Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft

Joseph Stiglitz

Siedler Verlag, München 2015

Englischsprachige Originalausgabe:

„The Great Divide. Unequal Societies and What We Can Do About Them“, W.W.Norton&Company, New York 2015

Eine Rezension​

"Reich und Arm" ist ein Buch, das nicht nur den Kapitalismus und die ungerechten Zustände der amerikanischen Gesellschaft kritisiert, sondern auch die weltweite Ungerechtigkeit anprangert, deren Ursache nach Stiglitz vor allem in der disharmonischen Ausgestaltung von Wettbewerbsbedingungen zu suchen ist. Stiglitz kritisiert die Auswirkungen der Machenschaften der Hochfinanz und er kritisiert den Kapitalismus an sich, der seiner Ansicht nach die Form eines „Ersatzkapitalismus“ angenommen hat. Ein “Ersatzkapitalismus” sei entstanden, mit unvollständiger Informationslage und der Abwälzung von Umweltschäden (verschleierte Produktionskosten) auf die Allgemeinheit. Und er kritisiert den Wettbewerb. Er kritisiert aber nicht ein Zuviel an Wettbewerb, sondern ein Zuwenig.

In dieser Beziehung könnten ihm wohl auch einige seiner ideologischen Gegner aus dem neoliberalen Lager zustimmen, wären da nicht andere einem unbeschränkten Liberalismus gegenläufige Tendenzen zu erkennen, wie etwa der Zweifel an der „Trickle-Down-Theory“ und dem damit einhergehenden Grundsatz „a rising tide lifts all boats“.

So gesehen könnte es ein durchaus interessantes Buch sein, bedauerlicherweise ist es aufgrund seines Aufbaues ein über weite Strecken repetitives, in dem sich für den informierten Leser zu viele Redundanzen finden lassen. Dass sich diese seiner „Machart“ verdanken ist offenkundig; handelt es sich doch um eine Sammlung von Aufsätzen, die Stiglitz im Laufe der Jahre für unterschiedliche Print-Medien schrieb. Dass diese Aufsätze nun als Buch vorgelegt werden, wird – so bleibt zu hoffen – nicht einem ausschließlich finanziellen Interesse zu schulden sein, sondern einem editorischen.

Es ist allein deswegen zwar noch kein uninteressantes Buch, aber eines, das man aus den genannten Gründen, so man nicht zu den ganz geduldigen Lesern gehört, spätestens nach einhundertsechzig Seiten nur mehr kursorisch zu lesen beginnt. Um so mehr als ähnliche Thematiken, wie sie Stiglitz behandelt, vielfach abgehandelt wurden – im Besonderen in dem 2009 von Richard Wilkinson und Kate Pickett veröffentlichten Band „The Spirit Level. Why More Equal Societies Amost Always Do Better“, der im selben Jahr unter dem deutschen Titel „Gleichheit ist Glück, Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ veröffentlicht wurde. Wilkinson und Pickett legen, im Gegensatz zu den für das hier besprochene Buch gesammelten Aufsätzen, zahlreiche Beispiele und umfangreiches statistisches Material vor, mit dem der Nachweis zu erbringen versucht wird, dass Gesellschaften, die sich dazu durchringen können, all zu große Ungleichheiten durch politische Regelungen des Ausgleichs zu verhindern, nicht nur aus ethischen Gesichtspunkten heraus, sondern auch aus ökonomischer Sicht betrachtet, die besseren Gesellschaften sind.

Daten in der Ausführlichkeit wie sie Wilkinson und Pickett liefern, bleibt Stiglitz größtenteils schuldig.

Für jene, die sich intensiver mit den Auswirkungen von „Un-Gleichverteilung“ beschäftigen wollen, sei auch auf das vom österreichischen Autor Christian Felber im Jahr 2010 im Paul Csolnay-Verlag erschienene Buch „Gemeinwohl-Ökonomie, Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“ verwiesen. Inwieweit man den hier erhobenen Forderungen nach verordnetem Vermögensausgleich und der unvermeidlich damit einhergehenden in unseren Breiten meist über die Steuerbelastung geregelten Einkommensbegrenzung zuzustimmen gewillt ist, ist nicht allein eine Frage der Nützlichkeit in Hinblick auf den reibungslosen Ablauf gesellschaftlichen Zusammenlebens, es ist in größerem Ausmaß wohl eine Frage der persönlichen Vorliebe, der politischen Haltung zu Fragen des Eigentums, zu Fragen der persönlichen Freiheit und Eigenverantwortung, bzw. zu der über allem stehenden Frage, welches Gesellschaftsmodell man bevorzugt unterstützen will; darüber hinaus wird die Zustimmung zu den hier vertretenen Thesen oder deren konsequente Ablehnung auch davon abhängen, ob man eher eine kollektivistische, eine kommunitaristische oder doch eher eine individualistische Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse präferiert.

Vielleicht ist auch das der Grund, weshalb Stiglitz hin und wieder versucht, sich mit Relativierungen aus der „Affäre“ zu ziehen:

„Wir müssen den Kapitalismus nicht abschaffen, wir müssen nur die Marktverzerrungen des „Ersatzkapitalismus“ beseitigen. Das hat weniger mit Ökonomie als mit Politik zu tun. Wir müssen uns nicht zwischen Kapitalismus und Gerechtigkeit entscheiden. Wir müssen uns für beide entscheiden.“

Ach, wäre es doch so einfach!

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Erkrath

Erkrath bewertete diesen Eintrag 14.01.2016 07:02:25

1 Kommentare

Mehr von zeitdiagnosen