>Plädoyer für die Meinungsfreiheit<
Ein Buch steht im Mittelpunkt dieses Textes, ein lesenswertes.
Ein Buch, das man, ebenso wie seinen etwas umfangreicheren Vorgänger: „Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf“, guten Gewissens allen jenen empfehlen kann, die an der aktuellen Debatte rund um den Themenkomplex „Islam und sein Verhältnis zu den offenen Gesellschaften des Westens“ interessiert sind. Die Lektüre dieser an Umfang schmalen, aber an belegten Argumenten reichen Ausgabe, wird die öffentliche Diskussion in jedem Fall bereichern.
Im Fokus dieser neuen Streitschrift stehen die traurigen Ereignisse rund um die Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt im Paris des 7. Jänner 2015. Diese Anschläge, die Attentate islamistischer Terroristen davor und jene, die ihnen nachfolgten, haben das Thema „Meinungsfreiheit und ihre Grenzen“ neben dem der „Flüchtlingskrise“ zu einem die öffentliche Diskussion beherrschenden gemacht. Allein das garantiert dem Buch einen großen Kreis von Interessenten.
Und das ist gut so, denn das Buch ist nicht nur gut lesbar geschrieben und informativ, es kratzt auch an vielen Tabus, etwa dem der rechtlichen Sonderstellung der Religionen in unseren Rechtsordnungen. Diese „Sonderstellung“ gewährt allen jenen Denkgebäuden, so sie einmal als religiös anerkannt wurden, privilegierten Schutz in einem Ausmaß, der ihnen schon lange nicht mehr gebührt. Der kleine Band des Passagen Verlages gibt über diese Erkenntnis hinaus, aber auch einen anschaulichen, wenn doch exemplarisch bleiben müssenden Überblick über die Entwicklung dessen, was man als massiven Versuch der islamischen Religionsgemeinschaften bezeichnen wird müssen, die im Laufe der Geschichte mühsam erkämpfte Meinungsfreiheit in den westlichen Demokratien dauerhaft zu beschränken. Als Mittel dazu dient, so legen die Autoren offen, eine überaus wackelige Rechtsauffassung des Begriffs Religionsfreiheit, die sich auf die „Verletzung religiöser Gefühle“ stützt. Die Autoren zeigen eindrucksvoll, auch für Nicht-Juristen nachvollziehbar, wie wenig tragfähig dieses Argument ist.
Darüber hinaus wird deutlich, auf welche Weise muslimische Organisationen seit Jahren versuchen, die persönliche Freiheit des Einzelnen einschränkend - insbesondere die der Frauen - , ihre überholten Wertmaßstäbe in Form religiöser Ge- und Verbote für alle Bevölkerungsgruppen in Europa als allgemeinverbindliche Regel in die staatlichen Rechtsordnungen hinein zu reklamieren.
Hilfreich dabei ist nicht zuletzt das Nichtwissenwollen, das Leugnen und Beschönigen dieses Umstandes durch vornehmlich - aber nicht ausschließlich - links-liberale Kräfte, die im vermeintlichen Bestreben diese Gesellschaft offen zu erhalten, durch ihre Koalition mit fundamentalistischen Muslimvereinigungen und deren Gedankengut eine massive Gefährdung der Offenen Gesellschaften heraufbeschwört. Dass dies gerade durch jene geschieht, die ansonsten die Bewahrung der Vielfalt und Offenheit als Fahne des Bekenntnisses vor sich her tragen, erscheint besonders paradox.
„Die Ignoranz vieler Menschen gegenüber den problematischen Aspekten des Islam und bestimmten Merkmalen seiner Traditionen lässt Rechtspopulisten und Rechtsradikale als einzige Akteure auf diesem Feld zurück. Diese Ignoranz verdankt sich einer kommunitaristischen Sicht der Gesellschaft, einer Sicht, die nicht die einzelnen Menschen als freie Bürgerinnen und Bürger der Gesellschaft wahrnimmt, sondern nur als Gruppen und Kollektive.“ (S.53)
Dieses Zitat wurde mit Bedacht gewählt, weil es einerseits zwar inhaltlich ins Schwarze trifft, was den Aspekt der Ignoranz und ihrer Folgen anlangt, andererseits aber deswegen, weil diese Passage eine der wenigen Möglichkeiten bietet, eine Spur von Widerspruch gegen die Autoren zu entwickeln.
Ob es denn tatsächlich, wie die Autoren es sehen, der kommunitaristischen Sicht der Gesellschaft zu verdanken ist oder nicht eher doch – wie ich meine – der kollektivistischen Sicht, müsste über den Diskurs der inhaltlichen Korrektheit der Begriffe geklärt werden. Mein inhaltliches Verständnis von „kommunitaristisch“ stützt sich im Besonderen auf eine Veröffentlichung von Amitei Etzioni, der im Jahre 1996 ein Buch mit dem Titel: The New Golden Rule, Community an Morality in a Democratic Society, in New York veröffentlichte, das ein Jahr später im Campus Verlag unter dem Titel: Die Verantwortungsgesellschaft, Individualismus und Moral in der heutigen Demokratie, erschien.
„Etzioni plädiert [darin, Anm. d. Autors] für eine soziale Ordnung, die den Gegensatz von individueller Autonomie und sozialer Verpflichtung auflöst.“ (So der Klappentext zur deutschen Ausgabe.)
Als kommunitaristisch wäre demnach ein Gesellschaftsmodell dann zu bezeichnen, wenn ein bestimmter Typus von gesellschaftlicher Einstellung in dominanter Weise zu bemerken ist, der sich eben gerade nicht zu einer totalen Hinwendung zum Kollektiv bekennt, sondern immer auch das individuelle Moment, die persönliche Verantwortung betont, wenn gleich diese immer im Zusammenspiel mit einer der Allgemeinheit gegenüber zu sehen ist.
„Typisch amerikanisch sei die Betonung der Freiwilligkeit bei der Übernahme von Verpflichtungen und Verantwortung sowie die Rede von einer >moralischen Stimme< im Zusammenhang mit der Forderung, sich bei der Regelung von Konflikten, der Lösung von Problemen oder Überwindung von Notlagen, die in der Gesellschaft auftreten – sei es in der Familie, im näheren sozialen Umfeld oder auch in den Beziehungen sozialer Gruppen – nicht in erster Linie auf den Staat zu verlassen.“ (Amitei Etzioni, Die Verantwortungsgesellschaft, Individualismus und Moral in der heutigen Demokratie, Campus, 1997, S.11)
Der Befund von Scholz und Heinisch, betont aber die Tatsache, dass hier eine Sicht gewählt werde, die „nicht die einzelnen Menschen als freie Bürgerinnen und Bürger der Gesellschaft wahrnimmt, sondern nur als Gruppen und Kollektive.“ (S. 53)
Insofern, würde ich meinen, hätte man vielleicht besser nicht von „kommunitaristischer“, sondern doch weiterhin von „kollektivistischer“ Sicht auf die Gesellschaft sprechen sollen. Dies umso mehr, als damit der Begriff "kommunitaristisch" näher an den Kollektivismus gerückt wird, als ihm eigentlich zugemutet werden sollte.
Dass die Erhaltung eines offenen Gesellschaftsmodells den Autoren am Herzen zu liegen scheint, zeigt sich auch darin, dass mit Akribie Beispiel an Beispiel der Verharmlosung und Rechtfertigung dessen aneinander gereiht wird, was man als Untergraben der Meinungsfreiheit, gar als Rechtfertigung von religiös motivierten Morden verstehen könnte; ob es nun der Falter ist, der ohne zu zögern vor der Ideologie der Mörder der Redakteure von Charlie Hebdo in die Knie ging, ob es Sky, CNN oder Günther Grass war, der sich vielleicht der Schlagzeilen wegen oder auch nur deswegen, um doch wieder einmal auf der Seite des Guten zu stehen, dazu hergab, die Karikaturen zu verurteilen; niemand, nicht einmal der Papst wird verschont.
„Wenn Dr. Gasbarri [gemeint war der Reiseorganisator des Papstes, Anm.], mein lieber Freund, meine Mutter beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag. Denn man kann den Glauben der anderen nicht herausfordern, beleidigen oder lächerlich machen.“ (S.55)
Dass selbst der Papst nicht sakrosankt bleibt, zeigt, dass die Autoren auch den bedrohlichen Balken im westlichen Auge zu erkennen in der Lage sind.
Ja, es gibt sie, die Allianz des Religiösen! Ein Vorbeischwindeln an den Gemeinsamkeiten religiöser Ideologien lassen die Autoren nicht zu. Die Gefahren religiös-fundierter Gedankenführungsmodi, die im Wesentlichen auf irrationaler, kritikloser Übernahme von Dogmen und weitestgehender Unkorrigierbarkeit eines überlieferten Gedanken-Modells beruhen, werden nach wie vor unterschätzt, auch wenn die Ausformung des dadurch ausgelösten Gefahrenpotenzials unterschiedlich ist, sollten diese Gefahren nicht verharmlost oder gar verschwiegen werden. Wenn man Menschen dazu erzieht zu glauben und dabei verabsäumt, das Jenseits und das Diesseits streng zu trennen, dann werden sie sich nicht nur an diese Art von Welterklärung gewöhnen, sondern diese auch auf viele der "diesseitigen" Bereiche ausdehnen, in denen diese Art von Erklärung unstatthaft, vielleicht sogar schädlich ist. Der Glaube an einen allmächtigen Gott und der Glaube an einen allmächtigen Führer sind engverwandte Phänomene. Die christliche Kirche zu zähmen ist den offenen Gesellschaften mit Mühe gelungen, diese Aufgabe steht uns hinsichtlich des Islam jedoch noch bevor. Jede Einschränkung des Rechts der freien Meinungsäußerung, ob sie nun mit lautem Getöse einhergeht oder sich auf den leisen Sohlen der Toleranz und des vorauseilenden Gehorsams anschleicht, wird unweigerlich einen Beitrag liefern, diese Gesellschaft zu ihrem Nachteil zu verändern.
Das Buch von Nina Scholz und Heiko Heinisch ist ein mutiges Buch, ein informatives Buch und eines, das einen klaren Standpunkt vertritt: Die Grundlage für eine freie Gesellschaft ist das uneingeschränkte Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung.
Es ist zwar eine Schande, aber es ist eine Tatsache: Wir sind bereits in Zeiten angelangt, in denen man Autoren, die ihre Thesen freimütig äußern, schon allein deswegen als „mutig“ bezeichnen muss. In diesem Sinne sei Nina Scholz und Heiko Heinisch gedankt: „Es ist ein mutiges, informatives und wirklich lesenswertes Buch mit logischer Argumentation, das hier vorgelegt wurde. Man kann ihm eine große Leserschaft wünschen!