Teil 1
"... trotzdem Ja zum Leben sagen!" Viktor Frankl
Das von Viktor Frankl im Jahr 1946 veröffentlichte Buch "... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager" hat bis heute nichts an Aktualität verloren.
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Biografie
Viktor Frankl, geboren 1905, verstorben 1997 in Wien, war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und Begründer der 3. Wiener Schule für Psychotherapie. 25 Jahre hindurch war Prof. Frankl Vorstand der Wiener neurologischen Poliklinik. Während des Medizinstudiums und danach setzte Frankl Schwerpunkte in der Erforschung und Behandlung von Depressionen und Suizidgefährdung. In den späten 1920er Jahren etablierte Frankl zusammen mit Charlotte Bühler, Erwin Wexberg u.a. kostenlose Beratungsstellen und half Jugendlichen in seelischen Nöten, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühlen und Hoffnungslosigkeit suizidal oder depressiv waren, wieder Sinn im Leben zu finden. Von 1933 bis 37 leitete Frankl als Oberarzt den sog. „Selbstmörderinnenpavillon“ im psychiatrischen Krankenhaus in Wien und betreute bis zu 3.000 selbstmordgefährdete Frauen pro Jahr. Nach dem „Anschluss“ im Jahr 1938 wurde ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft untersagt, arische Patienten zu behandeln. 1940 übernahm Frankl die Leitung der neurologischen Abteilung im Rothschild-Spital, dem einzigen Spital in Wien, das noch jüdische Patienten aufnehmen durfte. Einige seiner Gutachten aus dieser Zeit, bei denen er Begriffe wie „Psychosen“ oder „Schizophrenie“ geflissentlich umging, haben Menschen davor bewahrt, dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm zum Opfer zu fallen.
1941 erhielt Frankl die Aufforderung zur Ausstellung des beantragten Visums im US Konsulat zu erscheinen, ließ jedoch schließlich sein amerikanisches, auf die Dauer von drei Wochen limitiertes, Ausreisevisum verfallen, um zum Schutze seiner Eltern in Wien zu bleiben.
Diese Entscheidung ist in vielerlei Hinsicht bezeichnend für seine Lebenshaltung, z. B. seine Verbundenheit mit den Eltern und sein Einsatz für andere Menschen. Die Lage der Juden im 3. Reich war zu jenem Zeitpunkt äußerst bedrohlich und eine weitere Verschärfung abzusehen. Als Primararzt genoss Frankl, zusammen mit seinen Angehörigen, einen sog. "Deportationsschutz". Ein Ausreisevisum in dieser Lage zu erhalten, stellte für Frankl ein großes Dilemma dar. Die Inanspruchnahme hätte bedeutet, dass seine Eltern und Geschwister den Deportationsschutz verloren hätten und die Deportation ins KZ wahrscheinlich gewesen wäre, im Land zu bleiben hieß hingegen, sich selbst großer Gefahr auszusetzen. Weder der eine noch das andere Weg schien ihm verantwortlich.
Die Entscheidung, das Land nicht zu verlassen, traf Frankl kurz vor Ende der Frist für das Visum nach folgendem Ereignis: Als er auf dem Heimweg von der Arbeit am Stephansdom vorbeikam, hörte er aus dem Inneren Orgelmusik. Auf Klarheit hoffend ging er, trotz des Betretungsverbotes für Juden, in die christliche Kirche und verbrachte eine vergebliche Stunde dort, ehe er verzweifelt in seine Wohnung ging, wo er auf dem Radio ein Stück Marmorstein vorfand. Sein Vater erklärte, dass er auf seinem täglichen Spaziergang an der zerstörten Synagoge vorbeigegangen wäre und ein Stück Marmor zur Erinnerung mitgenommen hätte. Das Mamorstück stammte aus den zehn Gebotstafeln, aus dem vierten Gebot. Der Vater begann auf hebräisch das 4. Gebot aufzusagen: "Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass es dir wohl ergehe auf Erden!" Frankl bezeichnete diesen Moment später als einen "Wink des Himmels". Er hatte in diesem Augenblick gewusst, was er zu tun habe.
Kurz vor der Deportation seiner Familie hatte Frankl Tilly Grosser geheiratet, die, wie auch seine Eltern, im KZ verstarb. Das 1942 erstellte Manuskript „Ärztliche Seelsorge“, welches Frankl in seine Manteltasche eingenäht hatte bevor er selbst nach Auschwitz deportiert worden war, hatte Frankl nicht retten können, er rekonstruierte es jedoch im Lager im Jahr 1945 stenografisch auf winzigen Meldeblättern, was er später als lebensrettend bezeichnete. Drei Jahre verbrachte Viktor Frankl in vier verschiedenen Lagern, und zwar in Auschwitz, in Theresienstadt, in Kaufering III und in Türkheim.
Frankl erlebte die Hölle auf Erden, aber er gab nie auf. Er versuchte nicht nur sich selbst Mut zu machen, sondern er half auch vielen Lagerinsassen. Sein Credo lautete, dass selbst das Bewusstsein der Aussichtslosigkeit eines Kampfes dem Sinn, dem Wert und der Würde eines Menschen nichts anhaben könne. Frankl war und ist nicht zuletzt aufgrund seiner Internierung in den Konzentrationslagern, bei der sich seine Lehre bewährt hat, sondern aufgrund seines ganzen Lebens wegen glaubwürdig. In den KZs bestätigte sich der „survival value“ des „Willens zum Sinn“, der im Zentrum der von Frankl begründeten Logotherapie steht.
„Es gibt nichts auf der Welt, das einen Menschen so sehr befähigte, äußere Schwierigkeiten oder innere Beschwerden zu überwinden als das Bewußtsein, eine Aufgabe im Leben zu haben.“ (Theresienstadt 1942-1944)
1945 kehrte Frankl in seine Heimatstadt Wien zurück, wo er seine Eindrücke und Erfahrungen in den Konzentrationslagern in seinem Buch „... trotzdem ja zum Leben sagen“ verarbeitete. Das Schreiben half ihm über seine schwere Traumatisierung hinweg, er verwandelte sein Leiden in eine Leistung.
Bereits kurz nach Ende des Krieges vertrat der Holocaust-Überlebende Viktor Frankl die Ansicht, dass vor allem Versöhnung einen sinnvollen Ausweg aus den Katatstrophen des Weltkrieges und des Holocaust weisen könne. Seine berühmte Rede vom Wiener Rathausplatz "Wider die Kollektivschuld" ("Es gibt keine kollektive Schuld" ) aus dem Jahr 1988 hat ihre Aktualität bis heute nicht verloren.
Das KZ "von innen gesehen"
Es gibt viele Tatsachenberichte über die großen Greueln, über das, was sich in den KZs abgespielt hat, meist beschränken sich diese Berichte jedoch auf nüchterne Zahlen und Fakten, das Erleben dessen, was sich an vielen kleinen Qualen abgespielt hat, wie sich der Alltag in der Seele der Häftlinge im Konzentrationslager gestaltet hat, wird hingegen wenig beleuchtet. Oftmals wird über die Vorgänge in den großen Lagern berichtet, während über jene in den Dépandancen der größeren, die berüchtigen Filiallager, von welchen bekannt ist, dass sie ausgesprochene Vernichtungslager waren, kaum etwas zu lesen ist.
Was aber hat der unbekannte Lagerinsasse, der keine Armbinde trug, und auf den die Capos oder andere prominente Häftlinge herabgesehen haben, für Qualen erlitten? Den Capos ist es, zumindest ernährungstechnisch, nicht ganz so schlecht ergangen, sie haben dem gewöhnlichen Häftling dabei zugesehen, wie er hungerte, bis er verhungert war. Die Capos, die charakterologisch und psychologisch wie die SS bzw. die Lagerwache zu beurteilen sind, waren oftmals die "schärferen" Peiniger als die Lagerwache selbst, mit der sie kollaborierten.
Das Leben im Konzentrationslager wird zuweilen verharmlost dargestellt, das Bild verklärt gezeichnet, denn vom harten gegenseitigen Kampf ums Dasein, vom schonungslosen Krieg, der unter den Häftlingen tobte, ahnt der Uneingeweihte nichts. In dem Augenblick beispielsweise, in dem ein Transport von arbeitunsunfähigen Kranken und/oder Schwachen bevorstand, von dem zu vermuten war, dass es "ins Gas gehen" werde, entbrannte ein Kampf - alle gegen alle. Jeder Häftling versuchte die ihm Nahestehenden, z. B. durch Herausreklamation aus der Transportliste, vor der sog. Selektion, der Vernichtung in den Gaskammern und im Krematorium, zu schützen. Dass für jeden Geretteten eine "andere Häftlingsnummer", die in Form einer Tätowierung feststand, einspringen musste, war allen vollkommen bewusst. Für moralisch-abstrakte Überlegungen war allerdings kein Raum. Jeder dachte daran, sich selbst am Leben zu erhalten und diejenigen, mit denen er im Lager verbunden war, zu retten, und ließ daher bedenkenlos einen anderen, eine andere "Nummer", für den Transport einreihen.
Die Capos stellten eine Art negative, aktiv von der SS getroffene, Auslese dar: nur die brutalsten Individuen taugten für diesen Posten. Neben der aktiv von der SS getroffenen Auswahl gab es jedoch auch eine passive; nur jene jahrelangen Lagerinsassen, welche im Kampf um die Lebenserhaltung skrupellos waren, vor Gewalttägigkeit und Diebstahl nicht zurückschreckten, konnten sich am Leben erhalten, weshalb sich sagen lässt: die Besten sind nicht zurückgekommen.
Der erste Selektion wurde bereits beim Eintreffen getroffen, und zwar nachdem die Anweisung ergangen war, alles Gepäck im Waggon zu belassen, auszusteigen, sich in eine Männer- und Frauenkolonne zu formieren und schließlich als Jammergestalt vor einem großen, feschen, schlanken SS-Offizier in tadelloser blitzblanker Uniform voll Distanz zu den übernächtigen und verwahrlosten Gestalten zu defilieren, welcher nonchalant mit dem Zeigefinger ganz sparsame Bewegungen vollführte und anwies, nach rechts oder nach links zu gehen. Keinem der Häftlinge war bewusst, was diese so winzige winkende Bewegung des menschlichen Zeigefingers bedeutete - die Entscheidung über Sein oder Nichtsein; das Todesurteil für rund 90 %, welches in den nächsten Stunden vollstreckt wurde. Von der Bahnhofsrampe weg direkt ins Krematoriumsgebäude, wo schon bald eine viele Meter hohe Stichflamme sich unheimlich in den weiten, grauen Himmel emporzüngelte, um sich in einer düsteren Rauchwolke aufzulösen.
Die Ausweglosigkeit der Situation, die täglich, stündlich, minütlich lauernde Todesgefahr, die permanente Nähe des Todes anderer, machte es selbstverständlich, dass sich Gedanken an Selbstmord, an ein "In-den-Draht-Laufen", wie die lagerübliche Bezeichnung für die Methode der Selbsttötung durch Berühren des elektrischen Stacheldrahtes lautete, aufdrängten. Die Entscheidung in Auschwitz nicht in den Draht zu gehen war ziemlich gegenstandslos, denn der durchschnittliche Lagerinsasse konnte, i. S. einer Wahrscheinlichkeitsrechnung, nicht damit rechnen, zu dem geringen Prozentsatz derer zu zählen, die alle weiteren Selektionen und Selektionsarten überleben würden. Die Häftlinge in Auschwitz fürchteten den Tod nicht, sahen in der Gaskammer etwas, das den Selbstmord ersparte.
Psychologie der Lagerwache
Die Frage danach, wie es möglich war, dass Menschen aus Fleisch und Blut anderen Menschen all das angetan haben, ist eine brennende bzw. es fällt schwer im Angesicht des zur Kenntnis zu nehmenden Grauens zu verstehen, dass es psychologisch möglich war. Um die Frage zu beantworten, muss man sich vor Augen führen, dass es unter den Posten im Lager ausgesprochene Sadisten im klinischen Sinn gegeben hat, die einerseits für die Stellung eines Capos ausgesucht worden waren, wann immer es galt, eine scharfe Bewachungsmannschaft zusammenzustellen und andererseits oft nur die egoistischen Individuen überleben konnten, welche hemmungslos in ihren sadistischen Quälerein waren. Ein Großteil der Lagerwache war abgestumpft durch die vielen Jahre, in welchen sie gleichsam in zunehmender Dosierung Zeugen des ganzen sadistischen Betriebes im Lager geworden waren. Diese abgestumpften, in ihrem Gefühlsleben verhärteten Menschen waren es, die wenigstens den Sadismus in eigener Regie ablehnten, wenngleich sie gegen den Sadismus von anderen nichts unternahmen. Sehr selten waren unter der Lagerwache "Saboteure", die beispielsweise Lebensmittel für die Häftlinge organisierten. Oftmals waren die Lagerältesten schärfer als alle SS-Wachen. Sie schlugen die Häftlinge, wann immer sie nur konnten. Daraus lässt sich die Erkenntnis ziehen, dass die Kennzeichnung als Angehöriger der Lagerwache oder als Lagerhäftling allein nicht das Geringste in Bezug auf Menschlichkeit besagte; die Grenzen überschnitten sich. Die Niedertracht und Charakterlosigkeit eines Häftlings, der seinen eigenen Leidensgenossen Übles antat, erschütterten mehr als die Taten von Wachtposten und Aufsehern.
Frankl: "Es gibt auf Erden zwei Menschenrassen, aber auch nur diese beiden: die 'Rasse' der anständigen Menschen und die der unanständigen Menschen. Und beide 'Rassen' sind allgemein verbreitet: in alle Gruppen dringen sie ein und sickern sie durch; keine Gruppe besteht ausschließlich aus anständigen und keine aus ausschließlich unanständigen Menschen, in diesem Sinne ist also keine Gruppe 'rassenrein'."
Das Leben im KZ ließ zweifelsohne einen Abgrund in die äußersten Tiefen des Menschen aufbrechen. Und trotz der Tiefen gab es den einen oder anderen anständigen Kerl eben auch unter der Wachmannschaft. Das Menschliche ist das, was es ist - es ist eine Legierung von gut und böse. Der Riß, der durch alles Menschsein hindurch geht und zwischen gut und böse scheidet, reicht bis in die tiefsten Tiefen und wird auf dem Grunde des Abgrundes, den das KZ darstellte, offenbar.
Im Nationalsozialismus wurde der Mensch kennen gelernt wie vielleicht bis dahin in keiner Generation. Was also ist der Mensch?
"Er ist das Wesen, das immer entscheidet, was es ist. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat; aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist aufrecht und ein Gebet auf den Lippen."
Vgl. Frankl, Viktor E., ... trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, 1982, München: dtv.