Am besten man fragt einen israelischen Historiker, wenn man wissen will, wie viele Nazis es in der Ukraine tatsächlich gibt. Gesichert ist, dass in deutschen Parlamenten 10 bis 25% Nazis sitzen, in der Ukraine hats keine in den Parlamenten.
Wenn Putin öffentlich über seinen Angriff auf die Ukraine spricht, wiederholt er dabei vor allem ein Ziel: Die Ukraine müsse von "Nazis" und Faschisten "gereinigt" werden. Selbst den jüdischen Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyi, bezeichnete Putin immer wieder als Nazi. Russland, so das Bild, das Putin zeichnet, führt keinen Krieg gegen die Ukraine, sondern wolle mit einer "Spezialoperation" die Rückkehr des Faschismus im Nachbarland verhindern.
Feinde als "Nazis" oder "Faschisten" zu bezeichnen, sei fester Bestandteil der russischen Propaganda – nicht erst seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine, sagt der Osteuropahistoriker Robert Kindler von der FU Berlin. Entstanden sei diese Perspektive mit dem Sieg der Sowjetunion über das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg.
Inzwischen sei die Front gegen den Faschismus einer der wichtigsten Pfeiler nationaler Identität und tief in der russischen Gesellschaft verankert. Den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland begeht Russland jedes Jahr am 9. Mai als nationalen Feiertag mit einer großen Militärparade und politischen Ansprachen.
Bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit dieses Narrativs fällt auf, dass internationale Expertinnen und Experten zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Einigkeit herrscht bei so ziemlich allen, dass man dabei die aufgewühlte Geschichte dieses Landes nicht außer acht lassen darf.
So gibt es in der Ukraine nationalistische Gruppierungen, die sich besonders über den seit Jahren währenden Kampf gegen die russische Annektion der Krim identifizieren.
Die als rechtsextrem einzuordnenden politischen Parteien in der Ukraine - "Freiheit" (Swoboda), "Rechter Sektor" (Prawyj Sektor) und "Nationales Corps" - haben keine Relevanz. Bei der letzten Wahl kamen sie zusammen nur auf 2,15 Prozent der Stimmen.
Zunehmend beliebt – besonders bei jüngeren Ukrainern - sei allerdings das sogenannte Asow-Regiment, stellt die Bundeszentrale für politische Bildung fest. Gegründet wurde das Regiment als Freiwilligen-Batallion, um gegen die Separatisten im Donbass zu kämpfen.
Der ukrainisch-isralische Historiker Vyacheslav Lykhachov ist überzeugt, Asow sei kein Neonazi-Regiment. "Einige Gründer" hätten zwar einen rechtsextremen und teilweise neonazistischen Hintergrund – und trügen auch entsprechende Embleme zur Schau. Das spiegele sich aber "in keiner Weise in den Aktivitäten" wieder, erklärt der Wissenschaftler vom Projekt "Ukraine verstehen" des Grünen-nahen "Zentrum liberale Moderne". Spätestens seit 2017 habe Asow sich von allen neonazistischen Mitgliedern getrennt.
Die russische Propaganda sorge aber dafür, "das Bild eines kriminellen neonazistischen nationalen Bataillons zu schaffen", dem die westlichen Medien auf den Leim gingen. Fakt sei: "In den letzten Jahren gibt es keinerlei Anhaltspunkte für den Vorwurf, dass Neonazis im Asow-Regiment dienen."
Zahlenmäßig spiele das rechtsextreme Asow Regiment, ebenso wie die nationalistischen Parteien der Ukraine, kaum eine Rolle, meint Extremismusforscher Alexander Ritzmann im Deutschlandfunk. Das Asow-Regiment sei nur eine "verschwindend kleine Gruppe" innerhalb der ukrainischen Streitkräfte. Außerdem sagt Ritzmann in dem Interview: "In Russland gibt es viel mehr Neonazis als in der Ukraine – auf jeden Fall". Der russische Präsident Putin behaupte zwar, dass er den Krieg führe, um die Ukraine von Faschisten zu befreien, das sei allerdings eindeutig Propaganda.