Angesichts des täglichen Versagens der Verantwortlichen im Bereich dessen, was sich österreichische "Flüchtlingspolitik"' nennt, zu dem Thema nicht Stellung zu beziehen, ist fast zu einem Akt der Unmöglichkeit geworden. Einen Text zu verfassen, der noch "Ecken und Kanten" zeigt, ohne dabei in "Gefühlsduselei" oder in sein Gegenteil in "unmenschliche Härte" abzudriften, hat sich dabei als ein überaus schwieriges Unterfangen gezeigt. All zu leicht gehen einem manchmal die Pferde durch.
Vorbemerkung:
Jeder, der sich zu einer offenen, liberalen und demokratisch organisierten Gesellschaft bekennt, ist mir als „Nachbar“ recht. Woher er kommt, welche Staatsbürgerschaft er besitzt, welchen Beruf er ausübt, welcher Religion er zuneigt, ob er Atheist oder Muslim, Jude oder Zeuge Jehovas, Katholik oder Protestant oder glühender Anhänger eines „Spaghettimonsters“ ist, ist nicht von Interesse. Wenn er mir verspricht, mich nach meiner Fasson leben zu lassen, verspreche ich ihm, ihn nach seiner Fasson leben zu lassen. Jeder möge sich dort niederlassen, wo es ihm gefällt, wenn er dort in eigenverantwortlicher Weise zu leben in der Lage ist, niemandem schuldhaft langfristig zur Last fällt und sich zivilisierter Umgangsformen befleißigt, die sich an der Freiheit seines Nachbarn orientieren.
“Österreich im Asylchaos”
Man kann es drehen und wenden wie man will, eine Erkenntnis aus dem Asylchaos seit den ersten Zelten Mitte Mai lässt sich nicht länger verdrängen oder vertuschen: Das politische Österreich ist, so wie es derzeit in Bund, Ländern, Gemeinden aufgestellt ist, nicht krisenfest und zur Bewältigung eines „Notstands“ unfähig. (Anneliese Rohrer, in „DiePresse“, vom 8.August 2015)
Der Mensch das kooperative Wesen
Man sagt, die Bereitschaft mit anderen zu kooperieren, sei eine der wesentlichsten Eigenschaften des Menschen. Kooperationsbereitschaft sei sogar der eigentliche Grund für die Erfolgsgeschichte dieser Spezies. Mehr noch: Kooperationsbereitschaft sei das, was das eigentliche „Wesen des Menschseins“ ausmache.
Manche glauben, diese Behauptung einschränken zu müssen. Sie sehen die Bereitschaft zur Kooperation im Wesentlichen an die Erwartung eines zukünftigen Nutzens gebunden. Sähe einer der beiden Kooperationspartner nämlich keinen erwartbaren Nutzen für sich, lasse das seine Bereitschaft zu Kooperation deutlich schwinden.
Streng genommen sei der Mensch eigentlich sogar ein ausgesprochener Utilitarist und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Ein homo oeconomicus, der alles, selbst seine Liebesbeziehungen, wirtschaftlichen Überlegungen unterordne und alles im Leben ganz rational anginge.
Ausnahmen, heißt es, bestätigen die Regel. Nicht jeder ist ein berechnender Rationalist, aber auch nicht jeder fühlt sich als „Franz von Assisi“, nicht jede als „Mutter Theresa“. Man muss aber auch kein abgebrühter Menschenfeind sein, um der nachfolgenden Aussage vorbehaltlos zuzustimmen:
“Reiner Altruismus ist es jedenfalls nicht, was die Mehrheit der Menschen in ihrem Alltag antreibt.”
Das Erkennen einer außerordentlichen Notlage eines Mitmenschen, lasse normalerweise aber über die Kooperationsbereitschaft hinaus ein starkes Mitgefühl (Empathie) für die Situation der Notlage entflammen, lasse manchmal daraus Solidarität, in eher selteneren Fällen sogar Mitleid entstehen und den Wunsch nach Befriedigung des Eigennutzens in den Hintergrund treten. So aktivierten sich altruistische Gefühle, auch wenn sie noch so tief im Innersten schlummern, woraus letztlich Hilfsbereitschaft gespeist werde, die dann den Notleidenden zugute komme.
Dieses „Überlebens-Programm“ wurde vom menschlichen Organismus lange Zeit nur in relativ kleinen, überschaubaren Gemeinschaften (Familien, Stämmen, Clans) abgerufen, deren Mitglieder sich kannten, die vielleicht sogar eng verwandt waren. In außergewöhnlichen Situationen, auf Hoher See, in Wüsten oder unter Bergsteigern, ohne jetzt auf Vollständigkeit der Aufzählung zu bestehen, ließ man dieses „Programm“ auch Fremden angedeihen. Es war sicherlich die Ausnahme.
Die Not von unbekannten Menschen in anderen Erdteilen, ja selbst in anderen – oft sogar benachbarten – Nationen, berührte die Menschen weniger. Man war auch selten über die Zustände anderswo wirklich informiert.
Erst die Moderne, mit ihren ausgeprägten Möglichkeiten neuer Informationstechnologien brachte mit sich, dass die Lebensumstände von Menschen bekannt wurden, die einander vorher noch nie begegneten und die von einander zuvor gar nichts wussten. Man sagt, die Welt sei durch diese Technologien „kleiner“ geworden, weltweite Geschehnisse werden nun bis direkt ins Wohnzimmer geliefert. Der moderne Mensch wird von Nachrichten über Ereignisse in aller Welt überschwemmt. Kein Wunder, dass im Falle von Schreckensnachrichten unsere Psyche Abwehrmechanismen konstruiert, die einen Filter um unser Bewusstsein legen und unserer Fähigkeit, Mitgefühl und darüber hinaus richtiges Mitleid zu empfinden, enge Grenzen anlegen.
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum auch das Programm der Kooperationsbereitschaft manchmal ein wenig „ruckelt“?
Solidarität
Emil Durkheims[1] Arbeiten haben gezeigt, dass mit der Moderne, geprägt von zunehmender Arbeitsteilung, die ursprüngliche Form von Solidarität, die er „mechanische“ nannte, ihre Wirkung mehr und mehr einbüßte. Diese „mechanische Solidarität“ (wir halten zusammen, weil wir einander gleich sind) verschwinde zunehmend und werde von einer anderen Form abgelöst, die sich im Gegensatz zu ihrer Vorläuferin nicht auf Gleichheit, sondern auf die Unterschiedlichkeit der Menschen gründe. Er nannte das „organische Solidarität“. Sie beruht auf dem Wissen der Menschen, nicht alles selbst zu vermögen und daher in der Bewältigung des Lebens aufeinander angewiesen zu sein.
Wer aber braucht einen bettelarmen Flüchtling aus Nordafrika oder aus Tschetschenien? Wer im modernen Europa ist auf ihn angewiesen? Dennoch zeigen sich auch in diesen Fällen Handlungsweisen, die gemeinhin als solche der Solidarität gesehen werden, die ihrem Wesen nach aber eher Akte der Empathie bzw. des Mitleids sind.
Warum diese Unterscheidung wichtig ist, zeigt sich, sobald diese „Phänomene“ einer Belastung ausgesetzt werden. Mitgefühl ist weitaus weniger stark belastbar als Solidarität. Dies deswegen, weil Solidarität auf etwas gerichtet ist und diese Gerichtetheit im Bedarfsfall eine Gegenleistung erwarten lässt:, wieder in Form von Solidarität.
Hinter dem Begriff „Solidarität“ steckt die Bereitschaft, den anderen als Kameraden zu akzeptieren; ihn als ein Wesen anzuerkennen, mit dem man sich in Übereinstimmung befindet; es charakterisiert somit eher ein soziales Verhältnis von Gleichen, im Sinne von Gleichrangigkeit, während Akte des Mitgefühls und des Mitleids, dem anderen eher eine Position der Schwäche zuweisen und so immer auch ein Machtgefälle [2] ausdrücken. Mitgefühl ist darüber hinaus ein in der Regel nur mäßig entwickeltes Instrument, das die latente Eigenschaft zu schwinden zeigt, sobald die eigene Position, das eigene Wohl gefährdet erscheint. Die Fähigkeit Mitleid zu empfinden, also selbst tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes mit jemandem anderen „mitzuleiden“, tatsächlich denselben Schmerz zu empfinden, den der andere empfindet, wird die Ausnahme sein, auch wenn dieses Wort oft, meist aber doch in einem falschen Sinn wie ich meine, verwendet wird.
Die Welt ist voll von Krisenherden. Millionen von Menschen befinden sich auf der Flucht, mit allen „mitzuleiden“, ist dem Menschen nicht möglich.
Es ist aber auch wenig hilfreich in solchen Fällen überaus emotional zu (re-)agieren. Reine Emotion in Form von Gefühlsduselei hilft niemandem! Was gefordert werden muss, was nützt, ist professionelles Krisenmanagement. Ein solches ist derzeit, die zahlreichen Toten im Mittelmeer beweisen es, europaweit nicht zu erkennen. Man „pfuscht“, wie man es auch sonst im politischen Alltagsgeschäft gewohnt ist und ergeht sich dabei in „Betroffenheit“.
In den Angelegenheiten der aktuellen Migration, die nun verstärkt auch in Europa ankommt, muss man sich vordringlich die Frage stellen, inwieweit und bis zu welchem Ausmaß die europäischen Staaten für Migration aus anderen Kontinenten offen sein sollen, müssen oder dürfen, ohne dass seine Bürger fürchten, das eigene Wohl könnte beeinträchtigt werden. Es ist wenig hilfreich, Fragen der sozialen Verträglichkeit unterschiedlicher Kulturen dabei beständig unter den Tisch zu kehren. Vor allem sollte man die Analyse dieser Fragen nicht allein Rechtsradikalen und Rassisten überlassen. Kritiker der aktuellen Einwanderungsentwicklung und jene, die sich nicht uneingeschränkt als „helfende Hand“ zu erkennen geben, ausnahmslos ins „Rechte Eck“ zu stellen, wird die Sache inhaltlich nicht weiter bringen.[3] Es ist zugegebener Maßen ein heikles Thema, weil gerade in diesem Bereich sehr gerne die „emotionalen Keulen“ in der diskursiven Argumentation ausgepackt werden, die letztlich eine sachlich korrekte, rational durchdachte Diskussion des Themas verhindern.
Pflicht zur Hilfe – ein moralisches Gebot
Unsere Rechtsordnung belegt den einzelnen mit der gesetzlichen Verpflichtung, einen in Not geratenen Menschen nicht seinem Schicksal zu überlassen – die Verweigerung einer zumutbaren Hilfeleistung ist ein strafrechtlich relevanter Tatbestand. Eine ähnliche, vergleichbare Norm existiert im Rahmen des Völkerrechts meines Wissens nicht. Staaten sind, sieht man von den Fällen der Gewährung von Asyl für politisch Verfolgte ab, nicht verpflichtet, Angehörigen anderer Staaten Hilfestellung zu leisten, wenn diese in Not geraten sind. Ein Rechtsanspruch auf Hilfestellung kann aus anderen Gründen als jenen, die politisches Asyl betreffen, nicht geltend gemacht werden.
Österreich lebt wie in vielen anderen politischen Fragen (Rauchen in Lokalen, Arbeitsplatzsicherung, Selbstbehalte bei Krankenversicherung u.v.a.m.) auch in Hinblick auf seine Haltung das „Flüchtlingswesen“ betreffend nach der Devise:
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“
Nach außen hin vertritt Österreich eine offene, humane Haltung, nach innen handelt es, das zeigt die tägliche Praxis, vielfach inhuman restriktiv.
Politiker fast aller Couleur betonen in Sonntagsreden, dass das Recht auf Asyl ein „garantiertes Menschenrecht“ sei, das nicht eingeschränkt werden dürfe.
Aufgrund der rasant ansteigenden Anzahl von Asylanträgen – in Österreich kommen derzeit täglich zwischen 250 und 300 Flüchtlinge an – ist es inzwischen aber zumindest ansatzweise politisch-korrekt geworden und in Diskussionen gestattet, zwischen „Wirtschaftsflüchtlingen“und „politischen Flüchtlingen“zu unterscheiden. Es wird sicher auch in Österreich nicht mehr lange dauern, bis diese Unterscheidung nicht nur an den Stammtischen, sondern auch in der sogenannten gehobenen politischen Diskussion allgemeine Akzeptanz erlangt und die Kraft der Sprache in ihren konkreten Auswirkungen spürbar werden wird.
Recht auf Asyl
Das Recht auf „politisches Asyl“ ist unbestritten!
Aber jeder, der aus (bloß) wirtschaftlichen Gründen sein Land verlässt, um nicht Asyl , sondern ein besseres Leben zu finden, verdrängt letztlich einen jener politischen Flüchtlinge, die um ihr nacktes Leben laufen mussten. Ein solcher Satz erbost noch viele. Ebenso wie der, dass das Recht auf Asyl zeitlich begrenzt werde, dass es nur gelte, bis sich im Heimatstaat des Geflüchteten die Lage beruhigt habe und eine Rückkehr gefahrlos vonstatten gehen könne.
Beides wird inzwischen – wie ich meine, zu Recht – diskutiert. Wenngleich dies wieder neue Fragen aufwirft. Etwa die Frage, ob dies denn auch für Menschen gelten soll, die während ihres Asylaufenthalts erfolgreich integriert wurden. Es ist eine Frage der Möglichkeiten. Wenn der Staat Aufnahmekapazitäten hat, wird man erfolgreich Integrierte nicht in ihre ehemalige Heimat zurückschicken müssen, sind diese nicht vorhanden, wird man anders entscheiden müssen.
Es gibt natürlich auch noch andere Aspekte, die in diesem Zusammenhang eine Betrachtung wert wären:
- Wäre nicht die Rückkehr eines Flüchtlings in seinen Heimatstaat, um mitzuhelfen, die durch den Krieg zerstörte Infrastruktur, wieder aufzubauen, ein mit Recht zu fordernder Akt der Solidarität mit seiner zurückgebliebenen Familie, seinen Angehörigen, seinen Mitbürgern?
- Wäre es nicht auch ein Akt der Fairness dem Schutzstaat gegenüber, weitere Hilfe nicht ohne Not oder ungebührlich lange in Anspruch zu nehmen?
Dass diese Fragen in der Realität wenig Bedeutung zukommt, zeigt, dass es in erster Linie immer nur darum geht, sich selbst in eine möglichst gute, aussichtsreiche Position zu bringen. Das „Survival of the fittest“, der alte Grundsatz der „Sozialbehavioristen“ ist, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, vor allem dann, wenn es um Tod oder Leben geht, immer noch aktuell.
Für den sozialen Ausgleich müssen diejenigen sorgen, die selbst nicht in Gefahr sind. Dies geht auch im Falle des Asyls nur über allgemeinverbindliche Regeln.
Europa – eine Schicksals- und Wertegemeinschaft?
Gerade weil einige der europäischen Staaten durch die anhaltende Flüchtlingsströme selbst in organisatorische Nöte geraten sind, wird der Ruf nach mehr Solidarität unter den Staaten der EU immer lauter.
Die Forderung nach einer europaweit gerechteren Verteilung der Asylsuchenden, wird mit Recht artikuliert. Diese Bestrebungen – so sagt man – scheiterten in erster Linie am Einspruch einiger „Ost-Staaten“. Diese würden sich vehement gegen verpflichtende Verteilungsquoten aussprechen. Österreich beruft sich hingegen darauf, prozentuell zu seiner Bevölkerung sogar die meisten Flüchtlinge aufgenommen zu haben, mehr als andere europäische Staaten, mehr als Italien, mehr als Deutschland sogar.
Europa sei nicht nur eine “Wirtschaftsgemeinschaft”, es sei in erster Linie ein Friedensprojektbehauptet man immer. Den Beweis bleibt es aber auch in dieser Disziplin schuldig.
Europa duckt sich ab. Ein gemeinsamer Weg, eine gemeinsame Lösung ist nicht in Sicht. Es ist daher nicht nur fraglich, ob es zielführend und angebracht ist, diejenigen Stimmen, die die Aufnahmekapazität Österreichs, zahlenmäßig und was die Aufenthaltsdauer anlangt, beschränkt sehen wollen, als politisch inkorrekt, ja sogar inhuman zu bezeichnen und ihre Einwände ungeprüft als indiskutabel zu verwerfen. Im Gegenteil, diese Einwände in die Tat umzusetzen wird sich auf Dauer nicht vermeiden lassen.
Noch aber sind Österreichs Kapazitäten nicht erschöpft, auch wenn es danach aussieht. Es gibt allerdings unentschuldbare innerstaatliche Versäumnisse in der Organisation dieser Frage; es gibt den Unwillen und das Argument des „Na-das-wird-ma-erst-sehen / ohne-mich-geht-da-gar-nix!“
Der Staat, der zwar eine nach außen hin liberale Haltung in dieser Frage einzunehmen vorgibt, ist offensichtlich nicht einmal in der Lage, vielleicht auch gar nicht Willens, allen Asylanwärtern während ihres Aufenthaltes ein Dach über dem Kopf anzubieten. Das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen platzt aus allen Nähten. Man lässt Menschen im Freien übernachten oder quartiert sie in Zelten ein, weil sich fixe Unterkünfte offensichtlich nicht finden lassen. Mobil-Homes, wie man sie in großer Zahl kaufen könnte, ja sogar Container kämen zu teuer, hörte man von der Innenministerin. Erst in den letzten Tagen, scheint hier ein Umdenkprozess eingeleitet worden zu sein.
Der Bundeskanzler und sein Stellvertreter sind in der Versenkung verschwunden oder “auf Urlaub”; wollen sich zu dem Thema offensichtlich nicht äußern und glänzen (wieder einmal) durch Untätigkeit. Selbst die FPÖ meldet sich in dieser Frage (vielleicht schon siegessicher) kaum mehr zu Wort.
Die Landeshauptleute schießen wie gewohnt quer; die meisten Gemeinden stellen sich in der Regel taub oder berufen sich auf Angelegenheiten des Flächenwidmungsplanes um weitere „Zeltstädte“ zu verhindern oder machen baupolizeiliche Vorschriften geltend, um Flüchtlinge von ihren Gemeinden fernzuhalten. So glaubt man die Bürger bei Laune halten zu können, deren Hilfsbereitschaft, so schreiben die Medien, die der politisch Verantwortlichen zu übersteigen scheint. Lässt man allerdings darüber abstimmen, zeigt sich ein anderes Bild.[4]
Migration
Migration bringt Probleme; sie zu leugnen, hilft niemandem.
Nicht dazu angetan, die Sache zu vereinfachen, sind die zahlreichen Meldungen darüber, dass Flüchtlinge ihren Schleppern mehrere Tausend Euro[5] zahlen (können), um mit deren Hilfe in eines der wohlhabenden Länder zu gelangen.
Wenn jemand einen solchen Betrag aufbringen kann, den nur wenige Österreicher auf ihrem Bankkonto liegen haben, muss die Frage berechtigt sein, wie sich das mit dem Status der angeblichen „Armut eines Wirtschaftsflüchtlings“ [6] verträgt. Auch wenn man davon ausgehen muss, dass in diesen Fällen ein ganzer Clan seine Ersparnisse zusammengelegt hat, liegt der Gedanke nicht fern, dass das Geld nicht nur dafür investiert wird, ein Familienmitglied in Sicherheit zu bringen, sondern dass das Geld bewusst in eine (Flucht-)Reise mit durchaus ungewissem Ausgang investiert wird, deswegen, weil man sich einerseits einen rückfließenden Gewinn oder zumindest die Möglichkeit der legalen Einreise für die Zurückgebliebenen im Zuge einer Familienzusammenführung erwartet.
Das alles hat einen neuen international vernetzten Geschäftszweig entstehen lassen: Die gewerbsmäßige Schlepperei[7], ein Geschäftszweig, der über Leichen[8] geht und tolle Wachstumsraten verspricht.
Eine Frage der Verantwortung
Eigentlich aber gibt es nur eine einzige Möglichkeit in diesem Dilemma ehrenhaft zu bleiben: Wenn man Menschen ins Land lässt, aus welchen Gründen immer, muss man, wenn man sich als “Wohlfahrts- und Versorgungsstaat” definiert, auch in der Lage sein, ihr Auskommen zu gewährleisten. Ist dies nicht gewährleistet, wäre es aufrichtiger, die Aufnahme zu verweigern.
In diesem Zusammenhang ist wieder einmal die alte, vielzitierte Erkenntnis Max Webers von eminenter Bedeutung, der bekanntlich zwischen „Gesinnungsethik“ und „Verantwortungsethik“ zu unterscheiden lehrte. Es genügt eben nicht gesinnungsethisch gut sein zu wollen, die gutgemeinten Handlungen müssen im Sinne der Verantwortungsethik auch daran gemessen werden, ob sie in der Realität akzeptable Folgen zeitigen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin nicht der Ansicht, dass das Boot schon voll und die Leistungsfähigkeit Österreichs ausgereizt wäre. Unsere Politiker tun bloß so!
Die Aufnahmefähigkeit eines jeden Staates, im Besonderen der sogenannten „Wohlfahrts- und Versorgungsstaaten“ ist aber unbestreitbar beschränkt. Also muss man sich im Sinne der „Verantwortungsethik“ darüber Gedanken machen, wo die Grenze der Aufnahmefähigkeit[9] liegt.
Auf die Frage kultureller Kompatibilität wurde oben bereits hingewiesen, dennoch soll in diesem Zusammenhang das aktuell weltweit grassierende Problem des „Islamismus“ nicht ausgespart werden. Jeder Staat wird gut beraten sein, alle Erscheinungsformen eines radikalen, politisch aktiven Islam (Islamismus) und dessen Befürworter von seinem Staatsgebiet fernzuhalten. Dies in die Praxis umzusetzen, ohne dabei auch alle gemäßigten Muslime, die sich damit zufrieden geben, ihre Religion als Privatsache zu betreiben, in Geiselhaft zu nehmen, wird sich als überaus schwierige Aufgabe erweisen.
Zudem gibt es Befürchtungen, dass durch verstärkte Einwanderung kulturelle Erscheinungen überhand nehmen könnten, die die Freiheit der Meinungsäußerung einschränken, die Stellung der Frauen in der Gesellschaft auf ein Niveau Kuwaits oder Afghanistans drücken könnten, die das liberale Rechtssystem abschaffen und wieder auf eine religiöse Basis gestellt sehen wollen; solche Befürchtungen werden nicht nur von besonders ängstlichen Menschen geäußert. Es ist auch nicht hilfreich, diesen Menschen eine “Phobie” anzudichten, sie als “krankhaft”, sie als quasi-pathologische Fälle zu diagnostizieren. Sie sind in der Tat nicht krank. Sie hegen eine begründete Besorgnis, denn in der Demokratie zählt letztlich nur eines: die Mehrheit der Stimmen. Es wäre bekanntlich nicht das erste Mal in der Geschichte Österreichs, dass sich eine Demokratie durch demokratische Verfahren selbst ausschaltet.
Diese besorgten Menschen sehen darüber hinaus soziale Errungenschaften in Gefahr, für die mehrere Jahrhunderte lang gekämpft wurde. Sie sehen die Gefahr, dass eine unbegrenzte Aufnahme von Menschen, die ganz andere (vormoderne) Wertvorstellungen präferieren, auf politisch legalem Weg zu einer Aushebelung dieser Errungenschaften führen könnte. Dass sich bereits für die nächste Wiener Wahl mehrere „Migrantenparteien“ gründen wollen, sollte noch nicht als direkte Gefahr gesehen werden, wohl aber als Indiz einer Vorstufe diesbezüglicher Entwicklungen.
Die Grenze der sozialen Verträglichkeit zu überschreiten, die in erster Linie keine Grenze der finanziellen Möglichkeiten dieses Staates ist, hieße, die Stabilität des Staates, das soziale Gefüge seiner Gesellschaft gefährden.
Es ist und es muss das Recht einer „offenen Gesellschaft“ [10] bleiben, ihren eigenen Fortbestand zu sichern und jene Elemente, die diesen Fortbestand gefährden, in die Schranken zu weisen. Auch – und vor allem – wenn diese Gefährdung von Zuwanderern ausginge. Menschen, die sich zu den Werten von Gesellschaften bekennen, die ihre Frauen als Menschen zweiter Klasse behandeln, die religiös Abtrünnige nicht nur mit dem Tod bedrohen, sie sogar hinrichten, die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit, in so gravierender Weise einschränken, wie das in vielen muslimischen Ländern der Fall ist, müssen als Feinde einer offenen Gesellschaft gesehen werden. Für Menschen, die sich zu solchen Werthaltungen bekennen, sollte in Österreich kein Platz sein, auch kein Platz des Asyls.
Dem kann man natürlich entgegnen, dass es solche Menschen ohnehin auch in Österreich gäbe, dass es sich dabei nicht um Zuwanderer handle, sondern um „Eingeborene“. Es ist kein Geheimnis, dass es auch hier einen solchen „Bodensatz“ von Radikalität gibt, der ein ähnliches Interesse verfolgt. Ich glaube zwar, dass es müßig ist es ausdrücklich zu betonen, tue es aber dennoch: Eine offene Gesellschaft muss sich selbstverständlich auch gegen diese Feinde wehren.
Tarnen und täuschen – Flüchtlinge sind keine Emigranten
In den letzten Tagen werden vor allem jene Bundesländer wegen ihrer mangelnden Bereitschaft Flüchtlinge aufzunehmen gerügt, die ihre „Flüchtlingsquote“ derzeit nicht erfüllt haben. Auch das Burgenland fällt darunter, behauptet die Innenministerin. Der Landeshauptmann konterte, es werde bloß falsch gezählt.[11]
Worauf ihm in Erinnerung gerufen wird, dass gerade das Burgenland auf eine starke „Auswanderertradition“ zurückblicke und daher besonderes Verständnis und Bereitschaft zur Hilfe zeigen müsse, denn viele Burgenländer hätten in Zeiten der Not das Land verlassen und anderswo ihr Glück versucht.
Wo auch immer die Burgenländer hin gingen, sie mussten sich dort selbst durchbringen, könnte man entgegnen. Unter den damaligen Verhältnissen und Voraussetzungen war die Aufnahmekapazität der Staaten nicht so leicht auszureizen wie unter den Gegebenheiten eines modernen Sozial- und Versorgungsstaates.[12]
Darüber hinaus traf die erste Auswanderungswelle der Burgenländer (ab etwa 1870, damals noch Deutsch-Westungarn) die USA noch in Zeiten des Prosperierens und nicht der Stagnation. Die beginnende Industrialisierung schuf bis Ende des Neunzehnten Jahrhunderts Arbeitsplätze in großer Zahl, die vom Inland selbst nicht besetzt werden konnten. Da behalf man sich mit Einladungen zur Zuwanderung. (Eine ähnliche Arbeitsplatzsituation wie sie auch im Österreich der Neunzehnhundertsiebziger Jahre gegeben war.) Als sich die wirtschaftliche Situation der USA in den Neunzehnhundertzwanziger Jahren dramatisch verschlechterte, erließ man ohnehin ein restriktives Einwanderungsgesetz, das den Zustrom aus dem Burgenland fast gänzlich zum Erliegen brachte. Viele der ehemaligen Emigranten sind sogar wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt.
Man sieht, von staatlichem Altruismus war auch in den USA keine Spur.
Schlussbemerkung
Da das Flüchtlings-Problem weltweit eskaliert, wäre es längst an der Zeit, das Übel auch in einer weltweiten Kraftanstrengung an der Wurzel zu packen und nicht allein die Symptome zu bekämpfen. Dass der UNO-Sicherheitsrat in totale Untätigkeit verfallen ist, ist kein gutes Zeichen. Die Schaffung von Sicherheitszonen in und um die Krisengebiete herum wäre das Mindeste, was sich die Gefährdeten in den Krisenregionen von der zivilisierten Weltgemeinschaft erwarten könnten. Angesichts der Milliarden, die in den letzten Jahren zur Sicherung des “Geldwesens” (um nicht zu sagen: zu Verlustabsicherung internationaler Spekulanten) verpulvert wurden, sollte niemand davon sprechen, dass die Einrichtung von Sicherheitszonen und die Versorgung der notleidenden Bevölkerung dort finanziell nicht zu bewerkstelligen wäre.
Dass viele (nicht alle) der heutigen „Krisengebiete“ erst durch aktive Eingriffe „des Westens“, allen voran die USA und Großbritannien, zu Krisen- / Kriegsgebieten gemacht wurden, ist allgemein bekannt. Dies gilt vor allem für Afghanistan, es gilt aber besonders auch für den Irak, für Libyen und höchstwahrscheinlich auch für Syrien, da man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen kann, dass der amerikanische Geheimdienst auch dort nicht untätig war. Nicht zuletzt gilt alles das auch für die Ukraine, die durch eine sorglose, wenn nicht gar verantwortungslose „Annäherungspolitik“ der NATO und der EU, welche die Interessen Russlands und die historische Einbettung der Ukraine in die UdSSR bewusst ignorierte, vollkommen destabilisiert wurde.
Das Übel an der Wurzel bekämpfen, heißt letztlich nichts anderes, als im Rahmen der Völkergemeinschaft endlich wirkungsvolle Maßnahmen zu setzen, die dazu beitragen, in den sogenannten „Krisen-Staaten“, auch in jenen, von denen man sich keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen erwarten kann, soziale Strukturen zu schaffen, die einerseits den wirtschaftlichen und politischen Fortschritt dieser Länder fördern und nicht wie bisher fast ausschließlich korrupte Eliten begünstigen und die andererseits den Menschen ein Leben ermöglichen, das von Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft geprägt ist. Dies wird die Aufgabe dieses Jahrhunderts sein, die – so sie nicht gelöst werden kann – auch für Europa katastrophale Folgen haben wird. Die Waffen Europas werden auf Dauer sicher nicht reichen, die Benachteiligten ganzer Kontinente von seinem Wohlstand fernzuhalten.
—————————————————————————————————
[1] David Émile Durkheim , * 15. April 1858 in Épinal, Frankreich; † 15. November 1917 in Paris , war ein französischer Soziologe und Ethnologe. Er war 1887 als Lehrbeauftragter für Soziologie und Pädagogik in Bordeaux der erste mit einer akademischen Stelle an einer französischen Universität. Er gilt heute als ein Klassiker der Soziologie, der mit seiner Methodologie die Eigenständigkeit der Soziologie als Fachdisziplin zu begründen gesucht hat.
[2] Damit nicht genug, fühlen sie sich auch „erniedrigt, wenn sie gerettet werden“, und herabgesetzt, wenn ihnen geholfen wird. (Hannah Arendt)
[3] Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) wandelt wieder einmal auf den Spuren des blauen Koalitionspartners. (Günther Oswald, DerStandard, 5.August 2015)
[4] Denn der Landeshauptmann ließ die Burgenländer schon einmal über eine asylpolitische Frage entscheiden. 2010 wollte die damalige Innenministerin, Maria Fekter, ein Erstaufnahmezentrum im südburgenländischen Eberau errichten. Niessl nahm das Duell im beginnenden Landtagswahlkampf dankbar an und stilisierte die ÖVP-Politikerin zur gemeinsamen Außenfeindin des Landes hoch. Mit Erfolg: 90 Prozent sprachen sich gegen das Asylzentrum in Eberau aus. (“Die Presse”, Print-Ausgabe, 08.08.2015)
[5] Der Preis für die Flucht beträgt oft mehr als zehntausend Euro, weshalb die ganze Familie für einen Flüchtenden zusammenlegen muss. Fabian Schmid, “DerStandard“, 9.August 2015, 10:19; Flüchtlinge und teure Smartphones: Hetze ohne Fakten.
[6] UNHCR fordert konsequente Abschiebung von “Wirtschaftsflüchtlingen” („DerStandard“, 5. August 2015, 08:05)
[7] 86 Flüchtlinge in Lkw bei St. Pölten entdeckt – Schwangere wurde ins Krankenhaus gebracht – Schlepper lief davon, St. Pölten – In einem Lkw auf der Westautobahn (A1) bei St. Pölten sind am Samstag 86 Flüchtlinge entdeckt worden. Es habe sich um Frauen, Männer und Kinder gehandelt, teilte die Landespolizeidirektion NÖ mit. („DerStandard“, 8. August 2015, 10:37)
[8] Augenzeugen: 200 vermisste Flüchtlinge im Mittelmeer tot; Überlebende berichteten, dass Flüchtlinge im Lagerraum eingeschlossen waren, als das Boot vor Libyen sank – Fünf Schlepper wurden festgenommen. (Der Standard, 7. August 2015, 15:55)
[9] Jeder Flüchtling kostet das Land etwa 1.000 Euro im Monat”, so Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD). (DerStandard, APA, 5.8.2015)
[10] vgl. Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. (Hier soll die österreichische Gesellschaft keinesfalls als Musterbeispiel einer offenen Gesellschaft behauptet werden. Sie ist weit davon entfernt, doch nicht so weit entfernt, wie es Gesellschaften sind, die ihr Rechts- und Gesellschaftssystem auf die Scharia bauen.)
[11] Für Aufsehen sorgte Niessl auch mit der Ankündigung, sein Bundesland sei bei der Bereitstellung von Quartieren gar nicht säumig. Er sprach von 300 Flüchtlingen, die das Innenministerium nicht berücksichtige.
[12] Konkret seit 2004, als die EU allen Mitgliedsstaaten per Richtlinie auftrug, Asylwerbern einen Rechtsanspruch auf Versorgung zu gewähren. In Österreich wurde daraufhin unter Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) die Grundversorgungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern geschaffen. (Irene Brickner, in “DerStandard“, 8.8.2015)