Im NS-Staat wurden Kinder und Jugendliche systematisch im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie erzogen, gedrillt, mit Sport „ertüchtigt", in der Hitler-Jugend und im Bund Deutscher Mädel zusammengefasst; die jüngeren waren „Jungmädel" und „Pimpfe". Es genügte nicht, deutsch und arisch zu sein. Sie wurden ständig beobachtet und auf ihren „Nutzen für die Volksgemeinschaft" geprüft. Die arische Jugend hatte erbgesund und leistungsfähig, gehorsam und angepasst zu sein.
Rassenhygiene, Erbgesundheitspflege, eugenische Ausmerze; der erbuntüchtige, minderwertige Mensch, ebenso der unangepasste und gemeinschaftsfremde – das waren Schlagwörter und NS-Begriffe, die das Schicksal auch der Jungen und Jüngsten mitbestimmten.
Kindereuthanasie
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Unabhängig von der Euthanasieaktion „T4", der Tötung von körperlich und geistig Behinderten durch Gas in 6 großen Tötungsanstalten (darunter Hartheim bei Linz), wurden im Rahmen der sogenannten Kindereuthanasie mindestens 37 „Kinderfachabteilungen" eingerichtet. Sie unterstanden einem zuständigen „Reichsausschuß"; an diesen wurde von den Anstaltsärzten Meldung über von ihnen als „lebensunwert" eingeschätzte Kinder („Reichsausschußkinder" ) gemacht.
Aus Berlin kam dann die Rückmeldung als Ermächtigung bzw. Weisung zur Tötung. Die „Todesbeschleunigungen" erfolgten meist mit Medikamenten und durch Nahrungsentzug. In der „Ostmark" gab es drei solche Kinderfachabteilungen: in Wien „Am Spiegelgrund", in Graz-Feldhof und in Klagenfurt.
NS-Erziehungsheime
Kinder und Jugendliche mussten auch in ihrem Verhalten, ihrer Handlungsweise den Ansprüchen der NS-Ideologie entsprechen. Die geringsten Abweichungen wurden registriert. Wenn sie sich auflehnten, den Gehorsam verweigerten, wenn ein nicht entsprechender Lebenswandel vorlag, wurden sie als schwererziehbar, „asozial" respektive „gemeinschaftsfremd" eingestuft und in NS-Erziehungsheime eingewiesen, ebenso Kinder von „Volksschädlingen", von Regimegegnern, aus „desolaten" Familien usw. Ein ganzes Netz von Kinder- und Jugendheimen, von Fürsorge- und Erziehungsanstalten überzog das Deutsche Reich. Schon bestehende Heime wurden übernommen, NS-Erziehung, Drill und harte Strafen eingeführt.
Es kam auch zur Gründung neuer Anstalten wie z.B. das Erziehungsheim am Wiener „Spiegelgrund". Weitere, recht unterschiedliche Heime in Wien waren beispielsweise die Juchgasse in Wien 3 oder die Hohe Warte; das Zentralkinderheim und die Kinderübernahmestelle (KÜST) in der Lustkandlgasse scheinen in den meisten Akten für den Raum Wien und darüber hinaus auf. Besonders die KÜST war „Schalt- und Verteilerstelle".
„Spiegelgrund", Anstalt „Am Steinhof" in Wien
Die Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke „Am Steinhof" in Wien galt zur Zeit ihrer Eröffnung im Jahre 1907 als die modernste und eleganteste Anstalt der Welt. Sie befindet sich am Südabhang des Gallitzinberges direkt am Wienerwald im 14. Wiener Gemeindebezirk.
Die von Otto Wagner errichtete Anstaltskirche, die von hoch oben die großzügige, terrassenförmig angelegte Anlage dominiert, gilt als Musterbeispiel der Jugendstilarchitektur und ist international bekannt. Auch das Grundkonzept und die Situierung der Pavillons stammt von Otto Wagner, ausgehend von einer Symmetrie- bzw. Mittelachse, gebildet aus den „Funktionsobjekten" Direktion-Theater-Küche-Anstaltskirche, sind rechts davon die mit geraden Zahlen numerierten Pavillons und links jene mit ungeraden Zahlen angeordnet. Am westlichen Rand befindet sich die seit 1922 unabhängige Lungenheilstätte, heute Pulmologisches Zentrum.
In der NS-Zeit wurde die gesamte Anlage „Am Steinhof" zu einem Ort der Angst, des Leidens und des Todes, aufgeteilt in vier unterschiedliche Bereiche, die zum Teil in sich geschlossen, z.T. miteinander verflochten waren.
Die gesamte Anlage stellt sich heute fast unverändert dar, als „steinernes, monumentales 'Denkmal', in dem die Vergangenheit doch auch handfeste, 'angreifbare', sichtbare Spuren hinterlassen hat" (vgl. Malina, Verdeckte Spuren). Die Anstalt, umbenannt in „Psychiatrisches Krankenhaus der Stadt Wien, Baumgartner Höhe", lebt im Wiener Volksmund als „Steinhof" weiter; der „Spiegelgrund" besteht nur noch als Straßenname.
Die Verhältnisse „Am Steinhof"
„Auf dem Gelände Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof" [...] befanden sich in der NS-Zeit neben der Psychiatrischen Anstalt (deren Patient/inn/en zum Großteil Opfer der Euthanasieaktion „T4" wurden) drei weitere Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche angehalten bzw. inhaftiert waren und wo Übergriffe gegen die physische und psychische Integrität sowie Tötungshandlungen in großer Zahl erfolgten, und zwar:
a) eine Kinderfachabteilung
b) ein Jugenderziehungsheim
c) eine Arbeitsanstalt für „asoziale" Mädchen und Frauen
Zu a) Kinderfachabteilung:
Eine solche Kinderfachabteilung wurde am 24. 7. 1940 in Wien-Steinhof eröffnet und blieb bis zum Zusammenbruch des Naziregimes im April 1945 in Betrieb. Diese Einrichtung hieß zuerst Wiener Städtische Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund", 1942 hieß sie Heilpädagogische Klinik „Am Spiegelgrund", danach Wiener Städtische Nervenklinik für Kinder.
Sie war in den Pavillons 15 und 17 untergebracht [...]. Wie aus der medizinhistorischen Dissertation von Matthias Dahl „Endstation Spiegelgrund. Die Tötung behinderter Kinder während des Nationalsozialismus am Beispiel einer Kinderfachabteilung in Wien 1940-1945" hervorgeht, sind mindestens 772 Kinder getötet worden; die Krankengeschichten von 743 überlebenden Kindern liegen noch auf.
An diesen Kindern erfolgten auch medizinische Versuche, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Universitätskinderklinik tödlich verlaufende TBC-Impfversuche, weiters schmerzhafte, in Einzelfällen auch tödlich verlaufende Encephalographien. Die Gehirnpräparate wurden von den beteiligten Ärzten zu Forschungszwecken verwendet.
Der „Spiegelgrund" (eine topographische Bezeichnung) befand sich auf dem Gelände des „Steinhofs" links von der Mittelachse; in den 9 Pavillons der ungeraden Zahlen 1 bis 17 waren beide Einrichtungen untergebracht.
Alois Kaufmann hat als erster seine Erlebnisse als „Kind im NS-Erziehungsheim" beschrieben. Pavillon 1 war die Verwaltung des Erziehungsheimes (Leiter Dr. Krenek), Pavillon 3 das Krankenhaus („Krankenstube" ) und zum Teil auch Wohnpavillon, Nr. 5 der einzige Mädchenpavillon, 7 und 9 „normale" Pavillons, Nr. 11 war der „Strafpavillon" und Nr. 13 die Schule.
Von den beiden Pavillons 15 und 17 der „Kinderklinik" bzw. „Kinderfachabteilung" gilt 15 als der „Todespavillon". Die Euthanasieärzte und weiteres medizinisches Personal waren auch im Erziehungsheim tätig. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine derartige Verbindung zwischen einer „Kinderfachabteilung" im Rahmen der Kindereuthanasie und einem Erziehungsheim, eine solche „Verzahnung" der inneren Abläufe in der „Ostmark" ausschließlich am Wiener „Spiegelgrund" bestanden hat.
Dr. Heinrich Gross, einer der Euthanasieärzte in der Kinderklinik am Wiener „Spiegelgrund", machte nach 1945 wissenschaftliche Karriere; die Gehirne der ermordeten Kinder waren für ihn Forschungsmaterial. Anfang der 50er-Jahre war ein Gerichtsurteil gegen ihn aufgehoben und das Verfahren eingestellt worden. Jahrzehntelang war er bei den Gerichten als vielbeschäftigter Gerichtsgutachter ein- und ausgegangen. Er starb 2005 im Alter von 91 Jahren. Strafrechtlich wurde er für seine Beteiligung an der Kinder-Euthanasie nie belangt.