Die bereits bis zur Unerträglichkeit geführte Diskussion rund um das „Kopftuch“ hätte auch ihr Gutes, würde man die Diskussion wenigstens konsequent bis zu ihrem Ende führen. Und dieses Ende muss heißen, endlich endgültig Schluss zu machen in Österreich mit der unsäglichen Verquickung von Staat und Religion.
Dies würde aber bedeuten, dass man alle religiösen Symbole aus dem „staatlichen Bereich“ (Schule, Gerichtsbarkeit etc.) entfernen müsste; eine Maßnahme, die die Mehrzahl der Christen wohl wenig freuen würde. Und es wäre auch viel verlangt von ihnen, schließlich haben die christlichen Religionen inzwischen weitgehend eingesehen, dass sie sich nicht unbotmäßig oft und nur vorsichtig in das Tagesgeschäft des politischen Lebens einmischen dürfen. Sie können sogar darauf verweisen, dass ihre heiligen Schriften keinen Anspruch darauf stellen, einen christlichen Staat zu errichten. Ein Anspruch auf einen religiösen Staat wird hingegen vom Islam erhoben. Warum also sollten die Christen einem solchen Machtverlust zustimmen? Vielleicht aus Eigennutzen? Ein säkularer, ein liberaler Staat bietet Christen auf jeden Fall mehr Sicherheit als eine muslimische Theokratie. Die Christen wären in jedem Fall besser beraten, wenn sie ihre Verbündeten in liberalen, ja sogar in atheistischen Kreisen suchten, als sich mit muslimischen Vereinigungen zusammenzuschließen und sich dort als Steigbügelhalter im Kampf um die Macht zu verdingen. Erfahrene Reiter wissen: Wenn man einmal im Sattel sitzt, kann man auf die Steigbügel nämlich getrost verzichten.
Das Faktum, dass „gemäßigte Muslime“ auf dem Anspruch Nichtgläubige zu unterwerfen, aktuell nicht immer beharren, sollte die Nichtmuslime nicht in Sicherheit wiegen. Ein zahlenmäßiger Anstieg der muslimischen Bevölkerung bis in die Sphären der politischen Relevanz, könnte auch die, die sich bisher „gemäßigt“ geben, mit einem Schlag umstimmen. Und dann heißt es: „Adieu Liberalität!“, „Adieu Toleranz“, „Adieu säkulare Gesellschaft!“
Es ist müßig auf die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen zu verweisen, die allein wegen „der Religion“ oder zumindest doch unter diesem Vorwand geführt wurden. Das Thema Religion und Religionsfreiheit, vor allem der Streit darüber, welche denn nun „die richtige“ sei, bergen – das beweist ein Blick in die Medien – immer noch genügend Sprengstoff. Auch „Hitler sah seine Mission in einer heilsgeschichtlichen Dimension: 'So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.'"
(Adolf Hitler: Mein Kampf, München 1934, S. 70 zit. in LEY, Apokalypse, S. 27 zit. nach: Sabine Haring, Verheißung und Erlösung, Religion und ihre weltlichen Ersatzbildungen in Politik und Wissenschaft, Studien zur Moderne 24, Passagen Verlag, 2008 Wien, S. 533)
Ein kurzer Gedanke sei noch hinzugefügt: Es gibt ganz offensichtlich einen starken Zusammenhang zwischen dem religiösem Glauben wie dem christlichen, der sich in besonderer Weise auf eine allmächtige Vaterfigur richtet oder auch dem der Muslime, der eine ähnliche Figur in Mohammed konzipiert und den totalitären Regimen des Nationalsozialismus, des italienischen Faschismus und des Leninismus / Stalinismus. Ihnen allen ist als gemeinsames Element der bis heute unausrottbar erscheinende Wunsch nach autoritären Strukturen gemeinsam, den viele Menschen hegen.
Der Wunsch nach Autorität basiert – weil er Sicherheit verspricht gegenüber den vielen Unwägbarkeiten des Lebens – auf der Hoffnung, eine Erlösergestalt möge die Welten-Bühne betreten, die diesen Unsicherheiten den Garaus zu machen fähig ist. Eine Erlösergestalt, sei es in der Person eines Führers, eines Duce, eines Papstes, eines Landesvaters, einer Lichtfigur, eines Propheten, eines auferstandenen Gottes. Eine Erlösergestalt wird nachgefragt, in dem sich eine allmächtige, sich um den Einzelnen und das Gesamte sorgende, strenge, belohnende, strafende „Vater-Figur“ manifestiert, bei der man sich endlich geborgen fühlen kann. Eine solche Vater-Figur findet sich nicht nur in Christus, sie findet sich in Mohammed ebenso wie sie sich für viele in Mussolini, in Stalin, in Hitler fand und findet. Diese „Hoffnung“, deren Keim verstärkt in den monotheistischen Religionen grundgelegt ist und über die Institutionen der Erziehung von Generation zu Generation weitergegeben wird, gilt es als trügerische zu entlarven; ihr gilt es, den Kampf anzusagen, will man das Projekt der Aufklärung seiner Vollendung doch noch einen Schritt näher bringen.
Erst wenn wir den Wunsch nach höherer, lenkender Autorität (sowohl religiös als auch politisch) durch den Wunsch nach individueller Selbstbestimmung in Eigenverantwortung zu ersetzen bereit sind, werden wir auch frei dazu sein, den Anderen so leben lassen zu wollen, wie er – in den Grenzen, die auch Freiheit setzt – leben will.
Dies ist nicht als ein Aufruf gegen „die Religionen“ an sich oder gar gegen persönliche Religiosität zu verstehen. Es ist ein Appell an die Vernunft, die uns (religiösen und a-religiösen) Menschen sagen müsste, dass wir das Religiöse zu unser aller Wohl kompromiss- und ausnahmslos ins Private verlagern müssen, wenn wir den Frieden im Land und eine liberale Gesellschaft aufrecht erhalten wollen.
Erstveröffentlicht am 15. Januar 2017 auf https//:zeitdiagnosen.wordpress.com