„Der maximal flexible, chamäleon-gleiche Zukunftsmensch – ist er ein Wunschbild oder ein Alptraum?“ (A.a.O., S. 54)
Es ist absolut kein Zufall, dass in diesen Tagen wiedereinmal die „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ * diskutiert wird. Viele derjenigen, die als Arbeitnehmer davon betroffen sind, empören sich. Aber sind sie zurecht empört?
Der Begriff „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ beschreibt hier einen Zustand, der in der Realität bedeutet, dass allein der Arbeitgeber darüber bestimmt, wann gearbeitet wird. Diese Tatsache mit dem Zugeständnis der „Freiwilligkeit“ entschärfen zu wollen, versucht bloß Sand in die Augen der Gegner zu streuen. Man kann das Argument getrost übergehen. Aber auch er, der Arbeitgeber, ist letztlich ein „Getriebener“; sein Handeln ist bei weitem nicht so frei, wie die Gegenseite ihm unterstellt; auch sein Wille muss sich den objektiven „Erfordernissen“ fügen, denn er lebt im wahrsten Sinn des Wortes davon, die von ihm produzierten Waren oder Dienstleistungen, dann anbieten zu können, wenn sie gewünscht werden.
Nun kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es in unserem Wirtschaftssystem von Vorteil ist, die Arbeitszeit „flexibel“ zu gestalten, sie den Erfordernissen anzupassen, sie geschmeidig zu machen. Der Arbeitszeit tut das übrigens gar nichts.
Die Frage ist, was macht das mit dem Menschen, der in einen solchen „flexiblen Rahmen“ eingespannt wird?
Man sieht, die Sprache ist manchmal verräterisch. Der arbeitende Mensch wird tatsächlich in einen Rahmen „eingespannt“. Die Eigenschaften, – der Duden definiert das Wort „flexibel“ mit anpassungsfähig, beweglich, biegsam, elastisch, geschmeidig- , die wir semantisch zwar n u r der „Arbeitszeit“ abverlangen, verlangen wir im Grunde in erster Linie aber „dem Menschen“ ab.
Flexibel sei der Mensch, anpassungsfähig, biegsam und wandelbar!
Und das ist – wie wir seit den Erkenntnissen der Evolutionstheoretiker wissen – keine neue Erscheinung; der Mensch war immer schon gezwungen auf Veränderungen der Umwelt flexibel zu reagieren. Sein Überleben verdankt er nicht zuletzt der Fähigkeit sich möglichst rasch und gut anzupassen. Aber:
„Wenn es nichts Langfristiges mehr gibt, desorientiert das auf lange Sicht jedes Handeln. löst Bindungen von Vertrauen und Verpflichtungen und untergräbt die wichtigsten Elemente der Selbstachtung. Denn: „Wie bestimmen wir, was in uns selbst von bleibendem Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen Gesellschaft leben, die sich nur auf den unmittelbaren Augenblick konzentriert?“ (A.a.O, S.50f.)
Menschen, die unabhängig von Strömungen des Zeitgeistes ihrem Gewissen, ihren Wertmaßstäben zu folgen versuchen, Wertkonservative, die zu ihren angeblich überholten, moralischen Haltungen stehen, Menschen, die sich nicht jedem modernen Schnick-Schnack unterwerfen, werden gern als lebensuntüchtige, anachronistische Saurier bespöttelt, mit denen nichts anzufangen ist.
Hinweg mit allen „Prinzipien“ tönt es da; traditionelle Charaktere, die sich an sogenannten „ewigen Werten“ orientieren, werden all zu gern auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt.
Der „neue Gott“ nennt sich „Kurzfristigkeit“.
Kurzfristige Arbeitsverträge, prekäre Arbeitsverhältnisse werden offenbar zur Regel. Lebensabschnittspartnerschaften ersetzen Lebensgemeinschaften. Kinder, deren Erziehung Hingabe, Beständigkeit und Dauer verlangt, werden zum Hindernis. Gefragt sind in erster Linie diejenigen Menschen, die ohne feste Ordnung, vielleicht sogar ohne fixen Wohnsitz auskommen. Ein Wohnwagen auf dem Campingplatz reicht und garantiert Mobilität. Arbeiten auf Abruf ist „angesagt“! Lieferung „just in time“. Wir haben keine Zeit mehr auf irgendetwas zu warten. Alle Wünsche müssen sofort und restlos in Erfüllung gehen. Zuerst konsumieren, dann bezahlen; wenn nicht anders möglich, dann auf Kredit. Morgen kommt ohnehin der „Komet“?
Es ist also absolut kein Zufall, dass in diesen Tagen wiedereinmal die „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ diskutiert wird. Es ist die notwendige Folge einer neuen konsumistisch – nomadischen Lebenshaltung. **
Arbeitnehmer sind nicht nur Arbeitnehmer; auch die von der Flexibilisierung der Arbeitszeit Betroffenen sind Proponenten dieser oben beschriebenen, "modernen" Lebenshaltung. Hätten wir, und dieses WIR schließt Sie und mich mit ein, nicht den Wunsch, alles, überall, zu jeder Zeit bekommen zu können,- hätten wir uns also die Fähigkeit erhalten, auf die Erfüllung unserer Wünsche ein wenig warten zu können, hätten wir also das gelernt, was man Wunschaufschub nennt, müssten wir nicht so ungeheuer flexibel sein, wie es jetzt von „uns“ gefordert wird.
Die Ausrede „Globalisierung“ sollte man, weil sie schon zu oft und für alles mögliche herhalten musste, nur bedingt gelten lassen.
„Die Zwänge der globalisierten Ökonomie sind fraglos eine bedeutende Macht. Aber das innere Bedürfnis der Menschen, in einem überschaubaren Lebenskreis beheimatet und für andere eine verläßliche, vertrauenswürdige Größe zu bleiben, ist auch eine Macht. (A.a.O, S.59)
Vielleicht wäre es an der Zeit, einen kleinen, aber nicht unwesentlichen Schritt zurück in Richtung selbstverordneter Bescheidenheit zu machen? Es würde jedenfalls helfen, die Tatsache wiederzuentdecken, dass der Mensch nicht lebt, um zu arbeiten, sondern arbeitet, um zu leben.
Anmerkungen:
* Es ist klar, dass es im Zusammenhang mit der aktuell diskutierten „Arbeitszeitflexibilisierung“ im Besonderen um den sogenannten „12 Stundentag“ geht. Die Arbeitszeit für die Beschäftigten zu verlängern, und das bei einem Stand von etwa 360.000 arbeitslos gemeldeten Personen, halte ich für keine überzeugende Idee. Besser wäre stattdessen, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen.
** Der moderne konsumistisch–nomadische Mensch grast die (wirtschaftliche, politische, soziale, emotionale) Landschaft ab und zieht weiter, wenn sich nichts mehr lukrieren lässt. Diesen Ausdruck habe ich deshalb gewählt, weil er mir als Gegenstück zum "Sesshaften" besonders treffend erscheint.
Zitate nach Horst Eberhart Richter, in „Machtworte des Zeitgeistes“, Hg. Klaus Hofmeister und Lothar Bauerochse, Verlag Echter, Würzburg 2001