Vom Krieg gegen die „Minderwertigen“ - Der Wiener Steinhof in der Zeit des NS

Im Nationalsozialismus übernahm die Medizin eine neue Aufgabe: die „Ausmerzung" von „lebensunwertem Leben“. Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen, Angehörige sozialer Randgruppen und Unangepasste wurden in der Zeit der nationalsozialistischen Volks- und Leistungsgemeinschaft verfolgt, eingesperrt, der Vernichtung preisgegeben.

Zunächst einige Bemerkungen zum Begriff „lebensunwertes Leben": Nach der Ideologie der Nationalsozialisten wurde der Wert eines Menschenlebens, neben rassischen Gesichtspunkten, auch am ökonomischen Nutzen des einzelnen Individuums für die deutsche Volksgemeinschaft gemessen. Ausgangslage war, dass jegliche „Minderwertigkeit“ auf einer erblichen Disposition beruht, d. h. auf krankhaften Erbanlagen. Ziel des NS-Regimes war eine „qualitative Aufartung des deutschen Erbgutes", woraus resultierte, dass Träger „minderwertiger" Erbanlagen, also „lebensunwertes Leben", durch Maßnahmen der „Rassenhygiene" vernichtet oder zumindest an der Fortpflanzung gehindert werden mussten, was durch Zwangssterilisationen erfolgte.

Mit Machtübernahme bzw. nach Österreichs „Anschluss" an das Deutsche Reich im März 1938 war auch die Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“, das heutige Otto Wagner-Spital, von den folgenschweren Auswirkungen der „Rassenhygiene" der NS-Politik betroffen. Der Steinhof wurde in den Jahren nach dem „Anschluss" zum Wiener Zentrum der NS-Tötungsmedizin, die mind. 7.500 Steinhof-Patienten das Leben kosten sollte: Von 1940 bis 1945 existierte auf dem Anstaltsgelände unter der Bezeichnung „Am Spiegelgrund“ eine sog. „Kinderfachabteilung", in der ca. 800 kranke oder behinderte Kinder und Jugendliche umkamen. 1940 bis 1941 wurden ca. 3.200 Patienten im Rahmen der „Aktion T4" aus der Anstalt abtransportiert und im Schloss Hartheim bei Linz ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der „Aktion T4" im August 1941 wurde die „Euthanasie" anstaltsintern mit Hilfe gezielter Mangelernährung und systematischer Vernachlässigung fortgesetzt („wilde Euthanasie“). Über 3.500 Patienten fielen Hunger und Infektionen zum Opfer. Die sterblichen Überreste der Opfer der Anstalt „Am Spiegelgrund“ wurden bis in die 1980er Jahre für Forschungszwecke verwertet, erst im Jahr 2002 erfolgte auf dem Wiener Zentralfriedhof die Bestattung in einem Ehrengrab.

Der Steinhof als psychiatrische Anstalt wurde im Jahr 1907 gegründet und bestand im Jahr der Eröffnung aus 34 Krankenpavillons.

In der NS-Zeit fanden Ereignisse in folgenden drei größeren Bereichen statt:

1. In der Heil- und Pflegeanstalt mit psychiatrisch-neurologischen Patienten,

2. in der sog. „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen" und

3. in der sog. „Nervenklinik für Kinder am Spiegelgrund".

Die Heil- und Pflegeanstalt in den Jahren 1938 bis 1945

1938 verfügte die Heil- und Pflegeanstalt über 26 Krankenpavillons, in welchen ca. 4.200 Patienten untergebracht waren, wenngleich die planmäßige Bettenzahl lediglich 3.700 betrug - ein massiver Überbelag, der weiter anstieg: im Januar 1939 erreichte die Patientenanzahl mit fast 4.300 Patienten ihr Maximum seit Bestehen der Anstalt, was der damalige Direktor als „untragbare Überfüllung“ bemängelte.

Auch nach den großen Patientenabtransporten im Jahr 1940 war die Heil- und Pflegeanstalt überbelegt, da in freigewordenen Pavillons verschiedenen andere Institutionen errichtet wurden, z. B. die „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen".

In der Heil- und Pflegeanstalt wurde die „Rassenhygiene“ der NS-Politik wie folgt in die Praxis umgesetzt: ab dem Jahr 1940 durch Sterilisierungen von Anstaltspatienten, im Jahr 1940 in Form der sog. „Aktion T4" sowie „Erwachseneneuthanasie“ durch Massendeportationen von Patienten in Vernichtungsanstalten sowie, ab 1943, in Form der sog. „Aktion Brandt", einer großangelegten Verlegungsaktion psychiatrischer Anstaltspatienten, die den Tod zahlreicher Patienten zur Folge hatte.

Zangssterilisierungen

Das „Sterilisierungsgesetz" bzw. das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14.7.1933 bildete die rechtliche Grundlage für die Sterilisierung von Anstaltspatienten. Nach Beschluss des „Erbgesundheitsgerichtes" mussten allen Personen sterilisiert werden, die an einer der folgenden Erkrankungen litten:

"1. Angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. erbliche Fallsucht, 4. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, 5. erblicher Veitstanz, 6. erbliche Blindheit, 7. erbliche Taubheit, 8. schwere körperlicher Missbildung.“ (vgl. Gesetz zu Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933, Reichsgesetzblatt 1933, I, 86, S. 529-531. Zit. n. Johannes Hohlfeld (Hrsg.), Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Bd. IV, S. 84-85. Berlin, o. J.)

Des Weiteren konnten Menschen, die an schwerem Alkoholismus litten, unfruchtbar gemacht werden.

Da im „Altreich" bereits sechs Jahre zuvor in Kraft getretene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", wurde in der „Ostmark“ ab Jänner 1940 etabliert und alsbald auch „Am Steinhof“ umgesetzt: Hinweise auf „Anzeigen“ über „Erbkranke" im Sinne des Sterilisierungsgesetzes finden sich in den Direktionsakten: Demnach wurden am 23.4.1940 die ersten Anzeigen an den zuständigen Amtsarzt im Wiener Gesundheitsamt 14 erstattet (die Anzeigen selbst sind nicht mehr erhalten).

Zeitgleich zu den Anzeigen wurde, in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt, eine „erbbiologische Bestandsaufnahme" durchgeführt und eine umfangreiche Kartei über „erbkranke Sippen“ und Einzelpersonen in Wien angelegt. Eine vom Erbgesundheitsgericht beschlossene Sterilisierung musste binnen zwei Wochen durchgeführt werden. Betroffene Patienten durften entweder bis zur Operation oder bis zur endgültigen Ablehnung nicht entlassen oder beurlaubt werden. Zwangssterilisationen wurden in erster Linie „Am Steinhof“ vorgenommen, laut Zeugenaussagen gelegentlich aber auch im Wilhelminenspital. Laut Direktionsakten wurden die ersten Sterilisationen im Herbst 1940 durchgeführt. Die Sterilisationen von „Erbkranken“ am Wiener Steinhof waren nicht auf anstaltseigene Patienten beschränkt, sondern schloss auch von anderen Stellen eingewiesene Menschen ein. Der Vorgang ging wie folgt vonstatten: Wenn der rechtliche Beschluss eingegangen war, wurde der Chirurg instruiert, die Sterilisation vorzunehmen. Der operierte Patient wurde innerhalb von acht Tagen dem Chirurgen noch einmal vorgestellt und der obligate Bericht dem Amtsarzt sowie dem Erbgesundheitsgericht gesendet. Auf äußerste Geheimhaltung betreffend Akten wurde größter Wert gelegt, worin auch der Grund gelegen ist, dass nicht eruierbar ist, welche und wie viele Patienten „Am Steinhof“ sterilisiert worden sind und wie viele Patienten bei der Operation ums Leben gekommen sind.

„Aktion T4"

Grundlage für die „Erwachseneneuthanasie" stellte das sog. „Ermächtigungsschreiben" Adolf Hitlers dar, welches er auf den 1.9.1939, also auf Kriegsbeginn, zurückdatiert hatte: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu nennender Ärzte so zu erweitern, daß [sic!] unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann. gez. Adolf Hitler." (Klee, Ernst (1985): Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens, Frankfurt am Main, S. 100)

Die großangelegte Tötungsaktion geistig Kranker begann damit, dass vom Innenministerium an alle psychiatrischen Krankenhäuser Meldebögen („Meldebogen 1“) ausgesandt wurden. Diese Bögen mussten für alle Patienten ausgefüllt werden, die

"1. an nachstehenden Krankheiten leiden und in den Anstaltsbetrieben nicht oder nur mit mechanischen Arbeiten (Zupfen u. ä.) zu beschäftigen sind: Schizophrenie, Epilepsie, senile Erkrankungen, Therapie-refraktäre Paralyse und andere Lues-Erkrankungen, Schwachsinn jeder Ursache, Encephalitis, Huntington und andere neurologische Endzustände: oder

2. sich seit mindestens 5 Jahren dauernd in Anstalten befinden

3. als kriminelle Geisteskranke verwahrt sind

oder

4. nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht deutschen oder artverwandten Blutes sind.“ (Mitscherlich, Alexander ; Mielke, Fred (Hrsg.) (1960): Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, Frankfurt am Main, S. 190)

Neben der klinischen Diagnose spielten auch die Kriterien „Arbeitsfähigkeit" und „Heilbarkeit" eine große Rolle. Die ausgefüllten Meldebögen wurden nach Berlin geschickt, um von Gutachtern der T4-Organisation bearbeitet zu werden, welche anhand der Bögen über Leben und Tod von gemeldeten Patienten entschieden.

Für zu tötende Patienten wurden von Berlin aus Sammeltransporte in Vernichtungsanstalten im ganzen Reichsgebiet organisiert, die Tötungen erfolgten zumeist durch Vergasung. Zwecks Täuschung der Angehörigen und Tarnung der Aktion wurden die Patienten zuvor mehrmals in unterschiedliche, als Zwischenstationen dienende, Anstalten verlegt.

Die „Aktion T4" begann „Am Steinhof“ am 10. Juni 1940 mit folgender Mitteilung des Reichsstatthalters an den Direktor:

„Aus Gründen der Reichsverteidigung ist es erforderlich, in nächster Zeit in großem Umfang Verlegungen von Anstaltsinsassen der Heil- und Pflegeanstalten vorzunehmen. Mit der Durchführung dieser Verlegungen ist eine von Prof. Heyde geführte Kommission beauftragt. [Werner Heyde war bis Ende 1941 der Leiter der medizinischen Abt. der T4-Zentrale.] Die Kommission wird die für die Verlegung vorgesehenen Patienten auswählen und die Verlegung selbst veranlassen." (Schreiben des Reichsstatthalters in Wien vom 10.6.1940 an den Anstaltsdirektor Dr. Alfred Mauczka. Abschrift in DÖW E 20 047)

Am 12. Juni 1940, zwei Tage später, erschien die angekündigte Kommission „Am Steinhof“, es wurde vom Kommissionsleiter ausdrücklich erklärt, "daß [sic!] die Aktion im Interesse der Reichsverteidigung unbedingt durchgeführt werden müßte [sic!], und daß [sic!] jeder Widerstand dagegen kriegsgerichtliche Verfolgung nach sich ziehen würde.“ (Zeugenvernehmung am 11.3.1946 von Dr. Alfred Mauczka, DÖW E 20 047)

Wenngleich, eigenen Aussagen zufolge, der Direktor zu jenem Zeitpunkt nicht wusste, was mit den abtransportierten Patienten geschehen würde, protestierte er beim Leiter der Kommission gegen Patiententransporte größeren Ausmaßes, da er befürchtete, der Anstaltsbetrieb würde zusammenbrechen, wenn zu viele Patienten, die für Arbeiten innerhalb der Anstalt eingesetzt wurden, wegfielen. In nur vier Tagen wurden die "Meldebögen 1" für die Patienten des Wiener Steinhofes von der Kommission ausgefüllt, welche die Auswahl ausschließlich aufgrund der Krankengeschichten traf, ohne dass bei den betreffenden Patienten eine Untersuchung stattgefunden hätte. Die Weiterleitung der Meldebögen der selektierten Patienten nach Berlin erfolgte durch die Kommission.

Bereits drei Wochen später, im Juli 1940, erfolgten die ersten Deportationen der Steinhofpatienten. Gemäß Zeugenaussagen waren in der Anstalt weder Ziel noch Zweck dieser Abtransporte bekannt.

Aus den noch erhaltenen Krankengeschichten deportierter Patienten vom Wiener Steinhof geht hervor, dass die Anstalten Niedernhardt bei Linz und Ybbs an der Donau als Tarnungs- bzw. Zwischenstationen fungierten, welche schließlich zum Großteil in der Vernichtungsanstalt Hartheim bei Linz vergast worden sind. Während zunächst die Auswahl der Patienten, die der „Euthanasie" zum Opfer fielen, durch Mitarbeitern der Berliner T4-Zentrale erfolgte, wurden später halbjährliche Meldungen über Neuzugänge von den Anstaltsärzten selbst ausgefüllt und nach Berlin gesendet. Die genaue Anzahl von Deportationsopfern der Anstalt Steinhof ist nicht mehr rekonstruierbar, da die Krankengeschichten der betroffenen Patienten den Transporten mitgegeben wurden und der Großteil dieser Akten heute verschwunden ist. Stattdessen befinden sich heute im Krankengeschichtsarchiv nur mehr blaue Einlagezettel mit dem Namen des jeweiligen Patienten und einem vorgefertigten Stempel: „Aufgrund einer Anordnung des Koär. für Reichsverteidigung in eine nicht genannte Anstalt versetzt." Bei jüdischen Patienten findet sich darüber hinaus der handschriftliche Vermerk: „In das Generalgouvernement Polen".

Da die Direktionsakten jeweils die Patientenzahlen zum Ende des Jahres angeben, kann davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der „Aktion T4" etwa 3.200 Patienten vom Wiener Steinhof abtransportiert wurden, d. s. im Jahr 1940 ungefähr 2/3 aller Patienten. Aus den Direktionsakten geht hervor, dass im Juli 1940 ca. 1.600, im August ca. 700, und im September 1940 ca. 450 Patienten abtransportiert wurden, ab November 1940 finden sich keine Hinweise mehr auf Transporte größeren Ausmaßes.

Des Weitern finden sich Hinweise darauf, dass die Anstalt „Am Steinhof“ für andere Anstalten, wie z. B. das Altersheim Lainz, die Funktion einer Zwischenanstalt im Rahmen der „Aktion T4" übernahm.

Folgende Aufzählung gibt Aufschluss darüber, unter welchen Diagnosen die insgesamt ca. 3.200 deportierten Patienten gelitten haben (Statistische Jahrbücher 1939 und 1940, M 521 NF 6, S. 117: „Die in Anstalten untergebrachten Geisteskranken und Geistesschwachen nach ihrer Erkrankung";):

• Schizophrener Formenkreis 61,7 %

• Angeborene und früh erworbene Schwachsinnszustände 12,9 %

• Progressive Paralyse 8,2 %

• Epilepsie 7,9 %

• Manisch-depressiver Formenkreis 2,2 %

• Psychopathologische Persönlichkeiten 1,5 %

• Chorea Huntington 0,6 %

• Alkoholismus 0,2 %

(Bei den Zahlen handelt es sich um Annäherungswerte, die sich aus

den statistischen Jahrbüchern errechnen.)

Der relativ geringe Anteil an deportierten Alkoholikern erklärt sich aus dem energischen Einschreiten des Anstaltsdirektors, der sich gegen einen Abtransport von ca. 160 Patienten, wovon die meisten Alkoholiker waren, beim Transportleiter aussprach, da er die Befürchtung hegte, dass durch den Verlust dieser Pfleglingsarbeiter der Anstaltsbetriebs nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. Da die betroffenen Patienten arbeitsfähig und nicht unheilbar waren, wurde in Linz veranlasst, dass die betreffenden Waggons abgehängt und wieder nach Wien zurückgeleitet wurden.

Unter den Abtransportieren waren etwa 360 jüdische Patienten, welche ebenso mit dem „Meldebogen 1" gemeldet worden waren. (Die letzte Zahlenangabe über jüdische Patienten vor der „Aktion T4" findet sich im Mai 1940 mit 363 jüdischen Patienten in den Direktionsakten.) Wenngleich „Am Steinhof“ davon ausgegangen wurde, dass die jüdischen Patienten gesondert ins Generalgouvernement Polen deportiert worden sind, finden sich Hinweise darauf, dass diese, ebenso wie ihre Mitpatienten, im Rahmen der „Aktion T4" getötet wurden. Jedenfalls wurden der israelitischen Kultusgemeinde in Wien einige Urnen von Vernichtungsanstalten der „Aktion T4" zugesandt.

Aufgrund dessen, dass sich, nach Aussage des Anstaltsleiters, unter den Abtransportierten viele der "Kräftigsten und Tüchtigsten" befanden, und zusätzlich die Einberufung vieler Pfleger zum Wehrdienst erfolgte, stand der Anstaltsbetrieb am Wiener Steinhof am Rande des Zusammenbruchs.

Zeitnah nach den ersten Abtransporten wurden der Bevölkerung Sinn und Zweck dieser sog. „Transferierungen" bekannt, was den Gauamtsleiter der NSDAP dazu veranlasste, sich beim Direktor zu beschweren, dass die Transporte „unter der Bevölkerung das böseste Blut gemacht" hätten. Einige Angehörige nahmen den Tod ihres Pfleglings nicht kommentarlos zur Kenntnis und stellten sich der „Euthanaie-Aktion“ energisch entgegen: Die Reaktionen der Angehörigen auf die Todesnachricht reichen von naivem Erstaunen über Morddrohungen an den Direktor bis hin zur Vorsprache in der „Kanzlei des Führers" in Berlin. In den Direktionsakten finden sich Hinweise auf etliche Zuschriften an das Hauptgesundheitsamt, welche jedoch nicht mehr von Bestand sind, ein Briefwechsel der Direktion mit der Mutter einer Patientin ist allerdings erhalten geblieben (Krankengeschichte der E. D. am 12.9.1940. Krankengeschichtsarchiv Baumgartner Höhe.):

Die Mutter der Patientin schrieb am 12.9.1940 an die Direktion:

„Habe erfahren, daß [sic!] viele Kranke aus Ihrer Heilanstalt wegtransportiert wurden.

Ersuche deshalb höflichst, meine Tochter nicht ohne mein Wissen fortzuschicken.

Sollte sie auch weg müssen, so bitte ich Sie, mich noch rechtzeitig davon zu verständigen, damit ich sie heimholen kann. Ich werde sie aber im nächsten Monat auf jeden Fall heimholen.

Heil Hitler“

Zwei Wochen später erhielt sie Antwort von der Direktion:

„Auf Ihr Schreiben vom 12. d. Monats muß [sic!] Ihnen leider mitgeteilt werden, daß [sic!] der Anstaltsdirektion auf die im Zuge befindliche Versetzungsaktion kein Einfluß [sic!] zusteht.“

Fünf Tage später war ihre Tochter abtransportiert worden.

Einige Anstaltsärzte versuchten durch Querverlegungen von Patienten innerhalb der Anstalt den Abtransport zu verhindern oder soweit hinauszuzögern, dass die Angehörigen die Möglichkeit bekamen, ihre Pflegling in häusliche Pflege zu übernehmen, in einigen Fällen waren sie damit erfolgreich.

Die „Aktion Brandt"

Ab 1943 kam es im Rahmen der sog. „Aktion Brandt" zu Querverlegungen psychiatrischer Patienten zwischen verschiedenen Anstalten im ganzen Reichsgebiet, wobei zahlreiche Patienten zu Tode kamen. Karl Brandt, einer der beiden Organisatoren der „Aktion T4" späterer Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen war Namensgeber dieser Aktion. Zur Beschaffung von Krankenbetten wurden aus luftgefährdeten Gebieten psychiatrische Patienten in andere Anstalten verlegt und dort getötet. Aus Anstalten und Heimen des ganzen Reichsgebietes, beispielsweise aus den „Alsterdorfer Anstalten" in Hamburg, der Anstalt „Langenhorn" in Hamburg, dem „St. Josephshaus Hardt" bei Mönchen-Gladbach im Rheinland und der Anstalt „Niederweidenbacherhof" im Kreis Bad Kreuznach, wurden Patienten auf den Wiener Steinhof verlegt, wo die Sterblichkeit anstieg und im Jahr 1944 22,1 % und im Jahr ca. 42 % erreichte.

Die „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen"

Die „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen“ war nach der „Aktion T4" eingerichtet und am 1.11.1941 im Pavillon 23 eröffnet worden, nachdem bereits im Juni 1940 im 26. Wiener Bezirk eine Arbeitsanstalt für Frauen namens „Klosterneuburg" gegründet worden war. Die Institution „Am Steinhof“ verfügte über 120 Betten und war für Frauen gedacht, die „als nicht ohne weiteres besserungsfähig erkannt worden sind", die „bisher gewerbemäßig Unzucht betrieben haben und deren Entfernung aus der Öffentlichkeit auf Grund ihres Vorlebens erwünscht ist." (Regelung des Einweisungsvorganges in die Arbeitsanstalten Klosterneuburg und „Am Steinhof". Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Hauptabt. E am 3.2.1942. Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 255, A3/3)

Das Hauptkontingent der Anstalt „Am Steinhof“ stellte tatsächlich Prostituierte und Frauen, die im Verdacht geheimer Prostitution standen oder einen „unsittlichen Lebenswandel" (Urteilsbegründung am 23.12.1948, DÖW E 19 107) führten dar, von welchen viele wegen Gonorrhoe oder Lues in Behandlung waren. Weitere Gründe für eine Einweisung waren „Arbeitsverweigerung", die Vernachlässigung der Kindererziehung, „Querulantentum" oder Verkehr mit Juden und Ausländern. (Urteilsbegründung am 23.12.1948, DÖW E 19 107. Und: Urteilsbegründung am 25.10.1948, DÖW E 20 047) Beispielsweise findet sich folgende Begründung in den Einweisungsakten einer Betroffenen: „Da die Genannte Mischling I. Grades ist, keinem Verdienst nachgeht, die Zeit mit Schlafen und im Kaffeehaus verbringt, und sich den Anforderungen der Jetzt-Zeit in jeder Hinsicht zu entziehen versucht, erscheint es notwendig, diese Person entsprechend 'einziehen' zu lassen." (Einweisungsprotokolle in die Arbeitsanstalt, E. M. Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 255, A3/3)

Unter ärztlicher Leitung sollten die angehaltenen Eingewiesenen zu einem „gemeinschaftsfähigem" Leben erzogen werden. Bei Ankunft wurden die Frauen einem Intelligenztest unterzogen, genaue Durchführungsvorschriften fehlten allerdings, weshalb nach dem in der Heil- und Pflegeanstalt üblichen Schema vorgegangen wurde. Wurde Schwachsinn oder eine Erbkrankheit im Sinne des

Sterilisierungsgesetzes diagnostiziert, so erfolgte die Beantragung der Unfruchtbarmachung. Ein Nachweis, wie viele Frauen mit welcher Diagnose tatsächlich sterilisiert worden sind, ist anhand der Akten nicht nachweisbar.

Die Frauen wurden im Rahmen der „Arbeitstherapie" in der Küche, als Heizerin oder bei schwereren Arbeiten wie Kohletransporten, Forstarbeiten oder der Straßenpflasterung eingesetzt. Bei Übertretung der rigiden Disziplinarregeln wurden ärztlicherseits unterschiedliche Strafen angeordnet: „milde“ Strafaktionen waren z. B. der „Strafhaarschnitt", bei dem der ganze Kopf bis auf eine Büschel kahl geschoren wurde, oder Nahrungsentzug.

Zur „Korrektion" dienten folgende zwei folgenden Maßnahmen, welche in der Heil- und Pflegeanstalt schon seit Jahren zur Ruhigstellung agitierter psychiatrischer Patienten eingesetzt und für die Arbeitsanstalt zu „Korrektionszwecken" übernommen worden waren: die „Korrektionszelle" und die „Speiberte", eine Apomorphin-Injektion. In die 10 „Korrektionszellen", kleine, ca. 2 bis 4 m² große Betonzellen mit einer Betonpritsche, welche ursprünglich für die Unterbringung von kriminellen Geisteskranken bestimmt waren, wurden die Frauen einige Tage bis zwei Wochen eingesperrt, barfüßig, nur mit einem Hemd bekleidet, dem sog. Korrektionshemd". Diese Zellen waren in ständiger Benutzung, d. h. es handelte sich um keine seltene Strafe. Zur Strafverschärfung kamen unter Umständen noch Nahrungsentzug oder die komplette Verdunkelung der Zelle hinzu. Die Injektion mit dem zentralen Dopamin2-Agonist Apomorphin, welche starke Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursacht, wurde als „Speiberte" bezeichnet. Aufgrund dessen, dass sich hernach ein ausgeprägter Erschöpfungszustand mit allgemeiner Mattigkeit und Abgeschlagenheit einstellt, wurde es auch in vielen psychiatrischen Anstalten zur Sedierung agitierter Patienten eingesetzt. Heute wird es wegen seiner emetischen Wirkung noch zur Sofortmaßnahme bei oralen Vergiftungen eingesetzt. Gefürchtete Nebenwirkungen sind Atemdepression, Blutdruckabfall, Schock und Kreislaufversagen. Frauen, die durch eine Apomorphin-Injektion bestraft wurden, wurden danach mehrere Tage in die Korrektionszelle gesperrt.

Dem jeweiligen ärztlichen Leiter stand als schwerste Bestrafung die Einweisung internierter Frauen in ein Konzentrationslager frei, wovon jedoch keiner der beiden Leiter je Gebrauch gemacht hat. Zu Todesfällen kam es über die Dauer des Bestehens der Arbeitsanstalt nicht.

Vgl. Mende, Susanne: Die Wiener Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof" in der Zeit des NS-Regimes in Österreich, Dissertation am Institut für Geschichte der Medizin Freiburg.

Weitere Quellen: Direktionsregistratur der Landesheil- und -pflegeanstalt der Stadt Wien "Am Steinhof" bzw. der "Wagner-von-Jauregg Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" 1938 bis 1945; Krankengeschichtsarchiv Baumgartner Höhe; Bundesarchiv Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, EVZ XXIX/1-30; Statistische Jahrbücher der Stadt Wien 1938 bis 1945, M 521 NF 5-7. Stadt- und Landesarchiv der Stadt Wien; Prozessakten des Volksgerichtes Wien im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes; Einweisungsprotokolle in die Arbeitsanstalt. Stadt- und Landesarchiv der Stadt Wien, M.Abt. 255, A3/3.

„Nervenklinik für Kinder am Spiegelgrund"

Seit dem Frühjahr 1939 waren bereits die Vorbereitungen für die systematische Erfassung und Vernichtung behinderter Kinder gelaufen. Zu diesem Zweck war in Berlin, in der „Kanzlei des Führers", eine eigene Tarnorganisation eingerichtet worden: der Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden. Im August 1939 hatte ein geheimer Runderlass Ärzte und Hebammen zur Meldung aller Fälle von „Idiotie" und verschiedenen Missbildungen an die Gesundheitsämter verpflichtet, welche die Einweisung der Betroffenen in sog. „Kinderfachabteilungen", die entweder in bestehenden Einrichtungen oder als eigenständige Anstalten errichtet worden waren, veranlasst hatten. Im Deutschen Reich existierten mindestens 30 dieser getarnten Tötungszentren.

Auf dem Gelände der Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ " wurde im Juli 1940 die Wiener „Kinderfachabteilung“ errichtet, welche zunächst Teil der Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ war und 1942 als Wiener städtische Nervenklinik für Kinder „Am Spiegelgrund“ eine selbstständige Anstalt wurde. Sie unterstand dem Stadtrat für das Wiener Gesundheitswesen Prof. Max Gundel. Die dort beschäftigten Ärzte (Anstaltsdirektor Dr. Erwin Jekelius, sein Nachfolger Dr. Ernst Illing, Dr. Heinrich Gross, Dr. Marianne Türk, Dr. Margarethe Hübsch) untersuchten die Kinder mit zum Teil qualvollen Methoden und meldeten diese nach Berlin.

In Berlin entschieden drei Gutachter des „Reichsausschusses" über das Schicksal der Kinder. Nach Einlangen der Tötungsermächtigung in Wien, wurden die Kinder mit hochdosierten Schlafmitteln langsam vergiftet, bis sie an einer Lungenentzündung oder einer anderen Infektionskrankheit starben.

Zum Teil wurden die Kinder auch für tödliche Experimente missbraucht, z. B. testete Dr. Elmar Türk von der Universitäts-Kinderklinik einen Impfstoff gegen Tuberkulose an ihnen. Zwischen 25. August 1940 und 3. Juni 1945 starben mindestens 789 Kinder und Jugendliche am Spiegelgrund (vgl.http://www.gedenkstaettesteinhof.at/).

bereits 1938 befanden sich viele Kinder unter den Patienten http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/01-vom-narrenturm-zum-steinhof

Krankensaal Am Steinhof 1938 http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/01-vom-narrenturm-zum-steinhof

Der in Zusammenarbeit mit der T4-Zentrale produzierte und 1941 uraufgeführte Film „Ich klage an“ sollte den „Gnadentod“ schwerkranker Menschen als wünschenswert erscheinen lassen. http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/03-die-reinigung-des-volksk%C3%B6rpers

Die Reichspostbusse der „Gekrat“ (Gemeinnützige Krankentransport GmbH), einer Tarnorganisation der „Kanzlei des Führers“, dienten zum Transport in die Vergasungsanstalten, u. a. nach Hartheim. http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/08-aktion-t4

Spiegelgrundkind Ausstellung OWS

Diagnose „unbrauchbar“: Annemarie Danner starb 1942 im Alter von 4 J. am Spiegelgrund. (Foto aus der Krankengeschichte) Ausstellung OWS

Gehirn Ausstellung OWS

Gutachten Dr. Jekelius Ausstellung OWS

Präparatraum Keller Pathologie OWS

Der Wiener Gauleiter-Stellvertreter Scharizer schlug 1943 dem Gesunheitsstadtrat Max Gundel vor, die Deportationen von Geisteskranken (nach Hartheim) wieder aufzunehmen. Man entschied sich jedoch schl http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/

Urnen Spiegelgrundkinder OWS

Ehrengrab Wiener Zentralfriedhof "Spiegelgrundkinder" http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/

Spiegelgrundkinder Mahnmale/Erinnerung vor dem Theater im OWS

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