige Mutter sie und ihre jüngere Schwester häufig allein ließ.

Zunächst erhielt die Betroffene im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung Angebote. Beruhigende, ermutigende Interventionen führten dazu, dass sie das Haus wieder verlassen konnte, unbegleitete Besuche der Innenstadt und das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln waren ihr weiterhin nicht möglich. Nach einer anschließenden Psychotherapie, durch Verstehen des biografischen Hintergrundes der Ängste und Aufarbeitung derselben, kam es zur nachhaltigen Symptombesserung. Während der Therapie wurde die Betroffene immer wieder aufgefordert, angstauslösende Orte gezielt aufzusuchen (vgl. Herzog/Kruse/Wöller, 2017, S. 138.).

Fallbeispiel Soziale Phobie mit Beginn in der Pubertät

Ein 25jähriger Angestellter litt, wenn er mit anderen Menschen in Kontakt kam, unter starken Ängsten, welche bereits in der Pubertät begonnen hatten. Aufgrund seiner Ängste hatte er sich bereits in der Schule zurückgezogen und sich isoliert. Am Arbeitsplatz hatte er Angst, sich durch Fehler zu blamieren. Die Angst davor, auf der Straße angesprochen zu werden, aus Selbstunsicherheit zu erröten oder zu stottern, veranlasste ihn, das Haus kaum zu verlassen. Die Stimmung war gedrückt, Suizidgedanken kamen immer wieder (vgl. ebd., S. 147).

4. Die Zwangsstörung

Unter einer Zwangsstörung werden Handlungsimpulse und Handlungen, die sich aufdrängen und nicht unterdrücken lassen, verstanden. Die sich zwanghaft aufdrängenden Gedanken oder Handlungen, die der Betroffene als unsinnig und quälend erlebt, sind eindeutig vom Betroffenen selbst ausgehend und nicht fremdbeeinflusst, wie bei der schizophrenen Psychose erlebt. Das Leben der Betroffenen ist deutlich beeinträchtigt, v. a. weil sich Betroffene ihrer Störung bewusst sind und diese eine hohen Leidensdruck verursacht. Zwangssymptome haben angstabwehrende Funktion, d. h. ängstigende sexuelle oder aggressive Triebimpulse werden unbewusst abgewehrt.

Mit bis zu 3 % Lebenszeitprävalenz handelt es sich um eine relativ häufige psychische Erkrankung, es bestehen hohe Komorbiditäten mit anderen psychischen Störungen. Betroffene von Zwangsstörungen wurden oft übertrieben streng, leistungsorientiert und rigide erzogen. Spontanität, Lebhaftigkeit und Aggressivität wurden unterdrückt. Einzelne Symptome sind bereits in der Kindheit beobachtbar, die Erstmanifestation findet in der Pubertät/im frühen Erwachsenenalter statt, der Verlauf ist zunächst schubhaft, dann chronisch. Als weitere mögliche Ursachen kommen neurobiolgosiche/genetische Faktoren in Frage, wie z. B. Störungen in Zentralnervensystem, v. a. in den Basalganglien, aber auch toxische Hirnschäden nach einer Streptokokkeninfektion in der Kindheit. Als psychogene Ursachen werden Störungen in der analen Phase in Betracht gezogen (Psychoanalyse).

Die Klinik der Zwangsstörungen zeigt sich durch sich aufdrängende Zwangsgedanken, -ideen, -grübeln, die inhaltlich sehr unterschiedlich sind, z. B. sich zu beschmutzen oder obszöne Gedanken tief religiös erzogener Menschen unter den Gedanken der Gotteslästerung oder „mein Vater könnte tot sein“. Beispiel für einen Zwangsimpuls: „wenn ich ein Messer sehe, habe ich Angst, ich könnte mein Kind erstechen“, Zwangshandlungen sind beispielsweise ein Wasch- oder Putzzwang, ein Zählzwang, Kontrollzwang (immer wieder kontrollieren müssen, ob die Türe geschlossen, der Herd ausgemacht ist) oder das Horten von Gegenständen.

Zwänge können mitunter dazu führen, dass der Alltag nicht mehr bewältigbar ist, da nur mehr die Zwangshandlungen ausgeführt werden. Die Stimmung ist, an der Schwere der Beeinträchtigung gemessen, oft erstaunlich gelassen. Wenn ein Zwang wegfällt (z. B. durch Therapie), besteht die Gefahr einer Depression sowie erhöhte Suizidalität. Der Verlauf ist chronisch und oftmals progredient.

Infektionsängste (Zwangsstörungen, F42)

Krankhafte und übersteigernde Ängste, sich durch den Kontakt mit kontaminierten Gegenständen (wie z. B. Geld, Türklinken, öffentlichen Toiletten) zu infizieren, führen häufig zu extremen Vermeidungsverhalten sowie zu Wasch- und/oder Putzzwängen. Als spezifische Infektionsangst gilbt die sog. „Aids-Phobie“: Betroffene lassen immer wieder HIV-Tests durchführen und negieren das negative Testergebnis. Die Entstehung von Infektionsängsten ist multifaktoriell. Ungünstige Lernerfahrungen können ebenso dazu beitragen wie intrapsychische Konflikte. Speziell bei der Aids-Phobie liegt ein gravierender persönlichkeitsstruktureller Konflikt zugrunde. Eine reale Exposition gegenüber Schmutz bzw. Ansteckungsgefahr spielt keine Rolle bei der Entstehung von Infektionsängsten.

Fallbeispiel Krankheitsängste

Eine 34jährige Betroffene leidet sein vielen Jahren unter der Angst vor unterschiedlichen Krankheiten, weshalb sie immer wieder Ärzte aufsucht und auf Untersuchungen drängt, die jedoch trotz ausgiebigen Untersuchungen keine pathologischen Befunde ergeben. Die biografische Anamnese ergibt zahlreiche nicht verarbeitete Verlusterfahrungen in der frühen Kindheit sowie im späteren Leben durch Todesfälle (vgl. ebd., S. 154).

Die Hypochondrische Störung

Unter einer hypochondrischen Störung versteht man die Überzeugung, an einer oder mehreren körperlichen Krankheiten zu leiden, entstellt oder missgebildet zu sein. Die Betroffenen unterziehen sich aus Angst und Sorge zahlreichen Untersuchungen und weigern sich hartnäckig, die medizinische Feststellung zu akzeptieren. Leichte Schmerzen werden als Krebserkrankung oder als Herzinfarkt interpretiert. Auch die hypochondrische Störung verursacht einen erheblichen Leidensdruck und eine Behinderung im sozialen Bereich. Bei wiederholte Schönheitsoperationen, z. B. Nasenkorrekturen oder Brustvergrößerungen, handelt es sich um eine Unterform der hypochondrischen Störung, der sog. Dysmorphophobie.

Das Münchhausen-Syndrom

Die Bezeichnung geht auf die literarische Gestalt des „Lügenbarons Münchhausen“ zurück. Ein Münchhausen-Syndrom tritt vorwiegend bei Betroffenen einer schweren Persönlichkeitsstörung, z. B. einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, auf. Ursächlich kommen dafür Verlusterlebnisse, Gewalt und/oder Inzest in der Kindheit in Frage. Charakteristika sind Störungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, zwanghaftes Lügen, Krankenhauswandern („Doktor-Shopping“, „Hospital-Hopping“), Medikamenten- und Alkoholmissbrauch sowie Delinquenz. Körperliche als auch psychische Symptome bzw. Erkrankungen werden vorgetäuscht, um medizinische Leistungen zu erzwingen. Auffallend ist die hohe Bereitschaft der Betroffenen, sich unangenehmen und schmerzvollen Untersuchungen zu unterziehen. Der Krankheitsgewinn der Betroffenen ist Aufmerksamkeit und Zuwendung.

http://matthias.ch/oekonomie/muenchhausen/ http://matthias.ch/oekonomie/muenchhausen/

Literatur

HERZOG, W.; KRUSE, J.; WÖLLER, W. (2017): Psychosomatik. Erkennen - Erklären - Behandeln, Stuttgart/New York:Thieme.

PAULITSCH, K.; KARWAUTZ, A. (2008): Grundlagen der Psychiatrie, Wien:Facultas.

THIEL, H.; JENSEN, M.; TRAXLER, S. (Hrsg.) (2004): Leitfaden psychiatrische Pflege, 2. Aufl., München/Jena:Urban & Fischer.

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